Eine Nachlese zum Klimagipfel «COP26» in Glasgow: Lippenbekenntnisse sollen die Öffentlichkeit beruhigen.

Es brauche keine PR-Shows wie den Klimagipfel in Glasgow, sondern einen echten Paradigmawechsel und eine Änderung des Lebensstils, erklärt Finanzprofessor Marc Chesney von der Universität Zürich.

Kurze Rückblende auf den Klimagipfel «COP26» in Glasgow: Wie in Samuel Becketts Stück «Endspiel» fehlte es während des Gipfels, dieses globalen Nicht-Ereignisses, an jeglicher Spannung. Die meisten hochrangigen Regierungsdelegierten äusserten sich zwar «enttäuscht», aber wie üblich eher positiv, da sie anscheinend der Meinung sind, dass der «Klimapakt von Glasgow» dem Ziel des UN-Klima-Rahmenabkommens COP entspreche, nämlich den Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5°C zu begrenzen. Dieses Ziel soll offiziell «am Leben erhalten» werden.

Doch dieses Ziel soll nicht auf unbestimmte Zeit am Leben erhalten und an den Tropf gehängt, sondern dieses Ziel soll tatsächlich erreicht werden.

Die Regierungsdelegierten beteuerten einmal mehr, Massnahmen umzusetzen – die sie bereits mehrfach beschlossen hatten. An wen wandten sie sich, wenn nicht an sich selbst? Die «COPains» forderten sich gegenseitig auf, ihre früher beschlossenen Massnahmen umzusetzen, die sie bisher nicht umsetzen wollten. Das war eine schräge Kommunikationsübung, die ein gewisses Know-how, viel Einbildung und Verrenkungen aller Art erforderte.

Eine letzte Diskussionsrunde

Die Inszenierung ist bei jeder COP ähnlich: Ein feierlicher Auftakt, der den Vertretern der Zivilgesellschaft vorgaukeln soll, dass diesmal alle Herausforderungen ernstgenommen würden und dass dieser Gipfel eine echte Chance darstelle, die globale Erwärmung zu reduzieren.

Die Zahl von mindestens 1000 Privatjets, die während des Gipfels von und nach Glasgow flogen, illustrierte, wie wichtig es den hochrangigen Regierungsvertretern und der Industrie für fossile Brennstoffe war, den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken!

Danach folgen jeweils etwa zwei Wochen Palaver und Verhandlungen unter «Entscheidungsträgern», die dann meist beschliessen, die Dinge zu verschleppen. Aufgrund ihres Alters erleben sie die Naturkatastrophen kaum, die ihre Untätigkeit verursacht. Anders als die jüngeren Generationen. Doch diese sind von den eigentlichen Verhandlungen und Entscheidungen ausgeschlossen.

Man kann sich an Lloyd George erinnern, den britischen Premierminister während des Ersten Weltkriegs, wie er sich über die Haltung des französischen Staatschefs und des russischen Aussenministers äusserte: «Man hat das Gefühl, dass Poincaré und Sazonov sich gesagt haben: ‹Es geht nicht darum, den Krieg zu vermeiden; es geht darum, uns den Anschein zu geben, dass wir alles getan haben, um ihn zu vermeiden.›»

Das ist auch heute die Haltung vieler Politiker und Finanziers: Sie wollen den Anschein erwecken, sich um die Lösung von Umweltproblemen zu sorgen. Aber sie tun es nicht wirklich – sehr zur Freude von Konzernen, die umweltschädliche Energien produzieren.

Eine letzte Diskussionsrunde verzögerte den Abschluss der Konferenz. Es geht jeweils darum zu zeigen, dass sich die Entscheidungsträger der Herausforderungen bewusst sind und weder Zeit noch Energie scheuen, um Vereinbarungen auszuarbeiten. Doch in den meisten Fällen versuchen sie nachher nicht einmal ernsthaft, diese umzusetzen.

Eine solche Verzögerung wird bestimmt auch auf der Tagesordnung der nächsten COP stehen, bei der es wieder darum gehen wird, der Gesellschaft vorzugaukeln, dass die Politik und die Finanzwelt die Herausforderungen diesmal verstanden haben und dass dieses nächste Treffen eine echte Chance sei, um die globale Erwärmung zu begrenzen… Wetten, dass die nächste «UN Climate Change Conference» (COP) in Ägypten im Jahr 2022 und die übernächste 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten das Ziel, den Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5°C zu begrenzen, weiter «am Leben erhalten» werden? Bei jedem dieser Treffen wird im Scheinwerferlicht der grossen Medienbühne aus einer Mücke ein Elefant gemacht.

Zynismus und Scheinheiligkeit

In Glasgow wurden die Mitgliedsländer aufgefordert, «die Bemühungen um eine schrittweise Verringerung der Kohleenergie … und der ineffizienten Subventionen für fossile Energieträger zu beschleunigen». Da der Text des Abkommens weder die Frist für diese freundliche Aufforderung nennt noch die Frage beantwortet, wer über eine solche Ineffizienz urteilen soll, klingen solche Sätze besonders hohl. Die Lobbygruppen für diese Energieträger, die mit über 500 Vertretern in Glasgow äusserst präsent waren, werden dafür sorgen, dass die Effizienzkriterien gemäss ihren eigenen Interessen definiert werden.

Noch weniger konkret wurde die «COP26» zu den gigantischen jährlichen Subventionen für fossile Brennstoffe. Nach Berechnungen des EESI (Environmental and Energy Study Institute) erreichen Subventionen fossiler Brennstoffe – ohne die Umwelt- und Gesundheitsschäden – in Europa 55 Milliarden Euro und in den USA 20 Milliarden Dollar – jährlich.  Zählt man dazu auch die enormen Schäden für Umwelt und Gesundheit, welche fossile Energieträger verursachen, dann belaufen sich die weltweiten Subventionen nach Angaben des Internationalen Währungsfonds auf über 5 Billionen US-Dollar und damit auf 6 Prozent des weltweiten BIP.

➜ Ein rascher Abbau dieser Subventionen würde es erlauben, die Energiewende, die für einen maximalen Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts um 1,5 oder 2 Grad erforderlich ist, zu beschleunigen und weitgehend zu finanzieren.

Wenn nicht so viel auf dem Spiel stünde, würden diese immer wiederkehrenden Shows der Klimakonferenzen zum Schmunzeln anregen. Doch Zynismus und Scheinheiligkeit sind inakzeptabel. Das Medienspektakel kann man sich sparen. Angesichts der mageren Ergebnisse von «COP26» und angesichts des CO2-Ausstosses, den die Regierungsvertreter und Lobbyisten durch die Teilnahme an diesem Gipfel verursachten, hätte eine Online-Konferenz ausgereicht.

Was wir brauchen, ist ein echter Paradigmenwechsel und ein Wechsel der Lebensweise, um die Wirtschaft in den Dienst des Menschen zu stellen und ihr ihren räuberischen und zerstörerischen Charakter zu nehmen. Davon sind wir offensichtlich noch weit entfernt.

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Dieser Beitrag erschien in leicht veränderter Form in «Le Temps».

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