Am Vormittag des 07. September blockierten Klimaaktivist:innen im Raum München durch Abseilaktionen sämtliche Autobahn-Zufahrtswege zur Automobilmesse IAA.

So seilten sich auch auf der A96 bei Unterpfaffenhofen (Bushaltestelle Neue Gautinger Strasse) Klimaaktivist:innen unter dem Motto „blockIAA“ von einer Autobahnbrücke ab. Die Polizei sperrte daraufhin die Strecke und legte dort sowie an mehreren anderen Protest-Orten rund um München den Autobahnverkehr still.

Anlass der kreativen Proteste ist die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA). Ein*e Aktivist*in, die sich an der Aktion auf der A96 beteiligte, erläutert: „Die IAA hält an der Vergangenheit fest! Statt Scheinlösungen wie E-Autos als Ausweg aus der Krise zu verkaufen, braucht es eine echte solidarische und klimagerechte Mobilitätswende. Diese öffentliche, auffällige Protestform hält der Öffentlichkeit die allgegenwärtige Gefahr der Klimakrise vor Augen. Wir fordern autofreie Städte, einen stark ausgebauten und kostenlosen ÖPNV – vor allem auf dem Land. Und den sofortigen Baustopp aller Autobahnprojekte!“

Weltweit verursacht der Verkehrssektor nach Energie und Industrie die meisten CO2-Emissionen (1). „Zugunsten der Profitmaximierung der Automobilhersteller BMW, Daimler, Tesla und Co. nehmen wir verheerende Ausbeutung und Umweltzerstörung im globalen Süden in Kauf. Auch Elektroautos lösen unsere Probleme nicht, sie verlagern sie nur. Das Greenwashing der Industrie wird weder Rohstoffkriege verhindern, noch wird es die Klimakatastrophe aufhalten!“, meint Susanne, Aktivistin der IAA-Gegenproteste.

Für die Einsparung von Treibhausgasemissionen und damit für die Bekämpfung der Klimakrise ist es essenziell, dass Mobilität und Transport auf emissionsarme Verkehrsmittel gelegt wird. Damit Deutschland das unterzeichnete Pariser Klima-Abkommen einhalten kann, braucht es eine radikale Verkehrswende. Die Machbarkeitsstudie des Wuppertalinstituts zeigt, dass dafür unter anderem der motorisierte Individualverkehr halbiert werden muss.

„Erst letztes Jahr haben wir gesehen, wie Teile eines gesunden Mischwalds – der Dannenröder Forst – für einen Bauabschnitt der Bundesautobahn 49 gerodet wurde. Und auch dieses Jahr werden 850 Kilometer neue Autobahnstrecke gebaut. Das ist nichts anderes als unverantwortlich, wenn man die Folgen der Klimakrise bedenkt. „Wir müssen endlich weg von motorisiertem Individualverkehr hin zu klimafreundlicheren Alternativen wie Schienen, bzw. ÖPNV aller Art“, ergänzt eine andere Aktivistin an der A96.

„Waldbrände in Kalifornien, Dürren in Äthiopien, Flutkatastrophen in NRW, der Golfstrom ist kurz vor dem Kollaps… Die Menschheit hätte eigentlich nichts dringlicher zu tun, als ihre Lebens- und Wirtschaftsweise grundlegend zu überdenken und schnellstmöglich radikale Veränderungen umzusetzen. Weil das aber persönlicher Profitgier und Luxuswahn nicht genüge tut, organisiert der Verband der Automobilindustrie stattdessen wieder die grösste PS-Pornoshow der Welt: dieses Jahr zu Gast in München. Den reibungslosen Ablauf dieser Show werden wir verhindern!“, so Kim M., eins der Aktivisti.

„Erleben und testen Sie die Mobilität von morgen“, wirbt die IAA dieses Jahr für die weltgrösste Automesse. Gemeint sind vor allem Elektroautos, aber auch elektrische Roller, autonome Fahr-Kapseln und andere luxuriös-futuristische Verrücktheiten.

„Elektroautos als nachhaltige Mobilität ist das neueste Märchen der Automobilindustrie. Mit unserem Protest auf den Strassen, bei Automessen, Autokonzernen und Lobbyverbänden werden wir dafür sorgen, dass dies ihr letztes Märchen war. Denn die Zerstörungskraft von Elektroautos ist mindestens genauso gross wie die der Verbrenner. Unser Ziel ist nicht weniger als die Automobilindustrie und ihre Lobby zu zerschlagen!“, so ein Aktivisti.

„Die E-Mobilität ist keine Antwort auf die Klimakrise und den Verkehrskollaps, wenn sie weiterhin die Idee des automobilen Individualverkehrs trägt.“, sagte eine*r der Aktivist*innen. Ein E-Auto verbraucht genausoviel Energie und Platz wie ein Verbrenner, macht ab 30 km/h genausoviel Lärm und sorgt durch Reifenabrieb auch für genausoviel giftige Feinstaubbelastung. Und auch ein E-Auto wiegt weiterhin 1,5 Tonnen und bleibt damit ein höchst ineffizientes Verkehrsmittel, da es im Schnitt nur eine Stunde am Tag fährt und dabei nur 1,3 Menschen transportiert.

„Politik und Auto-Branche haben sich auf E-Mobilität versteift, weil hierbei die grundlegenden Fragen der Mobilität nicht angetastet werden müssen. Eigentlich ist allen klar: Das Auto ist ein Fortbewegungsmittel des letzten Jahrtausends. Durch die rein technische Mikrokorrektur des Antriebs entsteht einfach nur ein weiterer grün-gewaschener Markt, mit dem Ziel die Profite der Auto-Konzerne zu sichern, auch wenn ihre Produkte schon lange nicht mehr zeitgemäss sind. Die wirklichen Probleme werden dabei nicht angegangen, obwohl die Alternative für einen klimagerechten Verkehr schon lange da ist – in Form von Bus und Bahn. Was fehlt, ist der Wille der Regierung, eine klimagerechte Verkehrswende voranzutreiben und dem motorisierten Individualverkehr den Riegel vorzuschieben.“, teilte eine*r der Aktivist*innen mit.

