Johanna Adorján hat ein etwas anderes Buch über den alten weißen Mann geschrieben, das mich eingangs ob seiner Bissigkeit und Demaskierung sehr amüsiert, dann irritiert, anschließend ein bisschen geärgert – weil ich plötzlich Mitleid mit dem alternden Protagonisten bekommen habe – und letztendlich aber ziemlich begeistert hat. Sie teilt nämlich sehr gerecht nicht nur ordentlich gegen diese mittlerweile etwas in Verruf gekommene männliche Spezies aus, die auf ihren Privilegien zu beharren und diese mit teilweise unlauteren Mitteln zu verteidigen weiß, sondern sie nimmt sich auch des Problems an, dass manche modernen, für berechtigte Anliegen kämpfenden Frauen, man nennt sie auch oft Social Justice Warrior (auf Deutsch Soziale-Gerechtigkeits-Krieger) in ihren angewandten Methoden mitunter so zu weit gehen, dass sie sich damit genauso wie ihre Kontrahenten total ins Unrecht setzen.

Da ich mich als schon fast alte weiße Frau und Feministin alten Stils ja nicht mehr ganz so mit der Szene auskenne, hatte ich die Chance und das Vergnügen, hierzu mit einer jüngeren Lesefreundin zu diskutieren, die mich auch ordentlich mit Hintergrundmaterial in Form von Links versorgt hat. Sie meinte wie immer pointiert und knackig:

„Sich gegen den alten weißen Mann undifferenziert zu äußern ist der ultimative Trend des derzeitigen Schmalspur-Feminismus-Diskurses. Laaaangweilig! Demontage des Patriarchats? Ja, aber bitte auf Niveau. Da bin ich ganz bei Adorján!“

Diese Aussage kann ich total unterschreiben, denn dass der absolut notwendige und legitime Kampf um Frauenrechte mittlerweile hin und wieder durch falsche Methoden in eine Richtung geht, die mitunter wirklich moralisch nicht mehr zulässig ist, habe ich schon öfter am Rande mitbekommen, was mir zwar Unbehagen verursachte, aber was ich für Einzelfälle hielt. Dass hier eine größere Bewegung entstanden ist, die sich meiner Meinung nach in die total verkehrte Richtung verrannt hat, war mir lange nicht bewusst. Diesen Aspekt hat die Autorin aber sehr klug in ihren Roman eingebaut.

Hans Benedek, gefragter, einflussreicher Feuilletonist, dessen bissige Feder bisher allseits geschätzt wurde, ist unser männlicher Prototyp des alten weißen Mannes. Er ist glücklich mit seiner begabten Frau Henriette verheiratet, die für ihn eine vielversprechende Karriere als Schriftstellerin aufgegeben hat und als Ehefrau und Mutter ausschließlich dafür lebt, ihre Familie unterstützt und ihrem Mann den Rücken freigehalten zu haben. Henriette ist eine typische Supporterin, die sich permanent unterbuttern lässt und sogar die teilweise sexistischen Stereotype der Männerwelt übernimmt und verteidigt. Die Veröffentlichung ihres ersten und einzigen Lyrikbandes, der damals in der Buchbranche einiges an Aufmerksamkeit erregte, ist auch schon so lange her, dass Henriette mittlerweile daran zweifelt, ob sie wirklich das Zeug zu einer erfolgreichen Autorin gehabt hätte.

Eines Tages möchte sich die berühmte feministische Aktivistin und Online-Influencerin Xandi Lochner mit Henriette treffen und gesteht ihr beim Lunch so nebenbei, dass sie ein großer Fan ihrer Lyrik ist. Xandi legt den Finger in eine alte Wunde Henriettes, weil sie erstens ihr Talent bestätigt und ihr indirekt vor Augen führt, dass sie dieses vergeudet hat, indem sie aufhörte zu schreiben.

Als Hans erfährt, dass sich seine Frau mit der angesagten Online-Berühmtheit getroffen hat, ist er ziemlich schnell Feuer und Flamme, ein Portrait über die gefragte Feministin zu schreiben. Der Feuilletonist ist zwar auf Grund seines Alters nicht mehr immer up to date mit den aktuellen Trends, aber um seinen Bedeutungsverlust zu verhindern, diskutiert er öfter mit einem jüngeren Bekannten, der ihn auf dem Laufenden hält. Xandi Lochner ist also eine angesagte Persönlichkeit und Hans wittert seine Chance, sich in seiner Redaktion erneut als Journalist, der am Puls der Zeit lebt, zu präsentieren. In seiner Zeitung hat sich in letzter Zeit auch einiges verändert, und so muss er seine junge Kollegin und Geliebte, die er als Mentor schon öfter unterstützt hat, mitnehmen, weil sie als Frau unbedingt als Co-Autorin in diesem Portrait fungieren soll.

Das Treffen mit Xandi Lochner wird zur Nemesis für die alten weißen Männer. Zuerst erwischt es den alternden Moderator Denninger, den die Feministin live und im Beisein von Hans dazu bringt, in seiner eigenen Show beruflichen Harakiri zu begehen. Denninger bestätigt und wiederholt sogar vor Live-Publikum ohne Not seine sexistischen Witze aus den 80er-Jahren über eine Frühstücksfernsehmoderatorin und will auch überhaupt nicht verstehen, warum das weder damals korrekt war als auch heute einfach nicht legitim ist, so etwas zu tun. Hans ist elektrisiert und begeistert, dass er diesem Ereignis als Journalist beiwohnen durfte, denn er hat erkannt, dass hier die Ära eines Sauriers zu Ende gegangen ist, ohne zu realisieren, dass es ihm selbst als Vertreter derselben Gattung auch noch an den Kragen gehen wird.

