Die westlichen Sanktionen sollen es Russland enorm erschweren oder gar unmöglich machen, seine Ressourcen auf den Weltmärkten abzusetzen und Milliardeneinnahmen daraus zu generieren. Dennoch schafft es Moskau, die Rohstofflieferungen aufrechtzuerhalten und vor allem das Erdöl weiterhin an die Abnehmer in aller Welt zu verkaufen.
Von Alexander Männer
Vor knapp einem Jahr hatte der kollektive Westen als Reaktion auf den russischen Einmarsch in der Ukraine die ersten folgenschweren Sanktionen gegen Russland erlassen und so einen regelrechten Wirtschaftskrieg gegen das Land entfacht. Dabei haben die USA, die Mitglieder der Europäischen Union sowie andere Länder unter anderem ein Embargo auf russisches Erdöl und ein „Preislimit“ für Rohöllieferungen aus Russland durchgesetzt.
Moskau versucht, sich gegen die Wirtschaftsbeschränkungen beim Rohstoffhandel mit allen Mitteln zu wehren und setzt alles daran, dass vor allem sein Öl den Weg zu Abnehmern in aller Welt findet. Nicht zu vergessen, dass Russland der zweitgrößte Ölexporteur der Welt ist, noch 2021 als der zweitgrößte Öl-Lieferant der EU galt und im Ölsektor im vergangenen Jahr trotz Sanktionen rund 153 Milliarden Euro erwirtschaftete – das ist ein Rekordwert seit 2011.
Insofern verwundert es kaum, dass Russland seine Führungsposition auf dem globalen Erdölmarkt offenbar stärken konnte und nach wie vor als der zweitgrößte Ölproduzent der Welt gilt. Der Schlüsselaspekt hierbei sind die asiatischen Märkte, die für Moskau zuvor nur eine untergeordnete Rolle spielten. Vor dem Ukraine-Krieg exportierte Russland täglich mehr als 7,5 Millionen Barrel pro Tag an Rohöl sowie Benzin und Diesel, die hauptsächlich nach Europa und in die USA gingen. Die Lieferungen nach Asien hatten damals keinen nennenswerten Anteil am russischen Export. In Indien machten die russischen Öllieferungen 2021 nur drei Prozent der Gesamtimporte aus, während China, der weltweit größte Ölimporteur, nur 15 Prozent seines Bedarfs aus Russland bezog.
Diese Situation hat sich inzwischen von Grund auf verändert. So konnte Russland Saudi-Arabien als den wichtigsten Öllieferanten Chinas erneut ablösen, wie die Agentur Reuters unter Berufung auf Zolldaten der Volksrepublik im vergangenen Monat berichtete. Demnach stiegen die russischen Ölausfuhren nach China 2022 im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel und betrugen rund 1,94 Millionen Barrel pro Tag.
Auch das Indien-Geschäft entwickelt sich für die russischen Ölexporteure hervorragend. Ihre Lieferungen in das bevölkerungsreichste Land der Erde haben sich vergangenes Jahr vervielfacht, so dass Russland zu Indiens viertgrößten Lieferanten nach China, den Vereinigten Arabischen Emirate und den USA aufsteigen konnte.
Moskaus Antwort auf den Ölpreislimit
Damit der Ölexport ungeachtet der westlichen Wirtschafts- und Handelsbeschränkungen weitergehen kann, hat Russland eine beträchtliche Flotte von Öltankern, die sogenannte „Schattenflotte“ aus Öltankern aufgebaut. Beobachter bezeichnen dieses Vorgehen, bei dem die russische Führung vermutlich bis zu 600 Tankschiffe auf dem Weltmarkt erworben hat, als einen gewieften Trick, um seinen Bedarf an europäischen Schiffen zu minimieren und dadurch die Sanktionen zu umgehen. Wie zahlreiche Experten inzwischen behaupten, gibt es allerdings noch andere Ziele, die Moskau mit dieser Strategie verfolgt.
Zum einen wollen die Russen dadurch das Angebot für den auf dem Seeweg realisierten Erdöltransport reduzieren und damit die Preise für die Fracht respektive die Gesamtkosten für die Lieferungen hochtreiben. Die Frachtkosten spielen beim Ölexport schon deshalb eine zentrale Rolle, weil jährlich insgesamt knapp zwei Milliarden Tonnen Rohöl beziehungsweise 60 Prozent der weltweiten Fördermenge per Schiff transportiert werden.
Diesbezüglich haben die als Reaktion auf die westlichen Sanktionen erfolgten russischen Gegenmaßnahmen für einen erheblichen Effekt auf den Tankermarkt gesorgt, in Folge dessen sich der Transport von Benzin und anderen Kraftstoffen extrem verteuerte. Wie das Branchenportal Transport Topics diesbezüglich vor wenigen Wochen berichtete, seien die Frachtkosten selbst für relative kleine Tanker etwa in der zweiten Februarwoche nicht zuletzt wegen den russischen Gegenmaßnahmen in diesem Bereich um 280 Prozent angestiegen und betrugen zwischenzeitlich fast 42.000 US-Dollar pro Tag.
Zum anderen geht es dem Kreml wohl darum, mit diesem weitreichenden Eingriff in das Logistik-System des globalen Öltransports die Nachfrage nach Schiffen zu erhöhen und zugleich die Verfügbarkeit von Tankern für die westlichen Länder zu senken. Dadurch könnte der Einfluss des Westens auf den Ölhandel deutlich geschwächt werden.
Transport Topics zufolge sollen andere Exporteure bereits einen Mangel an Tankern verzeichnet haben, da aufgrund der entstandenen Schattenflotte zumindest in der ersten Februarhälfte eher wenige Schiffe übrig geblieben seien, die die anderen Exporteure bedienen würden. „Was wir hören, ist, dass viele Schiffe plötzlich von den Tonnagelisten gestrichen und nach Russland gezogen wurden. […] Also war gestern plötzlich die Schiffsversorgung fast weg“, meinte dazu Eirich Haavaldsen, der als Analyst bei der Investmentbank Pareto Securities in Norwegen tätig ist.
Was den Umfang der russischen Tankerflotte angeht, so geht man in der Branche inzwischen davon aus, dass die russische Schattenflotte weitaus mehr als ein paar Hundert Schiffe umfasst, wie Medien noch vor wenigen Monaten behaupteten. Nach Angaben des niederländischen Ölhandelsgiganten Trafigura sollen es 600 Schiffe sein, von denen 400 für den Transport von Rohöl genutzt würden. Das sind 20 Prozent der globalen Tankerflotte beziehungsweise jedes fünfte Schiff, das derzeit von Russland genutzt wird. Es könnten aber auch mehr als ein Viertel aller weltweit