Der vorgängig geimpfte Milliardär aus Südafrika könnte die Impfungen in seiner Heimat finanzieren. Schön wärs, auch bitter nötig!

Beat Gerber für die Online-Zeitung INFOsperber

Empörung! Empörung! Ein schwerreicher Südafrikaner hat sich in Frauenfeld vor dem offiziellen Start impfen lassen. Der Tycoon Johann Rupert ist Mitbesitzer der Hirslanden-Spitalgruppe, die im Kanton Thurgau das Mandat zur Durchführung der Impfungen erhalten hat (21.01.21).

Rupert soll bereits vor Weihnachten per Privatjet in die Schweiz geflogen sein, um sich eine erste Dosis des begehrten Serums von Pfizer/Biontech spritzen zu lassen, Der 70-Jährige zählt laut Hirslanden wegen verschiedener chronischer Vorerkrankungen zur Risikopatientengruppe und durfte deshalb geimpft werden. Ein erster Versuch in einer Luzerner Klinik scheiterte, jetzt hat es dank «Vitamin B» in Frauenfeld geklappt.

«Symbolkraft unterschätzt»

Unterdessen hat sich der Chef der Hirslanden-Gruppe für den Fauxpas seiner Kommunikationsleute entschuldigt (22.01.21): «Wir hatten unterschätzt, welche Symbolkraft mit der Impfung eines vermögenden Patienten verbunden ist.» Alles klar!? Der Sturm im Impfdosisglas hat sich gelegt, der Rauch entrüsteter Kommentare ist verflogen; auch in den Redaktionsstuben wurde wuchtig die Moralkeule geschwungen.

Die Schweiz kann sich wieder den eigentlichen Problemen zuwenden und die Kantone um die vorläufig verfügbaren Impfdosen rangeln lassen. Haben wir denn genug davon? Reicht es für die zweite Dosis? Der Impfnationalismus (oder eher: Impfegoismus) hat auch hierzulande Behörden und Bevölkerung infiziert, kein reicher Staat ist dagegen immun.

Westliche Doppelmoral

Doch die Affäre mit dem exklusiv geimpften Krösus mag für Boulevardmedien ausgewrungen sein, für geopolitisch aufgeweckte Bürgerinnen und Bürger fängt der wirkliche Skandal erst an. Dahinter versteckt sich ebenso die westliche Doppelmoral: Wir sind üppig versorgt mit Impfdosen und machen ein Geschrei um einen noch privilegierteren Geimpften. Doch anderseits kümmert es keine Seele, dass arme Länder im Süden bisher noch keine einzige Dosis spritzen konnten, ausser für klinische Studien (siehe später).

Ruperts Heimat Südafrika ist auf dem Schwarzen Kontinent am stärksten von der Pandemie betroffen. Nicht bloss wütet dort die hochansteckende Virusvariation, auch werden die 60 Millionen Menschen bezüglich Impfungen im Ungewissen gelassen. Das Land ist zu «reich», um wohltätige Hilfsprogramme zu empfangen, gleichzeitig zu «arm» (sprich: pleite), um sich auf dem Weltmarkt genügend Impfdosen zu beschaffen. Während die reichen Staaten bei verschiedenen Herstellern gemäss der Duke University (USA) insgesamt 4,2 Milliarden Dosen bestellt haben, das sind drei Viertel aller Bestellungen für 13% der Weltbevölkerung, blieb Subsahara-Afrika mit bisher leeren Versprechungen verloren zurück.

Die Menschen auf dem vergessenen Erdteil sind angesichts der desolaten Situation ernüchtert und teilweise verzweifelt (Courrier International No. 1576). In vielen Ländern wie Burkina Faso, Niger, Elfenbeinküste und Benin klammert sich die Bevölkerung an die Religion und betet in Kirchen, Moscheen und Voodoo-Tempeln. Fatalistisch beschworen wird die geweihte Formel: «Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!» (Wakat Séra/Ouagadougou, 06.01.21)

Townships als Versuchslabor

Oder aber einige tausend Glückliche bekommen die Chance, als Versuchspersonen einzuspringen. So soll das südafrikanische Unternehmen Aspen Pharmacare dereinst den Covid-19-Impfstoff von Johnson & Johnson herstellen, der vermutlich zuerst in die Verteilzentren Europas spediert wird. Das Vakzin ist aber noch nicht anwendungsreif, deshalb offeriert Johnson & Johnson der lokalen Bevölkerung, an den klinischen Studien teilzunehmen (The New York Times, 28.12.20). Die Townships am Kap der Guten Hoffnung dienen so dem amerikanischen Konzern als günstiges Versuchslabor.

Die südafrikanische Regierung will 140 Millionen US-Dollar aufwenden, um damit 10 Prozent der Bevölkerung impfen zu können, darunter das Gesundheitspersonal und die am meisten gefährdeten Risikopersonen. Die dazu benötigten Dosen sollen durch Covax, eine Verteilorganisation der WHO, geliefert werden. Für den grossen Rest will man die Impfdosen über private Verträge mit den Pharmakonzernen erwerben. Doch die Südafrikanerinnen und Südafrikaner misstrauen den staatlichen Autoritäten und befürchten eine massive Korruption bei diesen Geschäften.

