Andres Eberhard für die Onlinezeitung Infosperber

Grosskonzerne zapfen Trinkwasser an, Anwohner sitzen auf dem Trockenen. Ein Dokumentarfilm zeigt die Zustände in Vittel und Volvic.

Seit Jahren steht Nestlé in Vittel in der Kritik. Dasselbe gilt für Danone in Volvic. Die beiden Konzerne stehen im Verruf, mit abgefülltem Wasser Millionen zu verdienen, während der Bevölkerung das Trinkwasser langsam aber sicher ausgeht. Infosperber berichtete mehrmals über die Skandale in Frankreich. Ein Dokumentarfilm veranschaulicht nun, wie die Konzerne dabei vorgehen. Vordergründig ernsthaft um Lösungen bemüht, agieren sie hinter den Kulissen kühl berechnend, immer um den eigenen Vorteil bedacht. Mit dem Ziel, Mineralwasser zu verkaufen. Greenwashing par excellence.

Auf den Punkt bringt es im Film die Pariser Rechtsprofessorin Aurore Chaigneau: «Nestlé Waters stellen sich als Hüter der Ressource Wasser dar. Doch aus rechtlicher Sicht sind sie bloss Nutzer. Halten wir fest, dass sie nur da sind, um abgefülltes Wasser zu verkaufen. Dieses Unternehmen hat nur einen Zweck, nämlich aus der Ausbeutung von Wasser Profit zu schlagen.»

Diese Klarstellung ist nötig, nachdem die Dokumentation auch die Sicht des Unternehmens zeigte sowie Interessenskonflikte in der Lokalbevölkerung thematisierte. Denn allzu schnell entsteht ein Abwägen zwischen ökonomischen und ökologischen Zielen. Vor einigen Jahren noch hatte Nestlé etwa 1300 Angestellte in Vittel, zum Zeitpunkt des Filmdrehs im Jahr 2021 waren es noch 900. Dieser Trend dürfte sich verschärfen, nachdem das Unternehmen Anfang 2022 bekannt gegeben hatte, Vittel-Wasser vom deutschen Markt zu nehmen. Dorthin waren die mit Abstand meisten Exporte gegangen.

Vor diesem Hintergrund kann man sich die Diskussionen in der örtlichen Wasserkommission gut vorstellen, als in den Vogesen vor einigen Jahren das Wasser knapp wurde. Was tun? Nestlé den Hahn zudrehen und damit Arbeitsplätze gefährden, vielleicht sogar jene von Freunden, Ehemännern und -frauen, des halben Dorfs? Oder dann doch lieber Trinkwasser über eine mehrere Millionen Euro teure Pipeline aus den Nachbardörfern anpumpen? Die Wasserkommission entschied sich für Letzteres. Doch später kam ans Licht, dass die Vorsitzende mit einem Nestlé Manager verheiratet war, der dem Verein La Vigie de l’eau vorstand. Dieser wiederum gibt vor, wissenschaftlich zu arbeiten, wird aber massgeblich durch Nestlé finanziert. Unter Druck kippte die Wasserkommission den Entscheid schliesslich und sagte das Pipeline-Projekt ab. Ob das Ganze für Nestlé juristische Folgen haben wird, ist noch offen. Wie so oft in solchen Fällen ist es schwer zu beweisen, ob Nestlé sich einer illegalen Einflussnahme schuldig gemacht hat, wie Kritiker dem Konzern vorwerfen.

«Wir entnehmen mehr Wasser, als sich bildet»

Rechtsprofessorin Chaigneau, die 2020 für Forschungen nach Vittel reiste, hält solche Interessenskonflikte in der Lokalbevölkerung für verständlich. Darum plädiert sie dafür, dass der Staat eingreift und eine rechtliche Basis schafft: «Es geht nicht darum, den Menschen vor Ort die Schuld zuzuschieben. Wir müssen schlicht dafür sorgen, dass wir auch an den Erhalt des Wassers denken, nicht nur an seinen Verbrauch. So etwas sieht das französische Recht bisher kaum vor.» Oder zugespitzt formuliert: Man kann das Schicksal des Planeten nicht jenen Konzernen überlassen, die komplett andere Ziele verfolgen – selbst wenn sie sich noch so umweltfreundlich geben.

In Vittel ist die Kritik am Vorgehen von Nestlé über die Jahre gewachsen. Denn auch zum Vorschein gekommene Plastik-Müllhalden und Hunderte von Lastwagen, die durch das Vogesental donnern, erzürnen Anwohnende. Es bildete sich eine Bürgerinitiative, die für eine gerechtere Verteilung des Wassers kämpft. Das Problem streitet mittlerweile nicht einmal mehr Nestlé selbst ab: Der Grundwasserpegel sinkt seit Jahrzehnten bedrohlich. «Wir entnehmen mehr Wasser, als sich neu bildet», sagt ein Nestlé-Mann im Film erstaunlich offenherzig. «Dass der Pegel sinkt, ist nichts Neues.» Der Konzern wies aber auch darauf hin, dass er die Entnahmen freiwillig um etwa die Hälfte reduziere und ausserdem Gelder für die Regenierung der Ökosysteme ausgebe. Bis 2027 soll das Sinken des Grundwasserpegels gestoppt werden. Kritiker halten das für zu spät.

