Nachdem die Europäische Kommission Anfang 2022 ihren Entwurf für ein EU-Lieferketten-gesetz veröffentlicht hatte, hat auch der Rat im Dezember 2022 seine Verhandlungsposition festgelegt. Diese will den Finanzsektor nicht zwingend in die Pflicht nehmen, wenn es darum geht, bei deren Geschäften Menschenrechte und die Umwelt zu achten. Das wäre ein großes Schlupfloch im EU-Lieferkettengesetz. Jetzt ist es am Europäischen Parlament, dieses Loch zu stopfen und eine umfassende Anwendung des Gesetzes auf den Finanzsektor sicherzustellen.

von Stephen Rabenlehner für A&Wblog

Menschenrechtsverletzungen und der Finanzsektor: ein tragisches Beispiel

Finanzunternehmen können über Projekte und Unternehmen, die sie finanzieren, Menschenrechte und Umweltziele negativ beeinflussen. Ein erschütterndes Beispiel dafür ist die Ermordung der honduranischen Umweltaktivistin Berta Cáceres. Sie setzte sich als Mitbegründerin der indigenen Organisation COPINH mit vielen anderen Angehörigen des indigenen Volkes der Lenca gegen den Bau eines umstrittenen Wasserkraftwerkes ein. Die Umsetzung des Projektes hätte die umliegende Umwelt und dadurch die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zerstört. Vorab fand laut COPINH jedoch keine ausreichende Konsultation mit der Gruppe der Lenca statt. Im Rahmen von Protesten gegen das geplante Projekt wurde wiederholt Gewalt gegen Protestierende angewandt. Cáceres sowie weitere Mitglieder der Lenca schrieben Briefe an die das Projekt mitfinanzierende niederländische Entwicklungsbank FMO und den finnischen Finnfund. Sie informierten sie von diesen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem geplanten Bau des Wasserkraftwerkes. Diese zogen ihre Finanzierung jedoch nicht zurück. Nach anhaltenden Aggressionen gegen die Gemeinschaft der Lenca wurde Berta Cáceres schließlich 2016 ermordet. Erst danach zogen sich die beiden Finanzinstitutionen aus dem Projekt zurück.

Fälle wie dieser zeigen auf, dass der Finanzsektor eine tragende Rolle bei der Achtung oder eben auch der fortschreitenden Missachtung der Menschenrechte spielen kann. Deshalb sollten auch Finanzunternehmen dazu verpflichtet werden, menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltspflichten umzusetzen. Diese sollen negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt im Zusammenhang mit finanzierten Projekten und Unternehmen effektiv verhindern, mindern oder in Fällen von Schäden zu Wiedergutmachung führen. Die FMO hat laut eigenen Angaben vor dem Beginn des Projekts und währenddessen einen Sorgfaltsprozess und Konsultationen durchgeführt. Dieser freiwillige Prozess konnte jedoch die schweren negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte der Lenca nicht verhindern. Er hat auch nicht dazu geführt, dass die Entwicklungsbank ihren Einfluss genutzt hat, um die negativen Auswirkungen abzumildern. Um das Risiko von solchen tragischen Fällen wie dem von Berta Cáceres einzudämmen, braucht es das umfassende EU-Lieferkettengesetz. Dieses soll klare und verpflichtende Regelungen bezüglich des menschenrechtlichen Sorgfaltspflichtenprozesses enthalten und auch den Finanzsektor miteinbeziehen.

Die Rolle des Finanzsektors im Entwurf der EU-Kommission

Im Vorschlag der EU-Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz sind Finanzunternehmen grundsätzlich erfasst, wenn auch mit Einschränkungen. Grundsätzlich sollen betroffene Unternehmen durch das EU-Lieferkettengesetz dazu verpflichtet werden, negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt in ihrer „Wertschöpfungskette“ zu identifizieren, zu verhindern und zu beenden. Dabei deckt die Definition der „Wertschöpfungskette“ im Entwurf der EU-Kommission sowohl den vorgelagerten als auch den nachgelagerten Bereich ab. Vorgelagerte Prozesse betreffen die Herkunft und Produktion einer Ware bzw. Dienstleistung. Der nachgelagerte Teil betrifft die weitere Verwendung der Ware bzw. Dienstleistung. Im Finanzsektor ist vor allem der nachgelagerte Bereich relevant: Banken sollen beispielsweise bei der Kreditvergabe ihre Sorgfaltspflicht im Hinblick auf potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt umsetzen.

Die EU-Kommission sieht für den Finanzsektor eine erleichterte Umsetzung der Sorgfaltspflicht vor. Diese soll nämlich lediglich vor Geschäftsabschluss durchgeführt werden und nicht – wie bei Unternehmen aus anderen Bereichen – in regelmäßigen Abständen und mindestens alle zwölf Monate. Eine weitere Ausnahme für den Finanzsektor ist die vorgesehene Ausnahme für KMU – diese sollen laut dem Entwurf der EU-Kommission nicht als Teil der Wertschöpfungskette von Finanzunternehmen gelten. Dabei ist es nicht abhängig von der Größe des Unternehmens, ob es durch seine Aktivitäten negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt haben kann oder nicht. Viel relevanter als die Größe des Unternehmens ist die Wahrscheinlichkeit, mit der es Menschenrechte und die Umwelt negativ beeinflussen kann. Je höher diese ist, desto wichtiger ist die Umsetzung von Sorgfaltspflichten.

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