Deutschland setzt die Aufrüstung der türkischen Marine fort – obwohl diese mit Griechenland und Zypern zwei EU-Mitglieder bedroht.

Die im östlichen Mittelmeer operierende türkische Marine ist in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten mit Kriegsschiffen und Gerät aus Deutschland im Wert von fast zehn Milliarden Euro aufgerüstet worden. Dies bestätigt das Bundeswirtschaftsministerium. Ankara kann für seine Operationen unmittelbar vor griechischen Inseln ebenso deutsche Fregatten nutzen wie zur Begleitung von Forschungsschiffen, die illegal zyprische Seegebiete auf mögliche Erdöl- und Erdgaslagerstätten erkunden. Im Konflikt mit Griechenland und Zypern stehen der Türkei auch deutsche Schnell- und U-Boote zur Verfügung – eine Tatsache, die nicht zuletzt deswegen Brisanz besitzt, weil Griechenland und Zypern als EU-Mitglieder Schutz auch durch Deutschland einfordern können. Tatsächlich gehörte Ankara zu den frühesten Kunden bundesdeutscher Kriegsschiffbauer; noch heute werden deutsche U-Boote in der Türkei in Lizenz produziert. Galt der Bundesregierung die Belieferung der Marine lange als legitim („alles, was schwimmt, geht“), so rächt sich dies, seit sich Ankara als Seemacht zu begreifen beginnt.

Fast zehn Milliarden Euro

Deutsche Rüstungsunternehmen haben die türkische Marine seit dem Jahr 2004 mit Kriegsschiffen oder mit Teilen dafür im Wert von rund 9,8 Milliarden Euro aufgerüstet. Dies teilt das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Die Linke) mit. Der Betrag geht massiv über den Gesamtwert der Ausfuhrgenehmigungen hinaus, die die Bundesregierung seit dem Jahr 2002 laut ihren offiziellen Rüstungsexportberichten erteilte; dieser belief sich den Angaben des Wirtschaftsministeriums zufolge auf rund 522 Millionen Euro. Die Differenz ergibt sich vermutlich daraus, dass milliardenschwere Exporterlaubnisse schon vor dem Jahr 2002 erteilt wurden, die tatsächlichen Lieferungen aber erst Jahre später erfolgten. Derlei Verzögerungen sind bei großen Rüstungsgeschäften durchaus üblich. Zur Genehmigung der Rüstungsexporte kommt hinzu, dass die Bundesregierung die Lieferungen auch mit Bürgschaften abgesichert hat; so gewährte sie im Zusammenhang mit dem Verkauf deutscher U-Boote an die türkische Marine eine Hermes-Bürgschaft von 2,49 Milliarden Euro.[1]

Einer der frühesten Kunden

Die Belieferung der türkischen Marine durch bundesdeutsche Rüstungsunternehmen reicht bis in die 1960er Jahre zurück. Bereits 1963 wandte sich Ankara mit der Bitte an Bonn, die damals noch bei den Kieler Howaldtswerken in Entwicklung befindlichen U-Boote der Klasse 209 erstehen zu dürfen. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, weil Athen Einwände gegen die Aufrüstung seines traditionellen Rivalen erhob; sie endeten damit, dass sowohl Griechenland als auch die Türkei beliefert wurden. Als die für Griechenland bestimmten U-Boote 1971 und 1972 in Dienst gestellt werden konnten, herrschte dort ein Militärregime, und als die Kieler HDW 1971 den Bau zweier U-Boote für die Türkei in Angriff nahm, waren auch dort Putschisten an der Macht. Den bundesdeutschen Waffenlieferungen stand dies nicht im Wege. Ebensowenig ließen sich deutsche Regierungen von der Genehmigung von Rüstungsexporten an die beiden südöstlichen NATO-Staaten dadurch abhalten, dass es zwischen ihnen Anfang 1996 im Konflikt um zwei unbewohnte Ägäisinseln (griechisch: Imia, türkisch: Kardak) beinahe zum Krieg kam: In den Jahren danach erlaubte die Bundesregierung die Lieferung weiterer U-Boote an Athen sowie an Ankara.