An dieser Stelle möchte ich mich fürs Spoilern entschuldigen, denn mein Lob zum Plot kann von mir leider nur durch die Schilderung einer zentralen Szene recht weit am Ende der Geschichte belegt werden. Wer sich also überraschen lassen will, möge bitte die nächsten Absätze überspringen und beim Fazit wieder einsteigen.

Am Abend beim gemütlichen Zusammensein glaubt Hans, seine Kollegin abhängen zu müssen, um das Portrait mit Xandi alleine schreiben zu können, nicht wissend, dass eigentlich er in eine perfide Falle getappt ist. Die Feministin ist eine geschickte Manipulatorin, die Hans zuerst völlig betrunken macht, ihn anschließend in eine Situation bringt, in der er sich total lächerlich macht, indem sie ihn zum lallenden Mansplainen animiert. Sie hält diese Szene filmisch fest und veröffentlicht sie auf Twitter einem riesengroßen Publikum. Sie hat Hans ganz gezielt vorgeführt und mittlerweile ist nicht einmal klar, ob sie diese Idee nicht von Anfang an verfolgt hat, als sie Henriette einlud. Jetzt könnte man sagen, dass der gute Mann ja nicht gezwungen wurde, soviel zu trinken, aber so einfach ist die Sache nicht. Xandi hat als Veganerin jeden Versuch von Hans torpediert, irgendetwas zu Essen zu bekommen. Sie wechselt mehrmals nach der Konsumation der Getränke abrupt das Lokal, weil ihr die Speisekarte kein adäquates veganes Essen bietet. Hans, der Gentleman der alten Schule folgt ihr bereitwillig und tappt in die Falle. Wer schon einmal auf nüchternen Magen zu viel getrunken hat, weiß, wie stark und wie überraschend schneller der Alkohol wirkt, wenn der Magen leer ist.

An diesem Punkt war ich der Autorin kurze Zeit ein bisschen böse, weil sie mich dazu zwang, auch noch Mitleid mit dem Protagonisten zu empfinden, da ihm gar so übel mitgespielt wurde. Dann habe ich aber realisiert, wie ausgewogen, gerecht, genial und perfide sie das Fett verteilt hat. Sie hat mich mit viel Humor überlistet, bei all der berechtigten Kritik am alten weißen Mann nicht in ungerechte Muster zu verfallen, und das ist gut so.

Denn die Antagonistin Xandi als Soziale-Gerechtigkeits-Kämpferin überschreitet mit zunehmenden Aktionen gegen die von ihr verorteten Ungerechtigkeiten am Ende völlig die Grenzen des moralisch Vertretbaren: Die erste Stufe, die Unterstützung der unterbutterten Ehefrau, ist eine recht gelinde Strategie und absolut notwendig. In ihrem Kampf auf Stufe zwei schafft es Xandi, einen alten weißen Mann dazu zu bewegen, seine Taten der Vergangenheit zu gestehen. Denninger ist selbst schuld, wenn er keine Einsicht zeigt und die Tat quasi wiederholt und aktualisiert. Auch dieses Vorführen ist durchaus legitim, denn der Betroffene hat sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte selbst entlarvt. Was die Feministin hingegen mit dem Protagonisten Hans anstellt, ist wirklich skrupellos. Ihn besoffen machen, angraben, lächerlich machen und auch noch filmisch auf Twitter vorführen, ist unterste Schublade und vom Niveau eines üblen Pubertätsscherzes. So etwas erinnert mich frappant an die fiesen Aktionen auf Teenagerpartys, die eigentlich fast nur mit Mädchen abgezogen wurden. Zuerst betrunken machen und dann der Lächerlichkeit preisgeben, wenn sie sich dementsprechend verhalten. So ein Verhalten ist tatsächlich von meiner Warte aus nicht mehr moralisch akzeptabel, nicht bei Teenagern, denen man wenigstens noch jugendlichen Leichtsinn nachsagen könnte, und schon gar nicht bei Erwachsenen im Kampf um eine gerechte gesellschaftliche Agenda. Im Krieg der Geschlechter ist nämlich nicht alles erlaubt.

Dieses reale, recht moderne Problem hat die Autorin im Plot ausgezeichnet herausgearbeitet. Ihre Figuren sind tiefgründig, konsistent und glaubwürdig konzipiert, mitunter überraschen sie die Leserschaft sogar.

Fazit: Ich fand den Roman witzig, beißend ironische Kritik wird ganz fein und sehr gleichmäßig auf alle Parteien dieses gegenwärtig so aktuellen Diskurses verteilt. Ich habe mich amüsiert, wurde zum Nachdenken angeregt und habe durch die notwendige Zusatzrecherche sehr viel zu dem Thema gelernt. Herz, was willst Du mehr! Deshalb gibt es eine Leseempfehlung von mir.

Ciao von Johanna Adorján ist 2021 im Verlag Kiepenheuer&Witsch als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite. Rezension von awogfli

Der Originalartikel kann hier besucht werden