US-Militärs debattieren über einen Krieg der Vereinigten Staaten gegen China. Der könnte „vielleicht schon 2026 oder 2024“ beginnen.

Vor dem Beginn der Asien-Pazifik-Fahrt der deutschen Fregatte Bayern schwillt unter hochrangigen US-Militärs die Debatte über Form und Zeitpunkt eines möglichen großen Krieges gegen China an. Admiral a.D. James G. Stavridis, Ex-NATO-Oberbefehlshaber und Autor eines aktuellen Romans über einen solchen Krieg, hielt bis vor kurzem den Beginn von Kämpfen im kommenden Jahrzehnt für denkbar. Als mögliche Auslöser gelten die Auseinandersetzungen um Taiwan oder um Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Allerdings verschiebt sich Stavridis zufolge das militärische Kräfteverhältnis zwischen den USA und China rasant, und zwar zugunsten der Volksrepublik, die in Teilbereichen – etwa bei der Anzahl ihrer Kriegsschiffe oder in der Cyberkriegführung – bereits aufgeholt habe. Stavridis warnt mittlerweile, „die Schlacht“ zwischen Washington und Beijing könne „viel früher kommen“. Dabei spielten US-Verbündete eine zentrale Rolle; die USA bänden sie gezielt in immer „aggressivere“ Operationen etwa im Südchinesischen Meer ein. Zu den erwähnten Verbündeten gehört auch Deutschland.

Ein erfahrener Stratege

Mit ausdrücklichen Warnungen vor einem großen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China tritt aktuell James G. Stavridis an die Öffentlichkeit. Stavridis, hochdekorierter Admiral im Ruhestand, hat im Lauf seiner militärischen Karriere US-Kriegsschiffe unter anderem im Mittelmeer sowie im Persischen Golf geführt; in der Zeit von 2002 bis 2004 kommandierte er die Flugzeugträgerkampfgruppe um die USS Enterprise, die damals unter anderem Operationen im Irak-Krieg durchführte. Im Sommer 2009 übernahm er die Leitung des U.S. European Command und zugleich den Posten des NATO-Oberbefehlshabers (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR); beide Posten hatte er bis Mai 2013 inne. Anschließend amtierte er gut fünf Jahre lang als Dekan der Fletcher School of Law and Diplomacy an der renommierten Tufts University bei Boston (US-Bundesstaat Massachusetts). Stavridis, der gern darauf verweist, dass er einen erheblichen Teil seiner Laufbahn bei der U.S. Navy in asiatisch-pazifischen Gewässern verbracht hat, ist als Autor zahlreicher militärisch-strategischer Fachbücher hervorgetreten, darunter breit rezipierte Werke. Sein jüngstes, in Romanform verfasstes Buch beschreibt einen möglichen amerikanisch-chinesischen Krieg (vgl. unsere Rezension).

Das militärische Kräfteverhältnis

Stavridis hat in Interviews und Artikeln zuletzt immer wieder auf zwei in diesem Zusammenhang zentrale Faktoren hingewiesen: auf die Entwicklung des militärischen Kräfteverhältnisses zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie auf die Bedeutung der US-Bündnissysteme. Militärisch holt die Volksrepublik Stavridis zufolge rasch auf und hat auf einigen Feldern die USA inzwischen überholt. So verfügt die chinesische Marine bereits über mehr Kampfschiffe (rund 350) als die U.S. Navy (etwa 300) und stellt „fast wochenweise“ neue Kriegsschiffe in Dienst. Freilich müsse man dabei berücksichtigen, dass US-Kriegsschiffe in aller Regel größer, besser ausgerüstet und mit erfahreneren Mannschaften ausgestattet seien, konstatiert der US-Admiral. [1] Rapide Fortschritte macht China Stavridis zufolge auch bei der Aufrüstung für den Cyber- und den Weltraumkrieg. Für den Fall, dass es bei Taiwan, im Süd- oder im Ostchinesischen Meer zu Kämpfen komme, besitze die Volksrepublik selbstverständlich geografische Vorteile, da die US-Streitkräfte in großer Entfernung von ihrem Heimatterritorium operieren müssten, räumt der US-Militär ein. Zudem habe Beijing mit seinen Stützpunkten auf Inseln im Südchinesischen Meer „unsinkbare Flugzeugträger“ geschaffen, die die US-Militärbasen in Japan und Südkorea sowie auf Guam in gewissem Maß ausbalancierten.[2]

