Dass die USA einen Präsidenten wie Donald Trump wählen würden, war ein echter Schock. Aber die USA sind ein komisches Land, in dem regelmäßig der politische Wahnsinn ausbricht — obwohl es vielleicht noch nie so wahnsinnig zuging wie jetzt. Aber die Tatsache, dass die Niederländer, die oft als pragmatisch, bürgerlich, phlegmatisch, geschäftsorientiert, tolerant und vielleicht als ein wenig langweilig karikiert werden, im März von einer Partei angeführt werden könnten, die von einem ordinären Volksverhetzer mit blond gefärbten Haaren angeführt wird, ist noch überraschender. Aber der Aufstieg von Geert Wilders, dem Führer (und einzigen Mitglied) der Partei für die Freiheit, zeigt, wie sich der Populismus in den Niederlanden verbreitet.

Wilders war eine der Hauptattraktionen bei der vor kurzem organisierten rechtsradikalen Fete in Koblenz, wo er den Brexit, Donald Trump und den sogenannten  patriotischen Frühling Europas bejubelte.

Der alte geschäftsorientierte Niederländer, der immer auf der Suche nach einem moderaten Konsens ist, ist immer noch da, wenn auch versinnbildlicht durch den konservativen Premierminister Mark Rutte — aber sogar er versucht sich an die populistische Stimmung anzupassen. In dieser Woche meint er im Rahmen seiner Wahlkampagne in einer ganzseitigen Anzeige: „Wer sich nicht anpassen will und unsere Werte kritisiert, der sollte sich entweder normal verhalten oder gehen“.

Vielleicht ist das der Ausdruck der verspäteten Panik eines Politikers, der nicht genug getan hat, um seinen populistischen Herausforderer zu stoppen. Wilders Partei hat ein Manifesto von einer Seite, das vorschlägt, Moscheen zu schließen, den Koran zu verbieten und Asylanten aus dem Lande zu verweisen. Umfragen zufolge könnte er am 15. März siegreich aus den Wahlen hervorgehen. Gemäß dem niederländischen System würde er dadurch nicht zum Premierminister, aber ob nun Premierminister oder nicht, er wird die nationalen Gespräche beherrschen.

Um die Modalitäten und Hintergründe zu verstehen und zu sehen, was in den Niederlanden ergreifend ist, muss man Geert Wilders Hintergrund verstehen. Wilders ist das Gegenteil der stumpfsinnigen holländischen Karikatur. Er ist grob, laut, intolerant und gar nicht langweilig. Der bizarre blond gefärbte füllige Mann ist weniger trivial als er auf Anhieb aussieht. Wie das über die Glatze gekämmte Haar von Trump, ist auch Wilders Frisur eine Überspanntheit, die ihn von konventionelleren Technokraten und professionellen Politikern unterscheidet; und das ist genau der Punkt. Seine Fans wünschen sich Wilders so unterschiedlich wie möglich von der Hauptströmung.

Wie viele chauvinistischen Angeber der Vergangenheit und der Gegenwart stammt Wilders aus dem Rande des nationalen Lebens. Er wuchs in der südlichen Provinz von Limburg auf, deren Bewohner traditionell römisch-katholisch sind. Oft sind sie den kosmopolitischeren Küstenregionen gegenüber  ressentimentgeladen. Außerdem geht es hier seit der Schließung der Kohlebergwerke in den 1980ern wirtschaftlich bergab.

Aber es gibt in Wilders Aufmachung noch ein Element, von dem man selten spricht. Die Familie seiner Mutter ist eurasiatisch,  Indo, wie man auf Niederländisch so schön sagt. Diese Mischlinge im niederländischen Ostindien, dem heutigen Indonesien, wurden von den „reinen“ niederländischenKolonialherren abwertend angesehen. Sie taten alles, um sich von den gebürtigen Indonesiern zu unterscheiden und sich als noch niederländischer als die Niederländer (d.h. als die Weißen) zu zeigen. Viele von ihnen schlossen sich in den 1930ern der Niederländischen Nationalsozialistischen Partei (NSB) an. Als sich die meisten von ihnen nach dem zweiten Weltkrieg in den Niederlanden niederließen, nachdem der indonesische Präsident Sukarno sie aus dem Land verwies, waren die Indos oft extrem konservativ und muslimfeindlich.

