Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in der heutigen Bundespressekonferenz sein flüchtlingspolitisches Vermächtnis noch einmal dargelegt. Offenkundig wurden erneut seine blinden Flecken bei der Frage der Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen. Seehofer redet viel von Europa, Humanität und Rechtsstaatlichkeit, jedoch schweigt er zu der eklatanten Verletzung des Asylrechts, der Menschenwürde und des Zurückweisungsverbotes an den Außengrenzen.

„Horst Seehofer hat das Thema verfehlt“, sagt Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von PRO ASYL, zu den Äußerungen des Innenministers in der heutigen Bundespressekonferenz. „Anstatt die Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen anzuprangern, bezeichnet der Innenminister Geflüchtete als ‚hybride Bedrohung‘ und spricht von Unterstützung Polens bei der ‚Abwehr‘ . Genau diese Abwehr setzt die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonention außer Kraft.“

Zur Lage an der deutsch-polnischen Grenze sagt Kopp: „Schutzsuchende, die an deutschen Grenzen ankommen, haben nach geltendem europäischem und deutschem Recht den Anspruch auf faire Asylverfahren.“ In den vergangenen Wochen ist deutlich geworden, dass die derzeitige polnische Regierung internationales und europäisches Recht missachtet. „Asylsuchende, die Deutschland erreichen, dürfen nicht in diese Ungewissheit abgeschoben werden. Sie müssen schnell Zugang zu Asyl in Deutschland erhalten“, fordert Kopp.

Dramatische Lage an der EU-Außengrenze

Völlig aus dem Blick gerät, dass es sich bei denen, die zurückgewiesen werden, auch um Menschen handelt, die aus Kriegsgebieten wie Afghanistan oder Syrien fliehen. „Ein zynischer Diktator Lukaschenko versucht, auf dem Rücken von Schutzsuchenden die Europäische Union zu erpressen“, erklärt Kopp. Auf der anderen Seite stehe Polen, das gemeinsam mit den baltischen Staaten die Flüchtlingsrechte aushebelt. Die EU muss das umgehend sanktionieren, fordert PRO ASYL. „Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt nicht in Moskau, wie Seehofer meint, sondern in Brüssel: Die EU und ihre Mitglieder müssen endlich den Flüchtlingsschutz gemeinsam organisieren und für eine humane Aufnahme sorgen.“ Es ist zynisch, dass die EU-Länder mit der Aufhebung von Rechtsstaatlichkeit und dem Aushebeln der Menschenrechte auf Lukaschenko reagieren, der zeitgleich für Menschenrechtsverletzungen sanktioniert wird.

Sekundärmigration: In Griechenland anerkannte Flüchtlinge

Immer mehr Geflüchtete, die in Griechenland anerkannt sind, kommen aufgrund katastrophaler Bedingungen dort nach Deutschland und bitten hier um Schutz. Das betrifft rund 34.000 Menschen. Seehofer stellt dies als ärgerliches Problem dar, das behoben werden müsse, anstatt Gerichtsurteile zu respektieren: Mehrere deutsche Gerichte, darunter zwei Oberverwaltungsgerichte, haben entschieden, dass derzeit niemand nach Griechenland zurückgeschickt werden darf. Auch Gelder zur menschenwürdigen Unterbringung, die Deutschland nun nach Griechenland überweisen will, werden daran nichts ändern. „Deutschland kann sich aus dem Menschenrechtsschutz nicht freikaufen“, sagt Kopp. „Doch der Innenminister verfällt wieder in seine alten Zurückweisungsfantasien. Die waren schon 2015/2016 rechtswidrig.“

Beunruhigend ist nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation, dass Deutschland die Verantwortung auf andere Länder und die EU abzuschieben versucht. „Eine Schließung der Grenze ist von niemandem beabsichtigt“, sagt Seehofer, während an den europäischen Außengrenzen zur gleichen Zeit Zäune, Mauern und Stacheldraht hochgezogen werden und 12 EU-Staaten kürzlich weitere „physische Barrieren“ forderten. „Im 70. Jahr des Bestehens der Genfer Flüchtlingskonvention wird diese in der Praxis von Europa zunehmend missachtet“, kritisiert Kopp.

Pressemitteilung Pro Asyl vom 20.10.2021
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