Seit 2019 lud die Bundesregierung regelmäßig die Autolobby zu hochrangigen Treffen ins Kanzleramt ein. Der Koalitionsvertrag sieht nun ein Ende dieser sogenannten Autogipfel sowie der Expertenkommission „Nationale Plattform Mobilität“ vor.

In einem Offenen Brief an die neue Bundesregierung fordert LobbyControl gemeinsam mit abgeordnetenwatch.de, Mehr Demokratie und Transparency Deutschland nun einen Neustart der Beziehungen zwischen Politik und Autoindustrie und drängt auf ausgewogene und transparente Beteiligung. Dazu Christina Deckwirth, Autolobby-Expertin und Sprecherin von LobbyControl:

„Das Aus für den Autogipfel ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Das ist ein großartiger Erfolg der vielen Proteste gegen die einseitigen Lobbytreffen mit der Autoindustrie und die dort getroffenen Entscheidungen. Es ist gut, dass die Ampel-Regierung in der Zusammenarbeit zwischen Politik und Autoindustrie nun neue Wege einschlagen wird. Die Autogipfel waren regelmäßig einseitig besetzt und thematisch eng geführt. Allein mit der Autoindustrie über die Zukunft der Branche zu sprechen, ist angesichts der Klimakrise und der notwendigen Transformation der Mobilität überhaupt nicht zielführend“.

Der Autogipfel war aber nur die sichtbarste Spitze der privilegierten Zugänge und engen Verflechtungen zwischen Spitzenpolitik und Autoindustrie. Auch in der Expertenkommission Nationale Plattform Mobilität waren Umweltverbände unterrepräsentiert und die Arbeitsgruppen einseitig auf technologische Fragen beschränkt. Laut Koalitionsvertrag werden die „bestehenden Kooperations- und Dialogformate im Bereich Automobilwirtschaft“ nun in einer „Strategieplattform Transformation der Autoindustrie“ mit Beteiligung u.a. von Umwelt- und Verkehrsverbänden und der Wissenschaft „gebündelt“. Auch bei den Kontakten zwischen Bundesregierung und Autolobby gab es eine fragwürdige Schlagseite zugunsten der Autoindustrie. So traf sich Verkehrsminister Scheuer in seiner Amtszeit 80 mal mit Autokonzernen und nur einmal mit einem Umweltverband.

Deckwirth weiter:

„Wenn die Bundesregierung sich einseitig mit der Autolobby austauscht, führt das zu unausgewogenen Entscheidungen und behindert gemeinwohlorientierte Politik. Immer wieder haben Konzernchefs und ihre Lobbyist:innen die notwendige Transformation der Autoindustrie aufgehalten, um klimaschädliche Geschäftsmodelle zu erhalten. Das schadet allen: dem Klima, aber auch der Branche selbst. Die einseitige Klüngelei mit der Autoindustrie hat das Vertrauen in die Bundesregierung massiv beschädigt.

Nun müssen der neue Bundeskanzler Olaf Scholz und die neuen Minister Robert Habeck und Volker Wissing einen wirklichen Neustart im Umgang mit der Autolobby schaffen. Die Transformation der deutschen Autoindustrie in Richtung Klimaneutralität ist eine riesige Zukunftsaufgabe, die unbedingt breite, ausgewogene und transparente Beteiligung erfordert. Einseitige Klüngelrunden mit der Autoindustrie sind der falsche Ort für solch große Themen.

Es braucht innovative Beteiligungsformate, um die notwendigen Schritte zu gehen und breite Akzeptanz zu erlangen. Deswegen fordern wir gemeinsam mit abgeordnetenwatch.de, Mehr Demokratie und Transparency Deutschland die neue Bundesregierung auf: Beenden Sie privilegierte Zugänge, stellen Sie ausgewogene Beteiligung sicher, legen Sie Kontakte zwischen Regierungsmitgliedern und Interessenvertreter:innen offen und erproben Sie neue Beteiligungsformate!“

Hintergrund

Die Konzertierte Aktion Mobilität wurde von der Bundesregierung 2019 eingerichtet. In diesem Rahmen lud die Bundesregierung regelmäßig zum Autogipfel ins Kanzleramt ein. Teilgenommen haben neben Politiker:innen die Chefs der großen Autokonzerne, der VDA, die IG Metall sowie teilweise auch Zuliefer-Unternehmen und Betriebsräte aus den Unternehmen der Autoindustrie. Auch der Vorsitzende der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität war regelmäßig dabei. Umwelt-, Verbraucher- und Verkehrsverbände sowie Wissenschaft waren ausgeschlossen. Das Thema Klima wurde auch explizit nicht behandelt.

Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität wurde 2018 von Verkehrsminister Scheuer als Nachfolgeorganisation der Nationalen Plattform Elektromobilität einberufen. In der NPM waren Umweltverbände vertreten, allerdings dominierten Vertreter:innen mit Verbindungen zur Automobil- und Mineralölindustrie deutlich. Die meisten Arbeitsgruppen waren auf technologische Aspekte beschränkt. Ein Bündnis aus Umwelt- und Verkehrsverbänden und Politik hatte erst kürzlich den Abschlussbericht als wenig förderlich zur Erreichung der Klimaziele kritisiert.

Die zitierte Passsage aus dem Koalitionsvertrag zu der neuen Strategieplattform finden Sie auf Seite 27, Zeilen 804ff.

10.12.2021

Lobbycontrol.de