So ist Wilders Hauptthese, nach der der Islam, der von ungefähr 4% der Niederländer praktiziert wird, eine tödliche Bedrohung der europäischen Zivilisation darstellt, in einer besonderen nationalen Vergangenheit verankert. Die alten Wunden des Kolonialismus werden nun auf Menschen projiziert, die hauptsächlich aus Marokko stammen. 2014 fragte Wilders seine Unterstützer, ob sie mehr oder weniger Marokkaner in den Niederlanden wünschten. Die Antwort lautete: „Weniger!“ „Richtig“, meinte Wilders, “das kriegen wir hin.” Er wurde wegen Volksverhetzung angeklagt und auch als schuldig befunden, kam aber komischerweise unbestraft davon. Seine Verteidiger behaupteten, Wilders hätte sich nur auf eine nationale und nicht ethnische oder religiöse Gruppe bezogen. Somit hätte er das Volk nicht aufgehetzt. Das Ganze war aber eher ein Ablenkungsmanöver. Die „Marokkaner“ waren in diesem Falle niederländische Staatsbürger. Wilders hatte außerdem auch den Koran mit Hitlers Mein Kampf verglichen und drohte mit Massenabschiebungen von Muslimen.

Warum sollten Wilders Dämonen in einem wohlhabenden, stabilen und sehr bürgerlichen Land auf fruchtbaren Boden fallen? Warum sollten niederländische Bürger seine verderblichen politischen Anschauungen teilen, um eine solche Aufregung hervorzurufen? Eines ist sicher: die Muslime sind nicht die einzigen Ziele seiner Verachtung. Wilders neigt dazu, von islamfeindlichen Polemiken auf Hetzreden gegen die EU überzugehen. Er hat zahlreiche Menschen, nicht nur in den ländlichen Gebieten von Limburg, davon überzeugt, dass Brüssel und der Islam die niederländische Identität gefährden. In seinen Augen wird diese Zerstörung von den kosmopolitischen Eliten in Amsterdam, Rotterdam und Den Haag geradezu unterstützt und angestiftet.

Der Großteil dieser Rhetorik würde in anderen europäischen Ländern geläufig klingen, nicht zuletzt in England. Die Spannungen der globalen wirtschaftlichen und technologischen Veränderung und der erstarrten politischen Abmachungen auf nationaler und auch europäischer Ebene haben auch die Niederlande betroffen. Wie andere populistische Führer hat sich Wilders eine Vielzahl von Ängsten zunutze gemacht und die passenden Sündenböcke heraufbeschworen.

Dennoch hat der niederländische Fall etwas Besonderes an sich. Neben dem Klischee über den holländischen Pragmatismus, usw. ist noch ein anderes Klischee vorhanden, nach dem die Niederlande das sozial fortschrittlichste europäische Land wären. Erinnern Sie sich doch mal an den tollen Comedy Sketch von Harry Enfield und Paul Whitehouse (der ein halber Niederländer ist) über die beiden Amsterdamer Polizisten, die in ihrem Streifenwagen kiffen. Natürlich war das Ganze nur ein Witz. Aber der radikale Liberalismus, den einige Niederländer inzwischen so ziemlich selbstgefällig finden, hängt nämlich in gewisser Weise mit der besonderen Art der populistischen Reaktion zusammen.

Obwohl die Mehrheit der Unterstützer von Wilders sowohl provinziell als auch konservativ sind, nutzt Wilder die niederländische soziale Toleranz als Knüppel gegen die Muslime. Der Islam bedroht unsere Zivilisation, weil seine Gläubigen vermeintliche Schwulenhasser sind und ihre Frauen nicht als gleichberechtigte Partnerinnen behandeln. Das galt auch für die Mehrheit der niederländischen Bevölkerung gar nicht so lange her, aber das wird nicht mehr als relevant angesehen. Sein Vorgänger als erfolgreicher Populist, der verstorbene Pim Fortuyn, der von einem fanatischen Veganer (mit einer britischen Pfingstlerin als Mutter) ermordet wurde, war selbst ein Homosexueller und prahlte, Sex mit marokkanischen Einwanderern in den Hinterräumen der Schwulenbars von Rotterdam gehabt zu haben.