Die Bedeutung von Bündnissen

Hohe Bedeutung misst Stavridis den US-Bündnissystemen bei. Den Kern bildeten im Falle eines Krieges gegen China, urteilt der Admiral a.D., Japan, Südkorea und Australien – auch deshalb, weil die US-Streitkräfte dort über Stützpunkte und Rückzugsmöglichkeiten verfügten. Darüber hinaus unterhielten die USA Bündnisverträge mit Neuseeland, den Philippinen und Thailand – und sie könnten sich zudem auf „sehr starke Partnerschaften mit Singapur, Vietnam und Malaysia“ stützen. Zusätzlich würden die Beziehungen zu Indien immer enger. Zwar sei fraglich, ob man sich schon heute auf militärische Unterstützung von all diesen Ländern verlassen könne – doch Washington arbeite daran. Einen zentralen Stellenwert misst Stavridis dem „Quad“-Pakt (Quadrilateral Security Alliance) der USA mit Japan, Australien sowie Indien bei.[3] Hinzu kämen schließlich noch die Verbündeten in Europa, die „fähig zu globalen Einsätzen im Pazifik“ seien, ganz besonders Großbritannien, Frankreich und Deutschland; diese hätten inzwischen ihre prinzipielle Bereitschaft bekräftigt, sich zumindest an Patrouillenfahrten im Südchinesischen Meer zu beteiligen.[4] Dem globalen US-Bündnissystem könne China keine gleichwertigen Strukturen entgegensetzen.

Wann der Krieg beginnt

Mögliche Auslöser für eine Kriegseskalation sieht Stavridis vor allem in den Auseinandersetzungen um Taiwan sowie um diverse Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Dabei verfüge das US-Militär in einem Waffengang, der wohl vor allem von See- und Luftstreitkräften geführt werde – einen Landkrieg in Ostasien schließt der Admiral a.D. aus -, zur Zeit über einen, wenngleich knappen, Vorteil: „Unsere Technologie, unser Netzwerk von Verbündeten und Stützpunkten in der Region“, aber auch High-Tech-Waffensysteme wie Drohnen aller Art und militärische Fähigkeiten im Weltraum überträfen die chinesischen Kapazitäten – „noch“.[5] Allerdings mache China „rasant“ Fortschritte, „und gegen Ende des Jahrzehnts, wenn nicht sogar früher, wird es in der Lage sein, die USA im Südchinesischen Meer tatsächlich herauszufordern“. Stavridis, der seinen neuen Roman nach dem Jahr, in dem ein amerikanisch-chinesischer Krieg möglicherweise beginnen könnte, „2034“ genannt hat, fügt inzwischen hinzu: „Wir haben vielleicht nicht mehr bis 2034 Zeit, uns auf die Schlacht vorzubereiten – sie könnte viel früher kommen.“[6] „Eine der häufigsten Reaktionen“ auf seinen Roman laute: „sehr gutes Buch, aber falsches Datum“. Hochrangige Militärs seien der Auffassung, es gehe „nicht um 2034“, „sondern eher um 2024 oder 2026“.[7]

Marinekoalition gegen China

Die Biden-Administration forciert ihre Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg gegen China auf allen Ebenen – mit dem Bestreben, sich ökonomisch wie auch technologisch von der Volksrepublik unabhängig zu machen, aber auch mit militärischen Maßnahmen. So hat Verteidigungsminister Lloyd Austin in der vergangenen Woche angekündigt, die Empfehlungen einer von ihm im Februar eingesetzten „China Task Force“ schnellstmöglich umzusetzen; sie werden geheimgehalten, zielen aber laut Austin darauf ab, die US-Streitkräfte mit aller Energie auf den Machtkampf gegen China zu orientieren und zudem die Kooperation mit verbündeten Staaten „zu optimieren und zu stärken“.[8] In diesen Kontext gehört, dass die US-Marine Stavridis zufolge in Zukunft wohl nicht nur „aggressivere Patrouillenfahrten durch die Gewässer vor China unternehmen“, sondern zunehmend auch „Kriegsschiffe von Verbündeten in diese aggressiveren ‚Freedom of Navigation‘-Patrouillen einbinden“ wird: „Das internationalisiert den Gegenstoß gegen chinesische Souveränitätsansprüche im Südchinesischen Meer.“[9] Letztlich gehe es darum, „eine globale Marinekoalition zu schaffen, um den überaus fähigen Streitkräften der chinesischen Volksbefreiungsarmee entgegenzutreten“ – kurz vor einem möglichen großen Krieg.

 

Mehr zum Thema: Rezension: „2034“, „Der Startschuss ist gefallen“ und Das Gravitationszentrum der Welt sowie unsere Video-Kolumne Krieg gegen China.

 

[1], [2] James Stavridis: If the US went to war with China, who would win? asia.nikkei.com 30.05.2021.

[3] U.S. admiral warns against U.S.-China war in best-seller. asahi.com 02.06.2021.

[4], [5], [6] James Stavridis: It’s not too soon to prepare for a sea war in Asia. politico.com 13.05.2021.

[7] Bernhard Zand: „Wir müssen verhindern, dass wir in einen großen Krieg hineinschlittern“. spiegel.de 14.04.2021.

[8] S. dazu „Der Startschuss ist gefallen“.

[9] James Stavridis: How the US military is preparing for a war with China. asia.nikkei.com 07.03.2021.

Der Originalartikel kann hier besucht werden