Die Izoizolyacia Facebook-Gruppe ist in Russland zu einer nationalen Obsession geworden.

1868 schrieb Fjodor Dostojewski: „Schönheit wird die Welt retten“. Hundertfünfzig Jahre später, bleibt dies noch abzuwarten; aber eines ist sicher – Schönheit kann während der globalen Pandemie definitiv von den äußeren Umständen ablenken.

Menschen auf der ganzen Welt sind aufgefordert zu Hause zu bleiben und suchen nach kreativen Möglichkeiten, um die Langeweile und den Blues in Schach zu halten. Eine besondere fotografische Herausforderung hat sich wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien verbreitet: die Nachstellung berühmter Kunstwerke mit gewöhnlichen Haushaltsgegenständen.

Chirurgische Masken und Thermometer, Symbole der COVID-19-Pandemie, sind prominente Requisiten bei diesen Nachbildungen. Ein Mann, der eine chirurgische Maske trägt, die mit einem mit Filzstift gezeichneten offenen Mund geschmückt ist, posiert für eine heimische Version von Edvard Munchs „Der Schrei“. Toilettenpapierrollen (nicht weniger ein Symbol dieser Epoche) dienen als Perücke für einen Mann, der vor einem Klavier sitzt und ein berühmtes Gemälde von Mozart nachahmt. Dies sind nur einige Beispiele für die grenzenlose Kreativität der russischen Facebook-Gruppe IZOIZOLYACIA. Es ist nicht übertrieben – die Seite ist zu einer nationalen Obsession geworden.

Der Name der Gruppe ist ein Schachtelwort aus den russischen Bezeichnungen für „Isolation“ und „visuelle Kunst“. Bis heute hat sie über 500.000 Mitglieder und mehr als 100 Posts pro Tag. Und obwohl die meisten Mitglieder der fröhlichen Gruppe Russen sind, verbindet sie in dieser Zeit der erhöhten Unsicherheit Menschen aus der ganzen Welt. Der Slogan von Izoizolyacia sagt alles: „Eine Gemeinschaft von Menschen mit eingeschränkter Mobilität und unbegrenzter Phantasie“. Die Gründerin der Facebook-Gruppe, die 38-jährige Katerina Brudnaja-Tscheljadinowa, hat nur ein paar Regeln: Requisiten müssen aus dem gemacht werden, was man zu Hause vorfindet, Fotobearbeitungen sind nicht erlaubt und es gibt auch keine Nachbildungen von Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ mehr – es sei denn, sie sind wirklich lustig.

Brudnaja-Tscheljadinowa zum Beispiel, die für den russischen Digitalgiganten Mail.Ru arbeitet, begann die Challenge, indem sie ein Foto ihres Mannes als Vincent Van Gogh mit Strohhut auf Facebook veröffentlichte. Als sie ihre Freunde bat, ihre eigenen Nachbildungen berühmter Gemälde mit anderen zu teilen, stellten sich viele dieser Challenge. Um die immense Anzahl der Einsendungen zu bewältigen, gründete sie am 30. März die Facebook-Gruppe. Innerhalb eines Tages hatte sie über 2.500 Mitglieder.

In einem Interview mit dem russischen Nachrichtensender RBK am 17. April betonte Brudnaja-Tscheljadinowa, dass sie mit der Pflege und Verwaltung der Gruppe, deren Popularität im letzten Monat sprunghaft angestiegen sei, nicht allein stehe. „Wir haben jetzt 11 Moderatoren, die die Gruppe zu jeder Stunde des Tages von Amerika bis Neuseeland am Laufen halten“, sagte sie. „Das ist eine enorme Hilfe von Freunden aus der ganzen Welt.

Die internationale Mitgliedschaft spiegelt sich in der Tatsache wider, dass Izoizolyacia nur eine von vielen Inkarnationen der viralen Kunst-Challenges ist; seit Beginn der COVID-19-Pandemie haben die Social-Media-Accounts mehrerer Kunstgalerien weltweit ähnliche Initiativen gestartet.

Es überrascht nicht, dass die Mitglieder von Izoizolyatsiya eine besondere Vorliebe für berühmte Kunstwerke aus Russland und der ehemaligen Sowjetunion haben. „Es scheint, dass wir in dieser Gruppe etwas selbstironischer sind“, gab Brudnaya-Chelyadinova in einem Interview für RuNet Echo zu.

In der Tat sind viele geteilte Bilder von Rekonstruktionen geschätzter Gemälde Russlands äußerst kreativ und selbst-ironisch. Vasilii Vereshagins Berg von Schädeln in „Apotheose des Krieges“ wird als verstreute Lego-Köpfe nachempfunden. Ein anderes Bild zeigt eine Katze, die einen salutierenden Lenin verkörpert. Iwan Schischkins ikonische Bären in „Morgen in einem Kiefernwald“ sind durch Kekse vor einem Hintergrund aus Kopfsalat dargestellt.

Es gibt auch einige berühmte Nachbildungen ausländischer Kunstwerke. „Das letzte Abendmahl“ wird mit Krankenschwestern an Stelle von Aposteln nachgestellt; Leonardo da Vincis „Erlöser der Welt“ zeigt ein Jesusmodell, das statt einer Kugel ein Glas mit Gurken hält. Einige Benutzer trugen Tutus, um die berühmten Ballerina-Gemälde von Edgar Degas nachzubilden. Andere trugen eine Uschanka, eine russische Pelzmütze mit Ohrenklappen, um Van Goghs berühmtes Selbstporträt nach einem Unfall darzustellen.

Die Einschränkungen der Challenge haben viele Teilnehmer dazu gebracht, mit den Alltagsgegenständen, die sie zu Hause haben, zu experimentieren. Ein Benutzer aus Israel gab sich als Salvador Dali aus, geschmückt mit schwerem Make-up und mit schmelzenden Uhren aus Papier. Eine Frau stellte Dante Gabriel Rossettis „Pandora“ nach, nur die goldene Schachtel auf dem Gemälde wurde durch einen McDonald’s-Behälter zum Mitnehmen ersetzt. Ein Gemälde von Jackson Pollock wurde durch einen Stapel von Stöcken dargestellt.

Einer der beliebtesten Beiträge der Gruppe, von Natalia Shevchenko, zeigt Henri Matisse‘ Meisterwerk „Tanz“ von 1910, das mit Garnelen und Walnüssen auf einer Plastiktüte nachgebildet ist. Es hat über 39.000 Likes erhalten.

Viele dieser neu gestalteten Kunstwerke wurden als Selfie von Amateurmodellen aufgenommen, die während der Quarantäne zu Hause festsitzen. Viele weitere zeigen Ehepartner, Partner, Haustiere, Großeltern und Babys. Izoizolyacia’s Facebook-Seite ist voll von einsamen Gesichtern, die nach einer Verbindung suchen – und sie offensichtlich auch finden.

Wie alle Verrücktheiten in den sozialen Medien wirft auch diese Challenge ihre eigenen Fragen auf: Ist die Nachbildung berühmter Kunst nur eine Modeerscheinung, oder gibt es ein tieferes Bedürfnis nach einer Verbindung zur Kunst und zueinander? Brudnaj-Tscheljadinowa ist der Ansicht, dass Letzteres der Fall sei. „Auf der einen Seite stimmt es, dass diese künstlerische Challenge ein Spiel ist“, folgert sie, „aber es ist auch eine andere Art und Weise, sich mit zeitloser Kunst zu verbinden, sich mit ihr auseinanderzusetzen und Geborgenheit in der Gemeinschaft zu finden“.

Von Sasha Shapiro, Übersetzung aus dem Englischen von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!