Die NATO hat sich vor kurzem auf Schweden und Finnland ausgeweitet, wurde de facto in die Ukraine aufgenommen und könnte sich auf Georgien ausdehnen. Unter der Schirmherrschaft des neu gewählten kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro ist der Eintritt der NATO in den Amazonas in Planung.

von Roger D. Harris

Die NATO ist ein Hauptinstrument der imperialen Herrschaft der USA. Sie ist die Prätorianergarde Washingtons im globalen Maßstab.

Anfang dieses Monats lud Präsident Petro US- und NATO-Militärkräfte in den Amazonas ein, unter dem Vorwand, dass die imperiale Kriegsmaschinerie als „Polizei“ zum Schutz der Umwelt umfunktioniert werden könnte, anstatt die alte Masche des Krieges gegen die Drogen zu verfolgen. Er schlug die Entsendung von US-Black-Hawk-Hubschraubern vor, um Brände zu löschen. Vor dem Alibi des Umweltschutzes war der Vorwand für die Militarisierung des Dschungels die Drogenbekämpfung gewesen.

Petro bezeichnete sein „Gespräch mit der NATO“ als „seltsam“, beeilte sich aber hinzuzufügen: „Da sind wir nun mal.“ Er legitimierte die US-Militärbesetzung in Kolumbien – laut Berichten sind es neun Stützpunkte – als „eher eine Polizeieinheit als eine Militäreinheit“. Unglaublicherweise behauptete er, dass die fortgesetzte Besatzung eine „völlige Veränderung dessen ist, was die US-Militärhilfe bisher ausgemacht hat“.

Die NATO in Kolumbien

Kolumbien ist das Aushängeschild für die Monroe-Doktrin – ein auf das Jahr 1823 zurückgehendes Bekenntnis der USA zur Hegemonie über die Hemisphäre – und der führende Klientelstaat der USA auf dem amerikanischen Kontinent. Die südamerikanische Nation wurde sowohl von Hillary Clinton als auch von Joe Biden in ihren US-Präsidentschaftskampagnen als Vorbild für den Rest Lateinamerikas angepriesen.

Im Jahr 2017 wurde Kolumbien zu einem der globalen Partner der NATO, dem ersten in Lateinamerika. Im Februar führte Kolumbien in der Nähe von Venezuela eine provokative gemeinsame Marineübung mit der NATO durch, an der auch ein Atom-U-Boot teilnahm.

Am 10. März wurde Kolumbien zu einem „Major Non-NATO Ally“ (wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter) der USA ernannt, was dem Land einen besonderen Zugang zu Militärprogrammen verschafft. Biden erklärte: „Dies ist eine Anerkennung der einzigartigen und engen Beziehung zwischen unseren Ländern“.

Vom 26. August bis zum 11. September führten die Streitkräfte der USA und Kolumbiens gemeinsame NATO-Übungen durch. In dieser Zeit machte die Generalin Laura Richardson, Befehlshaberin des US Southern Command (südliches Kommando), einen fünftägigen Besuch in Kolumbien, um sich mit dem neu gewählten Präsidenten zu treffen. Die Kommandantin schwärmte von „unserem wichtigsten Sicherheitspartner in der Region“ und bezeichnete Kolumbien als „Dreh- und Angelpunkt der gesamten südlichen Hemisphäre“.

Die Kommandantin der South-Com traf sich auch mit der kolumbianischen Vizepräsidentin Francia Márquez, um die Umsetzung der hemisphärischen Initiative „Frauen, Frieden und Sicherheit“ zu besprechen. Richardson kam zu dem Schluss, dass „die westliche Hemisphäre dank Kolumbiens stabilisierenden Bemühungen weitgehend frei und sicher ist“.

Als Petro sein Amt antrat, wich er von der Haltung der USA/NATO zum Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland in der Ukraine ab und sprach sich am 21. September für einen neutralen Verhandlungsfrieden aus. Zwei Wochen später schwenkte er um und schloss sich der von den USA angeführten Resolution in der Organisation Amerikanischer Staaten an, indem er Russlands „unprovozierte Invasion“ scharf verurteilte und einseitig den Rückzug Russlands forderte.

Greenwashing der NATO im Amazonasgebiet

Die Legitimierung ausländischer Militärinterventionen im Amazonasgebiet unter dem Deckmantel des Umweltschutzes ist keine neue Idee. Ohne sich um die Feinheiten der nationalen Souveränität zu scheren, sagte Al Gore 1989 vor dem US-Senat: „Der Amazonas ist nicht ihr Eigentum. Er gehört uns allen.“

Erst kürzlich, im Jahr 2019, forderte der französische Präsident Emmanuel Macron als Reaktion auf die Brände im brasilianischen Amazonasgebiet die G7-Staaten nachdrücklich zum Eingreifen auf: „Das ist eine internationale Krise.“ UN-Generalsekretär António Guterres schloss sich Macrons Meinung an, ebenso wie die politischen Führer anderer ehemaliger Kolonialmächte wie Deutschland.