Stattdessen baut die Bundesregierung weiterhin fleissig Autobahnen, häufig sogar mit der grotesken Begründung, damit Wege und somit CO2 zu sparen. Der Bau von Autobahnen sorgt dabei aber nachweislich für mehr Strassenverkehr und verstärkt Probleme anstatt sie zu lösen. Noch dazu ist das Auto das gefährlichste Verkehrsmittel: Mit acht bis neun Toten und über tausend Verletzten täglich allein in Deutschland sind Strassen und Autobahnen wahre Todespisten. Doch die Autoindustrie wird für ihre umweltschädlichen Machenschaften auch noch belohnt. Mit bis zu 9000 Euro wird der Neukauf eines E-Autos gefördert. Hinzu kommt eine Kfz-Steuerbefreiung für reine Elektroautos.

Für eine ökologisch und sozial gerechte Verkehrswende muss auf die Schiene gesetzt werden. Sie ist deutlich effizienter, ungefährlicher und frisst weniger Platz als das Auto. Der ÖPNV muss, vor allem im ländlichen Raum, ausgebaut werden und zu einem Nulltarif zugänglich sein, damit alle diesen nutzen können.

Flächendeckend kostenloser, gut ausgebauter und getakteter Öffentlicher Verkehr ist keine Utopie, sondern schon heute machbar. Allein mit den Geldern, mit denen der Luftverkehr subventioniert wird (12 Mrd Euro), lässt sich ein bundesweiter Nulltarif finanzieren (12 Mrd Euro beträgt auch die Summe aller Fahrscheineinnahmen). Die noch höheren Geldsummen, durch die Automobilverkehr und -infrastruktur subventioniert wird, lassen sich in einen massiven Ausbau des ÖPNV und Rad- und Fussverkehrs-Infrastruktur umleiten. Der Wegfall weiterer Sekundärkosten (Klimafolgekosten, Unfalltote und Verletzte, Landschaftszerstörung, Luftschadstoffe…) geht zugunsten besserer Lebensqualität für Alle – ein Wert, der sich kaum in Geld aufwiegen lässt.

Die Rechnung klingt simpel. Grundlegende Weichen in der Politik neu stellen für ein Gutes Leben für Alle. Warum sollten wir weiter unseren Planeten zerstören? Natürlich für Profite.

So findet in München, einer Stadt, die noch nie mit ihrer progressiven Politik Schlagzeilen gemacht hat, im Klimax der Klimakrise, die IAA statt. Und währenddessen basteln unbelehrbare Technokraten in Laboren der TU München an einem Prototyp für Autonome-Hochgeschwindigkeits-Rohrpost-Personentransport-Kapseln à la Elon Musk.

Am 9. August 2021 ist der erste Teil des neuen IPCC-Berichts erschienen. Er zeigt: Die menschgemachte Klimakrise hat bereits weltweite und weitreichende Folgen. Das 1,5 Grad Limit nicht zu überschreiten wird extrem schwierig und kann nur gelingen, wenn jetzt sofort Massnahmen ergriffen werden. Diese Massnahmen erscheinen inzwischen sehr drastisch, sie werden aber leider immer drastischer sein müssen, umso länger wir zögern. Das was dieses Jahr auf der IAA gezeigt wird, wäre vielleicht vor 40 Jahren angemessen gewesen, wenn wir uns einen schleichenden Prozess hätten leisten wollen. Leisten wir uns das Schlafwandeln, ereichen wir die 1,5 Grad bereits 2030.

„Wir haben den Bericht des IPCCs verstanden und wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir möchten andere, ältere Menschen animieren, sich nicht länger ihrer Mitverantwortung zu entziehen. Lasst uns Aktionen – so wie wir – zusammen mit den jungen Menschen machen,“ erklärt eine*r der alten Aktivist*innen, „und unser Vorteil: So leicht lassen wir uns nicht kriminalisieren, so leicht lässt sich uns nicht vorwerfen, wir seien arbeitsscheues Gesindel. Wir schauen auf ein langjähriges Arbeitsleben und mussten teilweise extra Urlaub nehmen. Einige von uns haben erst spät verstanden, dass es in diesem zerstörerischen System keine echte Nische gibt, kein richtiges Leben im falschen und sind dann ausgestiegen.

Der Vorwurf „geht mal arbeiten“ der uns z. B. bei Fahrraddemos von dem ein oder anderen Balkon entgegenschallt ist jedenfalls lächerlich. Wir sind ja gerade am Arbeiten: Das Abseilen von Brücken ist anstrengend. Wir würden lieber mit unseren Enkelinnen in den letzten halbwegs gesunden Mischwäldern spazieren gehen. Aber die werden ja abgeholzt für Autobahnen, um mehr Platz für anachronistischen Individualverkehr zu schaffen.

Also, raus aus der Komfortzone und rein ins Klettergeschirr oder was du sonst so drauf hast und beisteuern kannst. Es geht. Und quietschen auch die Kniescheiben etwas: Was gar nicht funktioniert, ist, die beginnende Klimakatastrophe am Bildschirm zu verfolgen, die Mitverursachung zu leugnen und unsere Kinder ins offene Messer laufen lassen!“

Der Originalartikel kann hier besucht werden