Teil 5: Klimakatastrophe als Geschäftsfeld – Gegenwehr und Alternativen 

Bis vor Kurzem schien es, als würde hinter der Corona-Krise die Klimakatastrophe verschwinden. Mit den tödlichen Unwettern im Juli auch in Deutschland rückte sie schmerzhaft ins Bewusstsein. Plötzlich traf dies Bedrohliche nicht „die anderen“, sondern es rückte näher, die eigenen NachbarInnen, Angehörigen und FreundInnen verloren ihr Hab und Gut, Hunderte starben.

Schon Corona hatte gezeigt, wie verletzlich das ist, was hierzulande bislang als alltägliche Normalität galt. Die Unwetter waren wohl erst ein Vorgeschmack darauf, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird. Katastrophen, wie sie Menschen anderenorts – vor allem, aber nicht nur – in den Ländern des globalen Südens schon lange erleiden müssen. 

Hungerstreik in Berlin und globale Vernetzung 

Am 30. August sind sieben junge Menschen in Berlin in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, aus Protest gegen die Untätigkeit der Politik. Sie erklären zu Recht: „Wir sind die letzte Generation, die noch handlungsfähig ist.“ Ebenfalls zu Recht betonen sie: „Es ist die wohl schwierigste und die entscheidende Aufgabe der Menschheitsgeschichte. Wir können in zwei Richtungen weitergehen. Gehen wir den Weg des Massenaussterbens oder ergreifen wir die Chance für einen gerechten Systemwandel? Noch haben wir die Wahl.“ Im Verhältnis dazu scheinen ihre konkreten Forderungen recht moderat. Von den drei KanzlerkandidatInnen fordern sie ein öffentliches Gespräch „über den Mord an der jungen Generation“.

Bis zum Redaktionsschluss Mitte September sah es so aus, als würden die Angesprochenen nicht darauf eingehen. Unabhängig davon, wie der Hungerstreik ausgeht, und auch unabhängig davon, welche Koalition für die nächsten Jahre die Bundesregierung bilden wird, stellt sich die Frage, ob und wie es gelingen kann, die Politik zu bewegen, nach Corona nicht das zerstörerische Wirtschaftssystem zu retten, sondern radikal umzuschwenken, um der Menschheit die Chance einer Zukunft zu geben. Darüber werden vermutlich nicht zuerst die Regierenden entscheiden, sondern sie werden – vielleicht, hoffentlich – darauf reagieren, wenn – ebenfalls vielleicht, hoffentlich – sich Nichtregierungsorganisationen (NGOs), soziale Bewegungen und (potenzielle) WählerInnen noch stärker als bisher auch über Ländergrenzen hinweg zusammentun und lautstark gemeinsam entsprechende Forderungen stellen.

In der Nummer 1 des neuen Rundbriefs „Trossenstek des Netzwerks „In welcher Gesellschaft wollen wir leben“ sind einige Beiträge in diesem Sinne veröffentlicht. In einem Gespräch erkunden fünf AktivistInnen aus antirassistischen Bewegungen und der Klimagerechtigkeitsbewegung mögliche Verbindungen beider Themenfelder aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Bewegungserfahrungen. In einem Interview erläutert Alassane Dicko aus Mali vom Netzwerk Afrique-EuropeInteract, was der Slogan „Der Klimawandel ist rassistisch“ genau bedeutet. In einem weiteren Beitrag geht es um die Reise der Zapatistas nach Europa (siehe auch Rabe Ralf August 2021, S. 17). Berfin Gözen von Cenî, dem kurdischen Frauenbüro für Frieden, berichtet im Interview über die feministische Arbeit in Rojava und kommentiert kritisch einige Auseinandersetzungen in der gesellschaftlichen Linken in Deutschland.

Mit nachhaltigem Investment Gewinne machen

Mit zunehmender Sichtbarkeit der Klimakatastrophe klingen klimawandelleugnende Stimmen immer absurder und unglaubwürdiger. Für immer mehr Unternehmen ist es weitaus erfolgversprechender, sich an veränderte gesellschaftliche und marktwirtschaftliche Erfordernisse anzupassen. Bereits seit Jahrzehnten gibt sich beispielsweise das Weltwirtschaftsforum ökologisch und sozial (siehe Teil 4, Dezember 2020, S. 18). Im dominanten profitgetriebenen Wirtschaftssystem lässt sich noch jedes Problem zur Ware machen, und so entstehen immer neue Geschäftsfelder, deren Vertreter marktbasierte Lösungen der Klimakatastrophe versprechen. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) spricht nun vom klimaneutralen Umbau der Wirtschaft, für den „das richtige Innovationsklima“ nötig sei.