Quora hat rhetorisch gefragt: „Warum marschiert die NATO nicht in Brasilien ein, um den Amazonas zu retten?“ Der kanadische NATO-Verband warb für „ausländische Aktionen“ und argumentierte: „Umweltsicherheitsbedrohungen wie die Brände im Amazonas-Regenwald betreffen die globale Umwelt und erfordern daher ein System der kollektiven Sicherheit, um ihnen zu begegnen.“

Die Bekämpfung von Waldbränden und anderen klimabedingten Katastrophen wurde in den immer größer werdenden Aufgabenbereich der NATO aufgenommen. Den Militaristen geht es nicht so sehr um die Umwelt, sondern vielmehr um Turbulenzen, die die bestehende Weltordnung durcheinanderbringen könnten.

Da die NATO ein Anhängsel des US-Imperiums ist, sollten diese neuen ökologischen Aufgaben nicht als nicht-militärische Aufgaben, sondern als Militarisierung des Umweltschutzes gesehen werden. Ihre „umweltbewussten“ Einsätze laufen unter dem Deckmantel des NATO-Programms „Wissenschaft für Frieden und Sicherheit“ und sogar des UN-Umweltprogramms, das mit der NATO zusammenarbeitet. Dementsprechend befürwortete Foreign Policy die „Militarisierung des Amazonas“ aus ökologischen Gründen. Ein weiterer FP-Artikel über die Frage, wer in den Amazonas eindringen wird, prophezeite: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Großmächte versuchen, den Klimawandel mit allen Mitteln zu stoppen.“

Kolumbien – nicht mehr automatisch ein US-Vertreter

Obwohl er der US/NATO die Tür zum Amazonasgebiet geöffnet hat, hat der kolumbianische Präsident Petro andere, nicht-militärische Lösungen für den Klimawandel im Sinn. In seiner UN-Rede warnte Petro: „Kriege haben als Ausrede gedient, um die Klimakrise nicht zu beenden“.

Während ölproduzierende Länder wie die USA, Großbritannien und Norwegen die Förderung erhöhen, geht Petro in die entgegengesetzte Richtung. Die von ihm vorgeschlagene Öl- und Kohlesteuer zur Verringerung der Förderung und zur Finanzierung sozialer Projekte, das Verbot von Fracking und vor allem die politisch provokante Zurücknahme der Kraftstoffsubventionen könnten jedoch zu einer weiteren Abwertung des Pesos und zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen.

Petro bat kürzlich eine US-Kongressdelegation in Kolumbien, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zu intervenieren, um im Gegenzug für Investitionen in dekarbonisierte Wirtschaftszweige einen Teil der kolumbianischen Schulden erlassen zu bekommen. Das würde, wie er erklärte, die Beeinträchtigung der Weltwirtschaft durch die einseitigen Zwangsmaßnahmen der USA (d.h. Sanktionen) ausgleichen. Petro erläuterte dies in einer kürzlich gehaltenen Rede: „Die USA ruinieren praktisch alle Volkswirtschaften der Welt“.

Er forderte die US-Kongressdelegation außerdem auf, die Kosten für die Abtretung von drei Millionen Hektar Land an Campesinos im Rahmen der Landreform seiner Regierung zu übernehmen. Die Alternative, so schlug Petro geschickt vor, wäre, den geopolitischen Rivalen der USA, China, stärker in seine Initiativen zur Energiewende einzubinden.

Bloomberg berichtet, dass China mit Kolumbien bereits eine Reihe von bedeutenden Verträgen über die Infrastruktur für erneuerbare Energien abgeschlossen hat. Bezeichnend für die sich verändernde Handelsbilanz ist, dass Kolumbien im Jahr 2021 14,8 Mrd. USD aus China importierte, verglichen mit 14,1 Mrd. USD aus den USA.

Der ehemalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hatte sich 2013 mit Blick auf Kolumbiens regionale Rolle als US-Klientelstaat gebrüstet: „Wenn jemand mein Land das Israel Lateinamerikas nennen würde, wäre ich sehr stolz. Ich bewundere die Israelis, und ich würde das als Kompliment betrachten». Eine ganz neue Botschaft kommt von Präsident Petro, der zu Protokoll gegeben hat, dass die USA „uns nicht lieben“.