Es gibt aber einen tiefsinnigeren Grund, wofür progressive Ideale mit dem heutigen Nativismus in Verbindung gebracht werden. Vor kurzem identifizierten sich die meisten Niederländer mehr mit ihrer Religion als mit ihrer Nation. Die niederländische Gesellschaft ruhte auf sogenannten Pfeilern, vertikalen soziopolitischen und wirtschaftlichen Netzwerken, die auf religiösen oder politischen Zugehörigkeiten basierten. Die Protestanten heirateten keine Katholiken und kauften nicht einmal in den Läden der anderen Religionsgemeinschaft ein. Von der Wiege bis zum Grab, war das Leben diesen Linien entlang gestaltet. Ein Katholik ging in katholische Schulen, schloss sich katholischen Sportclubs an, wählte eine katholische Partei und zog sich im Alter in ein katholisches Altersheim zurück, usw. Dasselbe galt für die verschiedenen protestantischen Benennungen und sogar für die Sozialisten. Ich selbst stamme aus einem liberalen säkularen Milieu. Ich habe in meiner Kindheit und Jugend in Den Haag kaum praktizierende Kalvinisten oder Katholiken kennengelernt. Und die einzigen Sozialisten, die ich kannte, waren hochbürgerliche Exzentriker.

In den 1960ern fingen diese Pfeiler an zu zerbröckeln. Wir legten alles als verstaubt und erdrückend ab. Die Kirchen wurden leer. Der Einfluss der christlichen Parteien schrumpfte oder verschwand vollkommen. Die Ehe zwischen Andersgläubigen wurde immer üblicher. Fortschrittlich zu sein bedeutete, sich an der Zerstörung dieser Pfeiler zu beteiligen.

Das Ganze war zwar befreiend, hatte aber wie alle gesellschaftlichen Veränderungen unerwünschte Auswirkungen. Als die traditionellen Formen der Identität verblassten, fühlten sich immer mehr Leute, vor allem in den konservativen ländlichen Gebieten wie Limburg, verloren. Die Monarchie und das nationale Fußballteam spendeten einen bestimmten Trost, aber dies war nur während der WM-Spiele gegen Deutschland der Fall und reichte nicht aus. Die städtischen Liberalen, die immer noch vom europäischen Idealismus inspiriert und von den bösen Erinnerungen an die Nazibesatzung verfolgt waren, waren sich der Gefahren der rassistischen Vorurteile mehr als bewusst. Dies machte sie taub für die Bedürfnisse der weniger privilegierten Mitbürger, die ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl brauchten.

Der Höhepunkt kam in den 1990ern, als die Industriegastarbeiter, die in den 1960ern aus den armen Dörfern der Türkei und Marokko angeworben worden waren, nicht mehr Gäste, sondern niederländische Staatsbürger mit großen Familien waren. Man konnte ihre Anwesenheit nicht mehr ignorieren. Pim Fortuyn nutzte die damit zusammenhängenden Spannungen aus. Ein konservativer Politiker der Hauptströmunge, Frits Bolkestein, hörte auch mit Sympathie auf das Murren, wie er sagte, aus „Kirche und Kneipe“. Der Schützling und Redenschreiber von Bolkestein war in den 1990er das junge Nachwuchstalent Geert Wilders.

2004 trennte sich Wilders von der konservativen Partei von Bolkestein und gründete die VVD. Er rief eine Bewegung ins Leben, um die Niederlande vom muslimischen Problem zu befreien. Aber er ging viel weiter als Fortuyn oder Bolkestein. Er zog nicht nur gegen den Islam und Brüssel in den Krieg, sondern auch gegen die gesamte etablierte politische Ordnung. Wilders hat die unabhängigen Gerichte als heuchlerische Gerichte und so auch das Parlament, zu dem er über Jahre gehörte, als heuchlerisches Parlament abgetan.

Das macht ihn gefährlich wie den US-Präsidenten, den er so verehrt. Denn er stellt die Legitimität des Parlaments und die Rechtsstaatlichkeit in Frage. Natürlich sind muslimische Extremisten ernst zu nehmen. Aber trotz des Namens der sogenannten Partei für die Freiheit, würde ich sagen, dass Wilders die politischen Institutionen seines Landes schwer bedroht. Sein Erfolg wäre ein Trauertag für eine der ältesten Demokratien in Europa.

von Ian Buruma für The Spectator, 28-1-2017
Übersetzung aus dem Englischen von Milena Rampoldi, ProMosaik

Der Originalartikel kann hier besucht werden