U-Boote, Fregatten, Schnellboote…

Entsprechend verfügt die türkische Marine heute über eine erhebliche Zahl an Kriegsschiffen aus deutscher Produktion. Nicht wenige davon wurden in Lizenz – und mit Unterstützung durch deutsche Unternehmen – von der Werft der türkischen Seestreitkräfte, „Gölcük Naval Shipyards“, südöstlich von Istanbul gebaut. Zu den Kriegsschiffen deutscher Bauart im Besitz der türkischen Seestreitkräfte zählen zwölf ältere U-Boote, die von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) bzw. dessen Vorläufer HDW (Howaldtswerke – Deutsche Werft) hergestellt wurden. Acht Fregatten wurden in Hamburg bei Blohm + Voss oder mit deren Lizenz in Gölcük gebaut; vier davon sollen bis 2025 mit Blick auf künftige Einsätze recht aufwendig modernisiert werden. Darüber hinaus ist die türkische Marine im Besitz von fast 20 Schnellbooten, die von der Bremer Lürssen-Werft entworfen wurden; hinzu kommen mehrere Minensuchboote, die in Deutschland von Lürssen und Abeking & Rasmussen aus Lemwerder oder in Lizenz in der Türkei hergestellt wurden. Zur Zeit sind darüber hinaus sechs neue, von TKMS entworfene U-Boote in Bau.[2] Das erste wurde mittlerweile von der türkischen Marine übernommen.[3]

„Alles, was schwimmt, geht“

Die Aufrüstung der türkischen Seestreitkräfte ist von der Bundesregierung stets heruntergespielt worden. Scharfer Kritik ausgesetzt war gewöhnlich die Lieferung von Waffen an das türkische Heer, die etwa im Krieg gegen die kurdischsprachige Minderheit oder jüngst beim Einmarsch nach Syrien zum Einsatz kamen; in Syrien operierten die türkischen Truppen etwa mit Panzern des Typs Leopard 2.[4] Letztlich sah sich die Bundesregierung wegen der Nutzung deutschen Kriegsgeräts für völkerrechtswidrige Militäroperationen wie den türkischen Einmarsch nach Syrien gezwungen, die Rüstungslieferungen an die Türkei zumindest offiziell einzuschränken. Zur Aufrüstung der türkischen Marine hingegen ist in Berlin immer wieder eine Position des einstigen Außenministers Hans-Dietrich Genscher zitiert worden: „Alles, was schwimmt, geht.“[5] Die Auffassung gründete darauf, dass – ganz im Gegensatz zum Heer – die türkische Marine nicht in größere Operationen involviert war. Dies hat sich inzwischen freilich geändert. Während die Türkei ihren Einfluss vor allem in Ländern des früheren Osmanischen Reichs zu stärken sucht („Neo-Osmanismus“), setzen sich Marineoffiziere seit Jahren dafür ein, ihr Land im östlichen Mittelmeer auch als Seemacht zu etablieren. Dies wird unter dem Schlagwort „Blaue Heimat“ („Mavi Vatan“) diskutiert (german-foreign-policy.com berichtete [6]).

Der Zusammenhalt der EU

Im Rahmen von Operationen, die die türkische Marine inzwischen in diesem Sinne realisiert, kommt es zunehmend zu Konflikten mit Griechenland. Dabei stehen sich die Seestreitkräfte beider Länder immer häufiger feindlich gegenüber – wobei die Türkei ihre Kriegsschiffe deutscher Bauart gegen das EU-Mitglied Griechenland nutzen kann. „Griechenland wird durch deutsche Waffen in den Händen der Türkei bedroht“, stellte am Wochenende der griechische Außenminister Nikos Dendias fest, um mit Blick insbesondere auf die aktuelle U-Boot-Lieferung zu fordern: „Gebt der Türkei nicht etwas, womit sie das gesamte östliche Mittelmeer destabilisieren kann.“[7] Berlin freilich, das in anderen Fällen immer wieder den Zusammenhalt der Union beschwört, verweigert dies – und stellt damit einmal mehr nationale Interessen, in diesem Fall diejenigen der deutschen Rüstungsindustrie, über Schutzinteressen eines anderen EU-Staates, nämlich Griechenlands.

[1] Deutsche Rüstungsexporte für türkische Marine in Milliardenhöhe. handelsblatt.com 09.11.2020.

[2] Türkei bekommt U-Boote aus Deutschland. spiegel.de 08.05.2018.

[3] Peter Carstens: Deutsche Technik auf beiden Seiten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.09.2020.

[4] S. dazu Wie man Jihadisten fördert.

[5] Holger Stark, Klaus Wiegrefe: „Eine Überflutung mit Waffen“. spiegel.de 08.04.2013.

[6] S. dazu Streit um die Türkeipolitik.

[7] Deutsche Rüstungsexporte für 522 Millionen Euro an Türkei. welt.de 09.11.2020.

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