In der Tat hat Petro international Schlagzeilen gemacht, indem er die US-Drogenbekämpfungspolitik kritisierte und darauf hinwies, dass Kolumbien in der Vergangenheit zwar der Lieferant illegaler Drogen war, die USA aber die Verantwortung dafür tragen, der größte Konsument zu sein. Außerdem ist Kolumbien nicht mehr der Stellvertreter Washingtons für die Destabilisierung Venezuelas, vielmehr bemüht es sich um eine Wiedergutmachung bei seinem unmittelbaren Nachbarn und um die Wiederherstellung freundschaftlicher diplomatischer Beziehungen.

Petros problematische Verbindung zu George Soros

Die Rechte beschuldigt Petro, ein Schützling des Milliardärs George Soros zu sein, dessen Open Society Foundation schon lange in Kolumbien aktiv ist, und von ihm finanziert zu werden. Petro wird von diesen Elementen «als Verkörperung der ideologischen Richtung dargestellt, als deren Patriarch George Soros oft angesehen wird». Obwohl er von der Rechten geschmäht wird, ist der obsessiv antikommunistische „Marionettenspieler des humanitären Imperialismus“ kein Freund der Linken.

Obwohl Petro versucht hatte, sich in einem Tweet von Soros zu distanzieren, indem er ihn als „spekulativen Kapitalisten“ bezeichnete, traf sich der neue Präsident kurz nach seinem Amtsantritt mit Soros‘ Sohn und Vizepräsident der Stiftung, um über gemeinsame Unternehmungen im Amazonasgebiet zu sprechen.

Das Dilemma von Petro – ein kleines Land im Schatten des US-Hegemons

Nachdem der rechte Flügel um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe diskreditiert und bei den Wahlen besiegt wurde, braucht der US-Imperialismus ein neues Gesicht in Kolumbien. Petros zweideutige Positionen sind am besten im historischen Kontext zu verstehen. Zum ersten Mal seit zwei Jahrhunderten haben angebliche Linke für das Präsidentenamt in einem Land kandidiert, überlebt und gewonnen, das nicht nur ein Klientelstaat der USA, sondern auch ihr wichtigster Stellvertreter ist: Kolumbien.

Ihr Sieg ist ein wichtiger Schritt im langen Kampf um die Befreiung ihres geplagten Landes von seiner früheren Unterwerfung unter den Koloss im Norden. Es ist jedoch naiv zu glauben, dass Washington einen solchen seismischen Linksruck unangefochten durchgehen lassen wird.

Angesichts der Vorherrschaft des von den USA unterstützten Militärs in Kolumbien ging es Petro nicht nur darum, die Wahl zu gewinnen, sondern auch darum, danach zu überleben. Sowohl Petro als auch sein Mitkandidat Márquez überlebten Attentate auf der Wahlkampftour. Sogar die Voice of America warnte vor dem „Gespenst der Ermordung„.

Der neue Präsident Kolumbiens ist ein ehemaliger linker Guerillero, der politisch in die Mitte gerückt ist. Doch im Vergleich zur rechtsextremen Herrschaft von Uribe und seinen Nachfolgern in Kolumbien bedeutet die Wahl von Petro und seinem Vizepräsidenten Márquez einen radikal progressiven Kurswechsel.

Die regionale Bewegung hin zu Integration und Unabhängigkeit stellt eine Herausforderung für das Bestreben der USA dar, ihre Hegemonie auf dem amerikanischen Kontinent durchzusetzen. Der Wechsel in der kolumbianischen Exekutive bringt diese Bewegung weiter voran. Doch Petro hat große institutionelle Zwänge geerbt und steht unter enormem Druck.

Paradoxerweise sind genau die Bedingungen, gegen die Petro im Wahlkampf angetreten ist und die ihn ins Amt gebracht haben, jetzt zu den Problemen geworden, die er lösen muss. Die Gesellschaft wird von einer starken Inflation heimgesucht – verursacht von der globalen Wirtschaft, in die sich kleine Länder wie Kolumbien integrieren müssen, auf die sie aber nur minimalen Einfluss haben. Während die Lebenshaltungskosten steigen, schwindet Petros Rückhalt in der Bevölkerung im eigenen Land.

Petros Dilemma besteht darin, dass er zwischen der Forderung der Bevölkerung nach progressivem Wandel und dem Erbe der imperialen Vorherrschaft der USA gefangen ist. Kolumbien muss Mittel und Wege finden, um sich der weiteren Ausdehnung der US-Militärherrschaft in Form der NATO zu widersetzen. Der Amazonas braucht keine Brandstifter, um seine Brände zu löschen.

Übersetzung aus dem Englischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Roger D. Harris arbeitet für die 1985 gegründete Menschenrechtsgruppe Task Force on the Americas.