Mit dem Baubeginn des Kanal Istanbul, der das Marmarameer und das Schwarze Meer verbindet, wurde ein neues Mega-Projekt angestoßen. Dieser Kanal soll eine Alternative zur Bosporusstraße werden, sich gegen den Montreux-Vertrag richten und damit den Druck der NATO auf Russland verstärken.

Es besteht jedoch großer Widerstand gegen das Projekt: nicht nur von Seiten heimischer Umweltschützer, die befürchten, dass der Schaden den Nutzen überwiegen werde, oder Ökonomen, die die Machbarkeit des Projekts in Frage stellen, sondern auch im Ausland. Länder der Schwarzmeerregion befürchten, dass das Montreux-Abkommen von 1936 über die Regelung des Seeverkehrs über die Meerenge und die Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen im Schwarzen Meer durch die Türkei untergraben werden könnten.

„Heute schlagen wir eine neue Seite in der Entwicklung der Türkei auf und legen den Grundstein für den Bau der Brücke über den Kanal Istanbul“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei der Grundsteinlegung am 26. Juni. „Wir betrachten den Kanal als ein Projekt, das die Zukunft Istanbuls garantiert…und um den Bosporus zu entleeren und die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten.“

Erdoğan hatte dafür gesorgt, dass alle erforderlichen Studien, einschließlich der Auswirkungen der Bauarbeiten auf die Umwelt, bereits durchgeführt wurden. Abgesehen von dem Kanal, den Erdoğan als „verrücktes Projekt“ bezeichnete, sollen Wohnviertel, Parks, touristische Einrichtungen und ein Bereich für  Technologieentwicklung geschaffen werden.

Der türkische Staatschef rechtfertigte sein „verrücktes Projekt“ mit der Behauptung, dass “jedes Jahr 45.000 Schiffe“ durch den Bosporus fahren würden. “Jedes große Schiff birgt ein Risiko. Sie transportieren unterschiedliche Ladungen, jeder Unfall wird eine Bedrohung sein, die zu Bränden und Zerstörung führen könnte, einschließlich des Kulturgutes“, so Erdogan.

Für die Umsetzung des Projekts werden sechs Jahre benötigt und es dafür 15 Milliarden US-Dollar vorgesehen, doch die tatsächlichen finanziellen Aufwendungen wurden kürzlich auf einer Entwicklerkonferenz in Frankreich auf 65 Milliarden US-Dollar geschätzt. Es ist die größte Infrastrukturinitiative in der türkischen Geschichte und soll als Teil der Hinterlassenschaft Erdoğans gelten.

Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoğlu sprach sich gegen das Projekt aus und forderte sogar ein Referendum. Umweltschützer befürchten, dass das Wasser des Schwarzen Meeres in Ufernähe seicht und das Ökosystem des Marmarameeres gestört werden könnten. Noch wichtiger aus lokaler Perspektive – die Wasserversorgung Istanbuls. Diese ist ebenfalls bedroht, da der Kanal Süßwasservorräte aufnehmen wird.

Das größte Problem des Kanal Istanbul auf internationaler Ebene ist jedoch das Schicksal des Montreux-Abkommens, das den Schiffsverkehr durch den Bosporus und die Dardanellen-Meerenge regelt. Gemäß dem Vertrag gelten für die Handelsschifffahrt keine Einschränkungen und die Türkei darf diesbezüglich keine Maut erheben. Allerdings kontrolliert Ankara den Verkehr von Kriegsschiffen außerhalb des Schwarzen Meeres. Dem Vertrag zufolge dürfen Kriegsschiffe, die keinem Schwarzmeerstaat angehören, sich nicht länger als drei Wochen im Schwarzen Meer aufhalten. Außerdem darf die Gesamttonnage eines solchen Schiffes 45.000 Bruttoregistertonnen nicht überschreiten.

Im April wurden türkische Admirale im aktiven Dienst und ehemalige Admirale der türkischen Marine verhaftet, nachdem sie einen offenen Brief veröffentlicht hatten, in dem sie den türkischen Präsidenten aufforderten, sein „verrücktes Projekt“ zu stoppen. In dem Brief sprachen sie die Befürchtung aus, das Projekt würde sich auf den Montreux-Vertrag auswirken. Erdoğan hat prompt reagiert und versichert, dass der Vertrag gültig bleiben wird. Trotzdem besteht weiterhin die Befürchtung, dass der Kanal Istanbul es Ankara ermöglichen wird, seine Haltung zu überdenken, zumal die Türkei wiederholt gegen bestehende Verträge wie etwa den Vertrag von Lausanne verstoßen hatte.

Die Türkei beteuert, dass das Projekt nicht mit dem Abkommen zusammenhängt und es damit grundsätzlich nicht vereinbar ist, da es sich um eine künstliche Wasserstraße handelt. Der Kanal Istanbul ist ein gänzlich anderer Ansatz, der für den Montreux-Vertrag in Zukunft jedoch problematisch werden könnte. Mit Ausnahme der Ukraine und Georgiens sprechen sich die Schwarzmeerländer gegen den Kanal aus. Diese beiden Länder hingegen wollen eine verstärkte NATO-Präsenz im Schwarzen Meer.

Währenddessen lehnen Rumänien, Bulgarien und Griechenland etwaige Vertragsänderungen des Montreux-Abkommens ab. Obwohl Griechenland kein Schwarzmeerstaat ist, liegt es an der Mündung der Dardanellen-Meerenge. Trotz allem sind die drei Länder NATO-Mitglieder. Am stärksten betroffen von einer Änderung des Abkommens oder des Status Quo wäre allerdings Russland, vor allem angesichts der kürzlichen Provokation Großbritanniens nahe der Krim. Moskau möchte nicht, dass Nicht-Schwarzmeerländer, insbesondere solche, die in der NATO sind, den Vertrag umgehen und die Präsenz ihrer Seestreitkräfte in den besagten Gewässern verstärken. Die Türkei wird dies mit der Fertigstellung des Kanals jedoch ermöglichen. Um den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten, vertreten die USA, Großbritannien und andere führende NATO-Staaten die Haltung, dass das Montreux-Abkommen veraltet ist, weil es die Anzahl der Schiffe im Schwarzen Meer einschränkt.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte am Mittwoch auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, dass keine Vertragsänderungen am Montreux-Abkommen vorgenommen werden sollen. Es ist jedoch natürlich einfach, einen solchen Anspruch zu erheben, bevor der Bau abgeschlossen ist. Die Türkei ist durchaus dazu in der Lage, auf Manipulationen zurückzugreifen, da der Status der neuen Wasserstraße noch nicht definiert wurde. Diese bloße Tatsache verdeutlicht Ankaras Absicht, nicht nur in der Region, sondern auch auf der Weltbühne ein bedeutenderer Akteur werden zu wollen.

Von Paul Antonopoulos, der Artikel erschien zuvor im englischen Original auf InfoBrics.org und wird von der Redaktion übersetzt wiedergegeben.

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