Bundeswehr-Generalinspekteur a.D. übt scharfe Kritik am Umgang mit Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach. Schönbach hatte für eine Kooperation mit Russland gegen China plädiert.

Harte Kritik am Umgang mit dem zurückgetretenen Marineinspekteur Kay-Achim Schönbach übt der einstige Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat. Schönbach habe mit seinen Äußerungen in New Delhi, die einen Proteststurm in Deutschland ausgelöst hatten, im Kern lediglich „die amerikanische Position“ vertreten, urteilt Kujat; dies gelte bezüglich seiner Aussagen zur Krim ebenso wie bezüglich seines Plädoyers, einen Keil zwischen Russland und China zu treiben: Auch die USA strebten aktuell „ein stabiles Verhältnis mit Russland an“, da die Volksrepublik für sie „der größere, der gefährlichere Gegner“ sei. Schönbach hatte für sein Urteil, die Krim sei für die Ukraine de facto verloren, und für den Vorschlag, Moskau in den Kampf gegen Beijing einzuspannen, volle Zustimmung seitens des Think-Tanks in New Delhi erhalten, bei dem er seine Äußerungen getätigt hatte: Indien kooperiert eng mit Russland und kauft russische Waffen, um sich gegen China zu rüsten. Auch in den Vereinigten Staaten fordern Experten Deeskalation gegenüber Moskau, um einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Kujat warnt eindringlich vor „Kriegstrommeln in Deutschland“.

„Respekt kostet nichts“

Anlass für den Proteststurm in der deutschen Politik und Öffentlichkeit und für Schönbachs anschließenden Rücktritt waren Äußerungen, die der Inspekteur der Deutschen Marine am Freitag in New Delhi getätigt hatte. Dort war er in einer Diskussionsveranstaltung des Manohar Parrikar Institute for Defence Studies and Analyses (MP-IDSA) nach der Position der Bundesrepublik zur NATO-Osterweiterung befragt worden, dies auch mit Blick auf eine mögliche Bündnisaufnahme Georgiens und der Ukraine. In diesem Zusammenhang hatte Schönbach unter anderem geäußert, die Krim sei für die Ukraine „weg, sie wird nicht zurückkommen“; dass Moskau aktuell darauf abziele, sich ukrainisches Gebiet anzueignen, sei „Unsinn“.[1] Was Russlands Präsident Wladimir Putin im derzeitigen Konflikt „wirklich will, ist Respekt auf Augenhöhe“, urteilte der Vizeadmiral: „Und – mein Gott – jemandem Respekt entgegenzubringen, kostet nichts. Würde man mich fragen: Es ist leicht, ihm den Respekt zu geben, den er fordert – und den er vermutlich auch verdient.“

„Nur der Rummel ist größer geworden“

Schönbach hätte sich bei seinen Äußerungen unter anderem auf den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, beziehen können. Selenskyj hatte noch vor wenigen Tagen bekräftigt, die Gefahr einer russischen Invasion in sein Land sei „nicht größer“ als zuvor: „Größer ist nur der Rummel um sie geworden.“[2] Die Meinung, die Ukraine werde die Krim nicht wiedergewinnen können, wird – dies ist längst bekannt und wird aktuell erneut bestätigt – „hinter vorgehaltener Hand auch teilweise von wichtigen Akteuren in der NATO und in der EU geteilt“.[3] Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bauschte diese Einschätzung der Faktenlage zum Angriff auf internationales Recht auf: „Vizeadmiral Schönbach stellt offen die europäische Sicherheitsstruktur und das Völkerrecht in Frage. Sein Rücktritt ist folgerichtig.“[4] Strack-Zimmermann hatte noch vor wenigen Tagen öffentlich massive Kritik an den Spitzenmilitärs der Bundeswehr geübt: „Ich persönlich wünsche mir von der Generalität im Ministerium insgesamt deutlich mehr Klarheit und weniger Geschwurbel“, verlangte sie; es gehe nicht an, dass führende Offiziere stets der politischen Spitze „nach dem Mund“ redeten.[5] Was zu erwarten hat, wer dieser Aufforderung Folge leistet, zeigt der Fall Schönbach.

Strategische Partner

Unerwähnt geblieben ist in der Debatte, dass Schönbach mit seinen Äußerungen beim MP-IDSA in New Delhi auf volle Zustimmung gestoßen ist. „Wir könnten mit Ihnen nicht stärker übereinstimmen“, erwiderte Sujan R. Chinoy, der Generalsekretär des Think-Tanks, „denn Indien hat eine starke strategische Partnerschaft mit Russland“.[6] In der Tat haben New Delhi und Moskau bereits im Jahr 2000 eine „strategische Partnerschaft“ geschlossen, die ein jährliches Gipfeltreffen und umfangreiche russische Rüstungslieferungen umfasst; der Anteil russischer Lieferungen am gesamten indischen Rüstungsimport lag im Fünfjahreszeitraum von 2016 bis 2020 bei rund 49 Prozent. Unter anderem hat Indien trotz wütender Proteste der Vereinigten Staaten das russische Raketenabwehrsystem S-400 erworben; die ersten Teile wurden Ende vergangenen Jahres geliefert. New Delhi hat das Abwehrsystem mit Blick auf seine zunehmende Rivalität mit Beijing gekauft. Russland und Indien führen außerdem regelmäßig gemeinsame Manöver durch; im August 2021 etwa hielten die Streitkräfte beider Länder bereits die zwölfte Nummer ihrer Manöverserie „Indra“ ab.[7] Erst kürzlich sprach sich das MP-IDSA ausdrücklich für die Vertiefung der indisch-russischen Kooperation aus – im und am Indischen Ozean, in der Arktis und in Russlands Fernem Osten, wie es in einer Publikation des Think-Tanks hieß.[8]