Ganz in diesem Sinne ist es dem machtvollen Finanzinvestor Blackrock gelungen, sich als Vorreiter der Nachhaltigkeit zu positionieren. Blackrock ist der größte in einer Reihe von neuen Finanzmarktakteuren, deren einziger Zweck es ist, Geld einzusammeln – von Reichen und Superreichen, aber auch von Pensionsfonds – und daraus mehr Geld zu machen. Blackrock berät die US-amerikanische Zentralbank Fed und auch die Europäische Zentralbank EZB, welche die 750 Milliarden Euro Corona-Wirtschaftshilfen aus dem Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union verteilt. Der Finanzinvestor ist Aktionär in Öl- und Kohlekonzernen, in Rüstungsunternehmen und im Agrobusiness, berät aber gleichzeitig die Europäische Kommission in Nachhaltigkeitsfragen. Der CDU-Politiker Friedrich Merz war bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock in Deutschland und gehört zum „Zukunftsteam“ von Kanzlerkandidat Armin Laschet (mehr zu Merz bei LobbyPedia). Mit „nachhaltigen Geldanlagen“ möchte Blackrock ökologische und soziale Probleme lösen.

Unter dem Titel „Der Konzern, dem die Welt gehört“ hatten JournalistInnen der Europäischen Mediengenossenschaft Investigate Europe schon 2018 umfangreiche Rechercheergebnisse zum Finanzinvestor Blackrock zusammengetragen. Dieser habe „eine größere Wirtschaftsmacht als nahezu aller Staaten der Welt“. Im September 2020 fand in Berlin ein „Blackrock-Tribunal“ statt, initiiert von dem kurz darauf verstorbenen Berliner Politikprofessor Peter Grottian und dem Kölner Publizisten Werner Rügemer. Nach der „Beweisaufnahme“ verlangte das „Urteil“ des Tribunals die Auflösung des Unternehmens und die Offenlegung aller Geschäftsunterlagen. Volkswirtschaftlich nützliche Teile sollten in die öffentliche Hand überführt und demokratisiert werden. Im Mai dieses Jahres fand auch in den USA eine „People’s Assembly on BlackRock“ statt. 

Wohlklingende Klima-Scheinlösungen  

Im September hat die Kampagne „Nein zu Scheinlösungen in der Klimakrise“ begonnen. Klima-Scheinlösungen dienten „häufig als grüne Beruhigungspille, um weitermachen zu können wie bisher“, heißt es in einem Positionspapier der Kampagne. Manche würden gar „das Risiko ungeahnter Katastrophen“ bergen, wie beispielsweise die technische Beeinflussung des Klimas mit Geoengineering. Viele würden „Kolonialismus und Ausbeutung fortführen“. Manches, was an sich richtig sei, könne in zu großem Umfang Schäden anrichten „oder als vollumfänglicher Heilsbringer kommuniziert werden“ und „von tatsächlich klimagerechten Lösungen ablenken“. Den Hoffnungen auf grünes Wachstum und neue Technologien wird eine klare Absage erteilt, weil „Wirtschaftswachstum immer mit Naturverbrauch einhergeht“. 26 Scheinlösungen von „Atomenergie“ bis „Wasserstoff“ werden jeweils kurz beschrieben und mit weiterführenden Quellen versehen. Darunter beispielsweise auch „Biokohle/Terra preta“, die ja gemeinhin einen guten Ruf hat. Kritisiert wird jedoch der großflächige Einsatz zur CO₂-Speicherung und zur CO₂-Kompensation. Die meistens im globalen Süden angesiedelten Kompensationsprojekte führten oft zu Landraub oder ökologischen Problemen.

Auch die „Effizienz im Gebäudesektor“ wird kritisch gesehen: „Mit dem Argument der Effizienz wird häufig der Neubau von Häusern legitimiert, denn es heißt, bestehende Gebäude hätten einen hohen Energieverbrauch und teure Sanierungskosten. Die sogenannte graue Energie und die grauen Emissionen, welche bei der Herstellung der Baustoffe, beim Bau selbst und beim Transport anfallen, die Umweltwirkungen von Flächenverbrauch, Zersiedelung und Abriss werden dabei bisher nicht berücksichtigt.“

Bauen mit Holz sei ebenfalls nicht automatisch nachhaltig, sondern dies hänge von vielen Faktoren ab, und der Schaden könne auch höher sein als der Nutzen. Kritisiert werden auch Elektroautos, Emissionshandel, käufliche Herkunftsnachweise für Ökostrom und vieles mehr. Das Speichern von CO₂ in Pflanzen durch sogenannte „Nature-Based Solutions“ könne sinnvoll, aber auch problematisch sein. Wir bräuchten „eine Wirtschaft, die die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt – statt zunehmende Profite für wenige und Wachstumszwang“. Leider bewegt sich die Welt bislang in die entgegengesetzte Richtung.