Impfstart ungewiss

Der Grossteil der 60 Millionen muss sich also auf unbestimmte Zeit gedulden. Die Regierung und auch die WHO-Regionaldirektion kündigen unablässig Termine für den Impfbeginn an, die immer wieder geändert oder gestrichen werden. Während eine effektiv wirksame Impfung für das Land noch ausser klarer Sicht ist, erhalten die Menschen in Europa, den USA, in Russland und China bereits seit einigen Wochen die ersehnte Spritze.

Nicht besser als in Südafrika sieht es im Nachbarstaat Namibia aus, wo 2,5 Millionen Menschen leben. Mehr als 10’000 Schweizer jährlich besuchen das Land mit seinen fantastischen Landschaften und der exotischen Tierwelt, doch zurzeit ist der Tourismus stillgelegt. Wie überall in Subsahara-Afrika verlief die erste Coronawelle hier relativ glimpflich; es gab maximal 300 bestätigte Fälle pro Tag (Südafrika: 2000). Nun droht aber der Wüstenstaat wegen der sich rasant ausbreitenden südafrikanischen Mutante in der zweiten Welle zu ertrinken. Die Coronastatistik ist momentan chaotisch, aktuelle Daten sind nicht erhältlich (The Namibian, 22.01.21).

Mit 6’000 Tests im Verzug

Moses Magadza, um die 40, ein befreundeter Journalist aus der Hauptstadt Windhoek, berichtet, dass er sich Mitte Januar auf ärztliche Anweisung wegen starken Hustens und anhaltender Atemnot in einem öffentlichen Zentrum auf Covid-19 testen liess. Sein Zustand verschlimmerte sich; er wurde schliesslich ins Spital eingeliefert, künstlich beatmet und hing am Tropf. Nach fünf Tagen wurde er entlassen, konnte kaum auf den Beinen stehen, erkundigte sich telefonisch nach seinem Testresultat. Die Antwort: Weil der Computer defekt war, sei man mit der Auswertung von 6000 Tests im Rückstand.

Moses war also bereits wieder zuhause, und das Testergebnis nach mehr als zwei Wochen immer noch nicht eingetroffen. Sein hartnäckiger Husten hält weiter an. Der Korrespondent für mehrere Zeitungen im südlichen Afrika betreibt nebenbei eine kleine Hühnerfarm und verkauft Poulets und Eier. Damit kann er sich und seine Familie finanziell nur knapp über Wasser halten.

Chinas durchdachte Machtstrategie

Eine Weltmacht lacht sich angesichts der elenden Situation in Afrika ins Fäustchen. Der chinesische Aussenminister hat kürzlich auf einer Reise durch Asien und Afrika einer Reihe von Staaten substanzielle Unterstützung bei der Covid-19-Impfung wie auch beim Aufbau von Handel und Infrastruktur für eine Post-Corona-Wirtschaft versprochen. Freuen darüber können sich unter anderem Nigeria, Tansania, die Republik Kongo und Botswana (South China Morning, Post 20.01.21). Die Volksrepublik macht solche impfimperialistischen Zusagen kaum aus Wohltätigkeit und Nächstenliebe, dahinter steckt eine raffinierte Machtstrategie.

Doch zurück zu Johann Rupert, dem nun gegen Covid-19 gefeiten Mehrheitsaktionär des Luxusimperiums Richemont (Sitz in Genf), wozu Cartier, Montblanc und wie erwähnt die Hirslanden-Kliniken gehören. Die Schweiz hat den Zucker- und Herzkranken vor einem möglichen Coronatod bewahrt, also könnte er doch quasi als Solidaritätsakt einen Teil seiner Wertpapiere verflüssigen und seiner Heimatnation überweisen. Rupert soll angeblich über ein Vermögen von umgerechnet 6,5 Milliarden Franken verfügen, ein bis zwei Milliarden weniger wären sicher zu verschmerzen. Seine Geschäfte mit Luxusgütern laufen wie geschmiert weiter, gibt es doch immer mehr Reiche auf diesem Planeten.

Wirkt Ruperts Reue Wunder?

Der rührende Rupert hat bereits Reue für seine an sich legale «Untat» gezeigt. Der Mann ist ja nicht blöd, sondern gewieft. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» macht er vage Versprechungen, sich bei der Produktion von Impfdosen durch Aspen Pharmacare für Südafrika zu engagieren. Auch soll eine seiner Tochtergesellschaften in die Logistik der Impfungen involviert werden, ein unverbindlich formuliertes Vorhaben.

Das sind aber bloss ein paar Brosamen vom reich gedeckten Tisch des Rupert-Reichs, Rupert sollte sich grosszügiger zeigen! Das erwartet die Welt von ihm, wie auch von all den anderen Begüterten, die sich ihre Impfdosen in Dubai oder Mumbai in teuren Privatkliniken oder eben in der Schweiz spritzen lassen.

Passender Name fürs Kap, endlich!

Ein neuer «Bill Gates» am Kap der Guten Hoffnung könnte sich bestens profilieren. Davon würde auch Richemont profitieren, und die Hirslanden-Gruppe könnte ihr Image aufpolieren. Das windige Kap trüge endlich den treffenden Namen, den es Südafrika schuldet.

Man darf ja noch naiv von einem Wunder träumen, gerade weil die Wirklichkeit so schrecklich hoffnungslos erscheint.

PS. Die Schweiz könnte, wenn Ruperts zweite Impfdosis ansteht, politisch und moralisch vielleicht sogar etwas nachhelfen.

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