Mit Russland gegen China

Auf sichere Zustimmung in New Delhi setzen konnte Schönbach bei seinem Plädoyer, dem russischen Präsidenten „Respekt“ zu erweisen, auch deshalb, weil er dies als Schritt hin zum Aufbau einer gemeinsamen Front gegen China begreift. „Indien und Deutschland brauchen Russland gegen China“, erklärte der Vizeadmiral; als Katholik sehe er ein Bündnis mit dem christlichen Russland im Machtkampf mit der Volksrepublik ohnehin als strategisch richtig an.[9] Zwischen Moskau und Beijing einen Keil zu treiben sei auch von Nutzen, weil „China Russlands Ressourcen braucht“, urteilte Schönbach am Freitag beim MP-IDSA. Der Plan ist nicht neu. Auch in den Vereinigten Staaten dringen wachsende Teile des politischen Establishments darauf, den Machtkampf gegen Moskau etwas zu entspannen, um alle Kräfte auf den Machtkampf gegen Beijing werfen zu können. Ein Zweifrontenkrieg gegen Russland und China werde die Fähigkeiten der US-Streitkräfte „wahrscheinlich übersteigen“, urteilte im Sommer vergangenen Jahres A. Wess Mitchell, einst für Europa und Eurasien zuständiger Spitzenfunktionär im US-Außenministerium unter Präsident Donald Trump; es müsse daher „zu den wichtigsten Zielen“ jeder US-Strategie gehören, einen Zweifrontenkrieg strikt zu vermeiden (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Die Biden-Administration strebt mit ihren Verhandlungen mit der russischen Regierung nun in der Tat die Dämpfung der Spannungen an.

„Einen Krieg herbeireden“

Scharfe Kritik am Umgang mit Schönbach hat gestern der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat geübt. Kujat urteilt, der Vizeadmiral habe bezüglich der Krim „nur geschildert, was die amerikanische Position ist“: Washington sei erklärtermaßen nicht bereit, die militärische Rückeroberung der Krim zu unterstützen; diese sei damit auf absehbare Zeit für die Ukraine verloren. Zu Schönbachs Plädoyer, Russland „auf Augenhöhe“ zu behandeln, stellt Kujat fest: „Genau das tun die Vereinigten Staaten.“ Seit dem Beginn der aktuellen Verhandlungen strebten „die USA ein stabiles Verhältnis mit Russland an“, weil „China für sie der größere, der gefährlichere Gegner ist“.[11] Kujat bekräftigt, er hätte, wäre er noch im Amt, alles versucht, um Schönbach im Amt zu halten. Der Generalinspekteur a.D. weist außerdem auf die „aufgeheizte Situation“ hin: „Auch in Deutschland werden ja täglich die Kriegstrommeln gerührt, es wird im Grunde genommen versucht, tatsächlich einen Konflikt herbeizureden“. Er habe „manchmal den Eindruck“, niemand begreife mehr, was ein Krieg wirklich bedeute: „Es kann nicht sein, dass wir immer nur von Krieg reden und nicht davon, wie ein Krieg verhindert werden kann.“

 

Mehr zum Thema: „Gleiches Recht auf Sicherheit“ und „Eine Atombombe für die Kapitalmärkte“.

 

[1] Mike Szymanski: Ende eines Ausflugs in die Weltpolitik. sueddeutsche.de 22.01.2022.

[2] Gefahren eines russischen Einmarschs laut Selenskyj „nicht größer geworden“. spiegel.de 20.01.2022.

[3] Christoph B. Schiltz: Warum Vizeadmiral Schönbach gehen musste. welt.de 23.01.2022.

[4] Mike Szymanski: Ende eines Ausflugs in die Weltpolitik. sueddeutsche.de 22.01.2022.

[5] Kritik an Generalen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.01.2022.

[6] Talk by Vice Admiral Kay-Achim Schonbach, Chief of the German Navy. youtube.com 21.01.2022.

[7] India, Russia To Hold 13-Day Mega Joint Military Exercise From August 1. ndtv.com 30.07.2021.

[8] Anurag Bisen: India-Russia Cooperation in Indian Ocean Region, Arctic and Russian Far East. idsa.in 06.12.2021.

[9] Talk by Vice Admiral Kay-Achim Schonbach, Chief of the German Navy. youtube.com 21.01.2022.

[10] S. dazu Führung aus einer Hand (II).

[11] Kujat kritisiert Umgang mit Schönbach. tagesschau.de 23.01.2022.

Der Originalartikel kann hier besucht werden