Vereinte Nationen im Zangengriff der Konzerne

Im Sommer 2019 hatten die Vereinten Nationen mit dem Weltwirtschaftsforum ein strategisches öffentlich-privates Partnerschaftsabkommen (Public-Private Partnership) zur Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung abgeschlossen. Auf Initiative des Transnational Institute forderten damals mehr als 400 namhafte Nichtregierungsorganisationen von UN-Generalsekretär António Guterres, das Abkommen zu kündigen. Die Vereinten Nationen sollten sich nicht dauerhaft mit Konzernen verbinden, die selbst Verursacher der sozialen und ökologischen Krisen sind. In einem offenen Brief wiesen sie darauf hin, dass es das Ziel des Weltwirtschaftsforums sei, die Rolle der Staaten zu schwächen. Der bisher politisch gesteuerte Multilateralismus solle in ein „Multistakeholder“-System umgewandelt werden, in dem private Unternehmen an globalen Entscheidungen beteiligt werden – im Namen des Klimaschutzes.

Angesichts der Corona-Krise erneuerten sie im vergangenen Frühjahr ihre Aufforderung, die Partnerschaft sofort zu beenden. Es sei typisch für diese Zusammenarbeit, dass die reichsten Länder sich durch exklusive Verträge mit privaten Pharmaunternehmen Impfstoffe gesichert hätten, während die Verteilung der Impfstoffe an die Ärmsten an die neue Multistakeholder-Gruppe Covax ausgelagert wurde, die zwischen Impfstoffherstellern, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und den Gesundheitsbedürfnissen der Bevölkerung vermitteln solle. Anstelle des vom Weltwirtschaftsforum propagierten „Great Reset“ – eines großen Neustarts, der eher ein „Great Take Over“ sei, eine große Übernahme, mit der das UN-System durch privatwirtschaftliche Interessen zerstört würde – forderten sie einen „Democratic Reset“, einen demokratischen Neustart, denn: „Globale Krisen erfordern eine globale Steuerung im öffentlichen Interesse.“

Auch das sogenannte Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada, das eigentlich ein Investitionsschutzabkommen ist, zielt darauf, die Gestaltungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand drastisch zu beschneiden. Wenn es wirksam würde, wäre eine soziale oder ökologische Einhegung der Wirtschaft nahezu unmöglich. Jedes Unternehmen mit Sitz in Kanada könnte dann gegen jedes Land der EU vor einem privatem Schiedsgericht auf Unterlassung von Maßnahmen klagen, die Natur und Bevölkerung schützen sollen, wenn es dadurch seine Gewinnerzielungsmöglichkeiten eingeschränkt sieht. Damit würden die gewählten Parlamente in Wirtschaftsfragen entmachtet. 

Der Macht der Konzerne etwas entgegensetzen? 

Die Situation ist zum Verzweifeln, aber Aufgeben würde bedeuten, dass die Welt an die Wand fährt. Die Machthabenden sind in strukturellen Wachstumszwängen gefangenen und handeln oft genug auch aus persönlichen Karriere- und Bereicherungswünschen heraus. Aber selbst wenn sie es subjektiv gut meinen, werden sie – ob in Wirtschaft oder Politik –  die Bedrohungen eher verschärfen als deren Ursachen endlich zu stoppen, solange sie für den Erhalt dieses Wirtschaftssystems handeln.

Es gibt kein Rezept für den notwendigen Bruch mit dem Bestehenden, lediglich die Einsicht in die Notwendigkeit, dass statt weiterem Wirtschaftswachstum nun Schrumpfung („Degrowth“) dringend notwendig ist. Das bedeutet ein drastisches Herunterfahren des Verbrauchs von Naturschätzen und Energie, vor allem in den reichen Ländern. Ob dieses Degrowth „by design or by disaster“ erfolgt, ob es also bewusst gestaltet wird oder in krisenhafter Verarmung breiter Bevölkerungsschichten endet, das werden die nächsten Jahre und Jahrzehnte zeigen.

