Eine Folge der Reihe “Historias debidas – Geschichten, die erzählt werden müssen” des Nachrichtenportals Plurinacional dokumentiert die Reise der Plurinationalen feministischen Delegation durch Bolivien nach dem Putsch. Ein Gespräch mit Adriana Guzmán und anderen über Unnachgiebigkeit und Widerstand.

Geschichten, die erzählt werden müssen

Die Medien verbünden sich mit der De-facto-Regierung und funktionalisieren evangelische und katholische Religionen für ihre Kriegsberichterstattung, zivile paramilitärische und parapolitische Gruppen genießen das Wohlwollen der De-facto-Regierung und operieren straffrei, während kommunale Medien und alternative Presseorgane mundtot gemacht werden. Führende Aktivist*innen werden kriminalisiert und verfolgt. Stichwort Lawfare: Urteile aufgrund von erfundenen Verbrechen und willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Hunderte Bolivianer*innen sitzen deshalb im Gefängnis. Der Dokumentarfilm “Historias Debidas – Geschichten, die erzählt werden müssen. Der Staatsstreich in Bolivien 2019“ von Andrés Irigoyen (Regie) und Ana Cacopardo (Leitung und Drehbuch) wurde am 15. Juli, acht Monate nach dem Massaker von Sacaba, bei Canal Encuentro erstausgestrahlt. Er thematisiert die Massaker von Senkata (El Alto, La Paz) und Sacaba (Cochabamba), Rassismus, Diskriminierung und Erniedrigung des Volkes und die Verachtung gegenüber der traditionellen Bekleidung der Frauen und der Wiphala, der Fahne der indigenen Völker. Er enthält mutige, bewegende und bisher unveröffentlichte Berichte von Frauen, deren Söhne von Militärhubschraubern aus niedergestreckt oder von Polizisten erschossen wurden. Verletzte erzählen, wie ihnen im Krankenhaus die Behandlung mit den höhnischen Worten, irgendein traditioneller Heiler oder am besten Morales selbst solle sie doch gesund machen, verweigert wurde, weil sie Indígenas sind und keine Weißen.

Der Feminismus der Volksgemeinschaften

Im Interview beschreibt die Feministin Adriana Guzmán den Staatsstreich vom 10. November 2019 und erzählt aus der Perspektive der Volksgemeinschaften, wie Jeanine Añez, Arturo Murillo, Fernando López, Karen Longaric und Oscar Ortiz seit der Übernahme der Regierung mit uneingeschränkter Macht und Arroganz herrschen und die Verfassung und das Recht mit Füßen treten: „14 Jahre hatten wir diese wunderbare, vom Volk selbst geschriebene Verfassung des plurinationalen Staats, die uns ein Leben in Würde garantierte“, kommentiert Guzmán den Bruch der verfassungsrechtlichen Ordnung durch den Staatsstreich im November 2019.

Wir werden nie wieder ihre Hausangestellten sein

„Die Rechten haben uns schon prophezeit, dass wir früher oder später doch wieder als Hausangestellte zu ihnen zurückkehren werden”, empört sich Guzmán und ergänzt: “Aber da können sie lange warten, das haben wir ihnen gesagt.“ Die Berichte machen wütend und traurig, aber sie zeigen auch, wie wichtig es ist, nicht zu schweigen sondern die Selbstherrlichkeit und Brutalität der Regierung Añez öffentlich zu verurteilen.

“Sie nannten mich Scheiß-Nutte”

Gregoria Siles berichtet über ihre Erfahrungen mit der Brutalität von Militär und Polizei. Ihr Sohn Omar Calle wurde am 15. November bei einer friedlichen Demonstration von Coca-Bäuer*innen getötet. “Sie nannten mich Scheiß-Nutte und fragten mich, wie viel Evo mir gezahlt habe. Sie nahmen mir mein Geld weg, versetzten mir Tritte und brachen mir die Hand.“ Im Wartesaal des Krankenhauses erfuhr sie aus dem TV-Nachrichten, dass ihr Sohn getötet worden war. „Ich habe gar nicht erst gewartet, dass man mich behandelt“, erzählt sie schluchzend. „Ich bin sofort aus dem Krankenhaus gelaufen und habe meinen Sohn gesucht.“ Die Stimmen der Witwen, der Mütter und Väter, der Brüder und Schwestern, die bei den Massakern der Regierung Añez und ihren Ministern Arturo Murillo und Fernando López ein Familienmitglied verloren haben, findet man in den bolivianischen Radio-und Fernsehberichterstattungen oder Zeitungen nicht. Dafür muss man schon auf internationale Medien wie den argentinischen Canal Encuentro oder die sozialen Netzwerke zurückgreifen.

Die Massaker nicht vergessen!

Der Dokumentarfilm macht deutlich: Diejenigen, die Tag für Tag in ihren Unterstützermedien vom Leben, von der Demokratie und der Freiheit sprechen, handeln mit einer Brutalität, die nicht vergessen werden darf. Die Bolivianer*innen, die Gerechtigkeit fordern, erklären sie zu gewalttätigen und aufrührerischen Terrorist*innen. Wie lange wird es dauern, bis die Massaker von Sacaba und Senkata gesühnt sind?

Übersetzung: Lui Lüdicke

Der Originalartikel kann hier besucht werden