Danone kontrolliert sich selbst

Was der Wassermangel für die Bevölkerung bedeutet, wird in Volvic deutlich sichtbar, wo der Danone-Konzern Wasser entnimmt, in Flaschen abfüllt und danach in Frankreich und halb Europa verkauft: Die Bäche führen immer weniger Wasser. Die älteste Fischzucht Europas musste den Betrieb einstellen. Behörden riefen wegen des sinkenden Grundwasserpegels zum Wassersparen auf und widerriefen bereits ausgestellte Baugenehmigungen, da es für zusätzliche Einwohner an Wasser fehlte. Und Danone? Der Konzern habe die Wasserentnahmen in dieser schwierigen Zeit gar noch erhöht, sagen Kritiker. Danone jedoch behauptet im Gegenteil, «als verantwortungsvoller Akteur den Wasserverbrauch seit 2018 gesenkt» zu haben. Die Entnahmen würden um 19 Prozent unter der genehmigten Menge liegen. Wer hat recht? Das Hauptproblem ist in diesem Fall, dass unabhängige Daten fehlen. Denn Danone selbst wurde von den Behörden angehalten, Daten zu sammeln, ob die eigenen Wasserentnahmen dem Ökosystem schaden. Anders gesagt: Danone überprüft sich selbst. Auch hier reibt man sich ob der Gutgläubigkeit der Behörden den Milliardenkonzernen gegenüber verwundert die Augen.

Dass man den Konzernen ganz genau auf die Finger schauen sollte, zeigen Recherchen von Journalisten der deutschen «Zeit». Sie machten eine wissenschaftliche Studie publik, die Danone 2012 selbst in Auftrag gegeben hatte. Diese weist nach, dass die Entnahmen Danones einen andauernden Einfluss auf den Pegel des Grundwassers haben. Doch Danone konnte die Arbeit lange geheim halten, weil der Konzern sie selbst finanziert hat – bis diese geleakt wurde.

Heute deutet alles darauf hin, dass das Sinken des Grundwasserpegels in Volvic zwar natürliche Ursachen hat, dass Danone mit seinen Wasserentnahmen das Problem aber zumindest verschärft. Danone widerspricht nach wie vor, für die Folgen der Wasserknappheit verantwortlich zu sein – kein Wunder, befindet es sich auch in einem Rechtsstreit mit einem Fischzüchter. Trotzdem hat sich der Konzern nach Ausstrahlung des Films mit den Behörden geeinigt. Die Wasserentnahmen sollen um 10 Prozent, ab 2025 um 20 Prozent reduziert werden.

Coca Cola blies Ausbaupläne in Norddeutschland ab

Was in Vittel und Volvic geschieht, passiert vielerorts auf der Welt. In Erinnerung ist der Schweizer Dokumentarfilm «Bottled Life» aus dem Jahr 2012, der das Geschäft von Nestlé mit dem Trinkwasser kritisiert. Der neue deutsche vom ZDF finanzierte Dokumentarfilm thematisiert auch die Situation im norddeutschen Lüneburg, wo Coca Cola einen dritten Brunnen für die Wassergewinnung installieren wollte, das Projekt nach heftigen Protesten aus der Bevölkerung aber abblies.

Für Experten ist klar, dass der Klimawandel das Problem der schwindenden Wasserressourcen verschärfen wird. Entsprechend wird mehr staatlicher Einfluss gefordert. «Das Problem ist, dass die Folgen des Klimawandels noch nicht in den Gesetzen verankert sind», sagt Marianne Temmesfeld von der Bürgerbewegung in Lüneburg. Sie fordert ein Moratorium für Wassergesetze, ehe dies passiert ist. «Unser Wasser in Flaschen zu füllen und durch die Welt zu karren, das ist jedem klar, dass das keinen Sinn macht».

Auch die französische Professorin Chaigneau hält mehr staatlichen Einfluss für angebracht, um die Wasserressourcen langfristig zu sichern. «Im Gesetz wird Wasser stets im Zusammenhang mit Grundbesitz behandelt. Im Mittelpunkt stand der Boden. Heute ist uns bewusst, dass Wasser eine eigenständige Ressource ist», sagt sie. Das Schlusswort im Dokumentarfilm hat die ehemalige französische Umweltministerin Corinne Lepage, die als Anwältin einen betroffenen Fischzüchter gegen Danone vertritt: «A priori gehört das Wasser niemandem. Es gibt die Möglichkeit Wasser zu teilen, zu privatisieren. Aber das Wasser bleibt ein Gemeingut. Das Recht auf Wasser ist ein Menschenrecht wie das Recht auf Luft zum Atmen.»

Der Originalartikel kann hier besucht werden