Ein Vorschein des Neuen könnte das schöne E-Wort sein, das seit einiger Zeit salonfähig geworden ist. Mit dem Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“ ist das schrankenlose Eigentumsrecht wenigstens ein bisschen in Frage gestellt worden, auch wenn es eher um Vergesellschaftung geht (nicht um Verstaatlichung, sondern um Demokratisierung, das ist wichtig!) und die Enteigneten entschädigt werden sollen. Werner Rügemer hat soeben sein neues Buch „BlackRock & Co. enteignen!“ veröffentlicht. Dem schrankenlosen Recht auf Eigentum wird seine quasi-religiöse Selbstverständlichkeit abgesprochen, und vielleicht gelingt es nach und nach, sowohl ideell als auch materiell solche illegitimen Vermögensmassen abzuschaffen.

Kapital ist Macht. Ob es eigenes Vermögen ist oder die Verwaltung fremder Gelder – in jedem Fall bedeutet es Verfügungsmacht über andere Menschen und über die Natur – mit den bekannten zerstörerischen Folgen. Das Verlangen nach Macht und Herrschaft ist jedoch älter als der Kapitalismus, es stammt aus patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen und schafft diese immer wieder neu, bis heute. Da ist es nicht damit getan, dass die Herren der Welt – meist weiß und älter – durch HerrscherInnen in gebührender Diversität ersetzt werden. Weder hat eine Kanzlerin Merkel den Feminismus dominant werden lassen noch ein Präsident Obama den Antirassismus. Auch divers besetzte Aufsichtsräte profitorientierter Unternehmen ändern nichts Grundlegendes. Das Prinzip Herrschaft – das es überhaupt erst ermöglicht, dass sich illegitim große Vermögensmassen bilden – gehört hinterfragt und abgeschafft.

Wenn die Menschheit eine Zukunft haben soll, dann wird es darum gehen, die Reproduktion des Lebens, das heißt die Herstellung des Lebensnotwendigen – ob mit oder ohne Markt – auf friedliche und demokratische Weise gemeinsam zu organisieren. Überwiegend lokal und regional, aber auch im solidarischen globalen Austausch. Ansätze dazu gibt es schon heute („Solidarische Ökonomie“, Rabe Ralf Februar 2019, S. 20).

Nachhaltig wirtschaften – aber wie?

Langsam und stetig, wie eine Schildkröte: Der „Trossenstek“ ist ein Experiment. (Foto: welche-gesellschaft.org)

Berlin ist keine Insel

Eine Transformation der Ökonomie und eine überwiegend regionale Grundversorgung mit Lebensmitteln, Energie und Ähnlichem kann Berlin nicht allein organisieren. Die Stadt ist keine Insel. Eine andere Wirtschaft braucht eine gemeinsame Versorgungsregion Berlin-Brandenburg – nicht Standortpflege und globalen Wettbewerb, wofür die aktuelle Wirtschaftspolitik steht.

Die notwendige Abkehr vom Wachstum wird sich nur gemeinsam mit den BerlinerInnen und BrandenburgerInnen erreichen lassen, nicht gegen sie, denn es geht nicht um vorübergehende Maßnahmen, sondern um dauerhafte Veränderungen des Wirtschaftens. Das wird mit Notstand und autoritären Top-down-Zwangsmaßnahmen (selbst wenn es dafür politische Mehrheiten gäbe) nicht zu erreichen sein.

Wie ein demokratischer Prozess mit zunehmender Selbstermächtigung der Bevölkerung aussehen kann, ist eine große Frage. Er wird sicher konflikthaft verlaufen, aber auch Momente und Erfahrungen von Solidarität mit sich bringen. Und wer weiß, auch wenn es derzeit nicht viel Hoffnung zu geben scheint – gesellschaftliche Verhältnisse können sich innerhalb kürzester Zeit verändern. Auch zum Besseren.

Transparenzhinweis: Die Autorin gehört zur Redaktion des Trossenstek. Sie ist Vorstandsmitglied beim NETZ für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg, das das Positionspapier zu den Klimascheinlösungen unterstützt, hat aber selbst nicht daran mitgewirkt.

Weitere Informationen:
www.welche-gesellschaft.org (Trossenstek)
www.netz-bb.netz.coop
www.klimascheinloesungen.de

Teil 1: Vorschlag zum Gelingen – mit Donut-Ökonomie und demokratischer Umsetzung
Teil 2: Weniger Globalisierung und Wachstum durch Corona – Chance zum Umsteuern?
Teil 3: Trotz allem nicht aufgeben – Wirtschaftsdemokratie!
Teil 4: Auch in Berlin: Profitable Raubzüge und hoffnungsvolle Alternativen

Der Artikel wurde bei DER RABE RALF Oktober/November 2021, Seite 20/21 erstveröffentlicht.