Der Druck hat gewirkt. Ein Teil der Schweizer Fussballer singt mittlerweile die Nationalhymne. Und alle legen die Hand aufs Herz.

Marco Diener für die Online-Zeitung Infosperber

Vor sechs Jahren warf die Aargauer Zeitung die Frage auf: «Warum singen sie nicht?» Denn beim Spiel gegen Albanien hatte die Autorin beobachtet: «Die Münder der Schweizer Spieler blieben zu – mit Ausnahme derjenigen von Fabian Schär, Yann Sommer und Stephan Lichtsteiner.» Und weiter: «Man muss kein Nationalkonservativer sein, um sich daran zu stören. Entscheidet man sich, unter der Schweizer Flagge zu spielen, gehört es zum guten Ton, dass man sich auch vor dem Spiel für die Schweiz einsetzt.»

Sang früher jemand?

Gehört es wirklich zum guten Ton? Ältere Leser erinnern sich an Zeiten, als die Schweizer Fussball-Nationalspieler noch Burgener, Ramseier oder Fischbach hiessen. Schild, Kuhn oder Jeandupeux. Elsener, Müller oder Pfister. Sang damals ein einziger Spieler die Nationalhymne? Natürlich nicht. Sie machten zwar ernste Gesichter. Doch wahrscheinlich hofften sie, dass der Spuk möglichst bald vorbei sein möge und das Spiel beginne. Dass keiner die Hymne sang — das störte niemanden.

Denn alles Nationalistische war damals in breiten Bevölkerungskreisen verpönt. Gerade auch in Deutschland. Als die Deutschen 1974 gegen Holland in München Weltmeister wurden, sang keiner mit. Weder Beckenbauer noch Maier. Weder Schwarzenbeck noch Hölzenbein.

Üble Texte

Fast ist man froh, wenn Fussballer ihre Nationalhymne nicht singen. Denn manche Hymnen sind regelrechte Schlachtgesänge. «Zu den Waffen, zu den Waffen! Über Land, über See» – so geht die portugiesische. Die mexikanische: «Krieg, Krieg ohne Waffenruhe, versuche es, beschmutze das Wappen des Vaterlandes. Krieg, Krieg! Das Nationalbannner ertränkt in den Wellen von Blut.» Die tunesische: «Keiner lebt in Tunesien, der das Land betrügt, und keiner lebt dort, der es nicht verteidigt. Wir leben und sterben treu zu Tunesien, ein würdevolles Leben und ein ruhmvoller Tod!» Und auch die französische: «Zu den Waffen, Bürger, formiert eure Truppen, marschieren wir, marschieren wir! Auf dass unreines Blut tränke unsere Furchen!» In Sportstadien haben solche Worte eigentlich nichts zu suchen.

«Singt doch!»

Doch in der Schweiz stieg der Druck auf die Nationalspieler in den letzten Jahren. Sie heissen inzwischen Akanji, Jashari und Shaqiri. Cömert, Okafor und Zakaria. Obwohl sie ausländische Wurzeln haben, sollen offenbar ausgerechnet sie die Hymne singen. Oder vielleicht gerade, weil sie ausländische Wurzeln haben. Als Treuebeweis zur Schweiz – sozusagen. SVP-Nationalrat Peter Keller findet jedenfalls: «Gerade Spieler mit Migrationshintergrund können als Vorbild dienen: Das ist unser Land. Wir geben alles für die Schweiz.»

Die Weltwoche ihrerseits beobachtete letztes Jahr: «Einige Spieler standen bei der Nationalhymne mit weltmännischem Desinteresse da und pressten die Lippen hartnäckig aufeinander als hätten sie Eiswürfel in der Hose.» Und das Bieler Tagblatt forderte schon vor sechs Jahren: «Singt doch!»

Hand aufs Herz

Der Druck scheint gewirkt zu haben. Gestern, vor dem Freundschaftsspiel gegen Ghana, standen nur noch drei Spieler regungslos da (und mit Shaqiri wohl noch einer, aber ihn fing die Kamera nicht ein). Drei Spieler taten, als ob sie sängen. Und vier sangen die Hymne lauthals mit. Bemerkenswert: Alle, wirklich alle Spieler legten die Hand aufs Herz, als gälte es dem ganzen Land zu zeigen: Endlich habt ihr auf dem Spielfeld elf Schweizer Super-Patrioten.

«Wir sind bereit zum Tod!»

Zum Vorbild haben sie sich möglicherweise die Italiener genommen. Die umarmen einander und schmettern die Hymne seit Jahren unters Stadiondach, als zögen sie demnächst in den Krieg. Vor allem, wenn Gigi Buffon, von 1997 bis 2018 National-Torhüter, die Hymne sang, konnte einen leicht frösteln: «Lasst uns die Reihen schliessen, wir sind bereit zum Tod, wir sind bereit zum Tod, Italien hat gerufen!»

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