Nach alten afrikanischen Philosophien muss der Mensch mit seinen Handlungen das Gleichgewicht des Universums in jeglichem Sinn aufrechterhalten. Dieses Gleichgewicht wird in der Natur, im Himmel und jedoch besonders im Körper in seinen astralen, mentalen und körperlichen Dimensionen gewahrt. Für die afrikanischen Vorfahren war jede Krankheit ein mentales Ungleichgewicht, das sich in einem körperlichen Leiden äußerte.

Maat und Ubuntu

Maat war das altägyptische Konzept für Gleichgewicht, Ordnung, Harmonie, Recht, Moral und Gerechtigkeit. Verkörpert war es durch eine Göttin, die für die Anordnung der Sterne und Jahreszeiten verantwortlich war und die kosmische Ordnung gegen das Chaos aufrechterhielt.

Ihre 42 Gebote lenkte die Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft. So konnten die Ägypter Pyramiden, Tempel und Städte bauen, die die Anordnung der Gestirne wiedergaben, um so im Einklang mit der Schöpfung zu bleiben.

Man kann sagen, dass Maat die Grundlage von Ubuntu ist, der afrikanischen Philosophie, die durch eine Haltung der Wohltätigkeit, Offenheit, Gastfreundschaft und Leidenschaft, Empathie und dem Verlangen geprägt ist, mit anderen zu teilen. Kurzgefasst: Ich bin, weil wir sind.

Wir finden diese Philosophie bei vielen afrikanischen Völkern und unter verschiedenen Namen: das Volk der Bambara zum Beispiel nannte sie Maya (Solidarität), in Kenia wurde sie Arambe (gemeinsam wachsen) genannt und in der Sprache der Bantu könnte man es mit „Humanität“ übersetzen. Selbst heute noch ist der Toguna (überdachter Versammlungsplatz) der Volksgruppe der Dogon das bedeutendste Gebäude in jedem Dorf, denn es bildet das Haus nach, in dem sich die Altvorderen versammelten. Es ist eine auf Zusammenhalt beruhende Stätte, in der Probleme der Gemeinde diskutiert werden, Recht gesprochen wird und die für Fremde und Waisen offen ist.

Ubuntu und die Umwelt

In den Tempeln des Königreichs Kusch können wir Jagdszenen mit verschiedenen Gottheiten sehen. Sie bleiben jedoch stets im Gleichgewicht – tatsächlich besaß jedes Tier göttliche Eigenschaften. Das ermöglichte eine Welt im Reichtum, in der die Menschen zusammen jagten, arbeiteten, tanzten und sangen, und zwar in einer horizontal ausgerichteten Gesellschaft, auch wenn der König von anderen Mächten umgeben war.

Ubuntu verlangt Respekt für Pflanzen, denn sie heilen und ernähren die Menschheit und werden verwendet, um sich mit den Gottheiten zu verbinden. So ist es kein Zufall, dass es in Afrika viele heilige Bäume gibt.

Ubuntu und das Soziale

Teilen ist ein wesentlicher Teil der Ubuntu-Philosophie. Einst aß ich gemeinsam mit einigen Älteren – sie erklärten mir, dass diese Geste den Wert der Solidarität bekräftigt. Und so hatten in Afrika die Älteren keine Angst vor Einsamkeit, denn sie waren von ihren Lieben umgeben und galten als Vorbild für die Jungen.

Heute befindet sich unsere zunehmend auf Individualismus basierende Welt in der Krise. Wir müssen uns fragen, wie wir in diese Situation kommen konnten und stellen fest, dass Afrika, wie auch andere Zivilisationen, eine alternative Lebensweise in einer ausgewogeneren Gesellschaft entwickelt hat.

Die Lehren der Ubuntu finden sich nicht nur in der Vergangenheit, sondern können helfen, viele aktuelle Konflikte zu lösen – so wie es zum Beispiel in Südafrika der Fall war. Es war diese Philosophie, die Nelson Mandela in seinem langen Kampf gegen die Unterdrückung seines Volkes inspiriert hat. Ubuntu machte es möglich, ohne Rachefeldzüge und Blutbäder aus dem teuflischen Apartheidregime hervorzutreten, indem das außerordentliche Instrument der Wahrheits- und Versöhnungskommission geschaffen wurde – ein Beispiel, dem später andere Völker folgten.

Um es auf den Punkt zu bringen: wir sind verantwortlich für das aktuelle Chaos und Ubuntu kann uns helfen, es gemeinsam zu überwinden.

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Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!