Daniel Häni ist Unternehmer und Mitinitiator der Schweizer Volksinitiative Für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Im Interview sprechen wir über den Wert von Zeit, einen neuen Arbeitsbegriff und die gesellschaftliche Transformation durch das BGE.

Gunther Sosna: Daniel, in der Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen führen Kritiker immer wieder an ein BGE würde die Menschen dazu verleiten, nicht mehr zu arbeiten. Das müsste dir doch schlaflose Nächte bereiten, schließlich bist du nicht nur Aktivist in Sachen BGE, sondern auch Unternehmer. Hast du Befürchtungen, deine Mitarbeiter bleiben auf dem Sofa liegen, wenn sie morgen ein BGE bekommen würden?

Daniel Häni: Nein, im Gegenteil. Solche Kritiker werden womöglich nicht mehr lange gut schlafen, weil sie gehen einem Grundlagenirrtum auf den Leim: Der Mensch ist nicht von Natur aus faul.

„Wer nicht arbeiten will, der tut das Falsche.“

Daniel Häni ist Unternehmer und Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Daniel Häni gründete mit dem Künstler Enno Schmidt die Initiative Grundeinkommen und veröffentlichte 2008 den Film Grundeinkommen – Ein Kulturimpuls. (Foto: Axel Griesch)

Faulheit ist vielmehr ein gesundendes Fieber, das kommt, wenn man Arbeiten verrichten muss, mit denen man sich nicht identifizieren oder die man nicht verantworten kann. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Initiative gegen Faulheit.

Das Grundeinkommen wird die Ursachen des Fiebers beseitigen. Der Mensch ist ein Tätigkeitswesen. Zu arbeiten ist ein Grundbedürfnis. Ich sage: Wer nicht arbeiten will, der tut das Falsche.

„In Zukunft wird hoffentlich unfreiwillige Arbeit verboten werden.“

Arbeit wird definiert als eine planvolle Tätigkeit, mit der man Ergebnisse bewirkt oder Produkte schafft. Andere Definitionen klammern die Produktivität aus und sprechen von zielgerichteten, sozialen und bewussten, körperlichen und geistigen Tätigkeiten. Wie definierst du Arbeit und welche Bedeutung hat der Produktivitätsbegriff für dich?

Arbeit ist mehr und mehr selbstbestimmte menschliche Tätigkeit. In der Vergangenheit war Arbeit verbunden mit Müssen und Sollen. Arbeit war eine Notwendigkeit. Niemand hat freiwillig gearbeitet. Das ändert sich grundsätzlich.

In Zukunft wird hoffentlich unfreiwillige Arbeit verboten werden. Das spiegelt sich auch im Verständnis von Produktivität. Ich glaube, wir könnten heute mit durchaus weniger Aufwand produktiver sein. Man müsste mal den volkswirtschaftlichen Schaden berechnen, solang wir noch kein bedingungsloses Grundeinkommen haben.

Heute wird vieles unnötig produziert, Bedarf künstlich erzeugt und auch viel Arbeitszeit einfach abgesessen und hinter sich gebracht. Ich finde das ist Vergeudung von menschlicher Kraft. Der Trend in der Produktivität geht klar von der Quantität zur Qualität.

„Die Verengung der Arbeit auf Erwerbsarbeit ist überholt und schädlich.“

Ist der Ansatz, Arbeit als Broterwerb zu versehen, überhaupt noch haltbar in einer Zeit, in der immer mehr Menschen Jobs nachgehen, von denen sie nicht leben können?

Nein, er ist unhaltbar. Aber es fällt vielen sehr schwer, loszulassen. Die Verengung der Arbeit auf Erwerbsarbeit ist überholt und schädlich. Arbeit und Einkommen werden, jedenfalls was die Existenz angeht, getrennt werden oder wir ersticken im Überfluss und verhungern in der Fülle. Die Anzeichen dafür sind längst da.

Das Lesen eines Buches ist ja auch eine geistige Tätigkeit, nur bezahlt wird sie nicht. Hält uns die Verknüpfung von Arbeit und Entgelt davon ab, jede Art von sinnvoller Beschäftigung als Arbeit anzuerkennen und somit offen zu sein für das bedingungslose Grundeinkommen?

Strukturell gesehen ja. Aber menschlich ist das mangelnde Zutrauen die Handbremse. Es gibt einen tief verinnerlichten Instinkt, der die Menschen meinen lässt, die andern würden nichts mehr tun, wenn sie nicht müssen. Umfragen bestätigen dieses gespaltene Menschenbild. Viele Leute denken: „Ich bin fleißig, aber du bist faul.“

Geld für alle? Daniel Häni vor einem Berg aus Münzen im Kaffeehaus unternehmen mitte in Basel.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden: Daniel Häni vor einem Berg aus Münzen im Kaffeehaus unternehmen mitte in Basel. (Foto: Stefan Pangritz)

Wir haben für uns selber ein Menschenbild, aber für die anderen ein Tierbild. Die anderen sind Faultiere. Man kann sogar beobachten, dass Menschen, die etwas gegen ihren Willen tun müssen, dann sogar noch darüber stolz werden und finden, andere müssten das auch. Man könnte eine ausführliche Pathologie des verdrehten Arbeitsbegriffs schreiben.

Die Menschen werden zwar immer älter, die Arbeitszeit ist allerdings begrenzt. Wird diesem Aspekt im aktuellen Arbeitsbegriff Rechnung getragen?

Viele Freunde in diesem Alter sprechen vom Unruhestand. Nicht wenige sagen, jetzt können sie endlich das tun, was sie wirklich wollen. Das spricht Bände.

„Malochen macht ohnehin überhaupt keinen Sinn mehr.“

Ich möchte dich noch einmal in deiner Funktion als Unternehmer etwas fragen. Große Teile der Politik und der Wirtschaften wollen, dass die Menschen möglichst lange arbeiten und dabei produktiv sind. Wenn ich das nach Angebot und Nachfrage sortiere, würde das bedeuten, dass der Wert einer Arbeitsstunde dramatisch ansteigen müsste, je älter der Mensch ist, der die Arbeit ausführt. Das passiert aber nicht, weil es menschliche Arbeitskraft im Überfluss gibt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht macht es also gar keinen Sinn bis ins Greisenalter zu malochen, oder?

Malochen macht ohnehin überhaupt keinen Sinn mehr. Dafür haben wir doch die Maschinen und jetzt die Roboter erfunden. Wir müssen nicht mehr fleißig und gehorsam sein. Das können die Maschinen und Roboter viel besser. Die arbeiten rund um die Uhr und machen tatsächlich nur das, was wir programmieren.

„Wirklich Macht hat erst derjenige, der die anderen machen lassen kann.“

Wir sind gut beraten uns zu fragen, was uns von den Robotern unterscheidet und als Menschen auszeichnet. Wären die Menschen berechenbar, wären die Maschinen die besseren Menschen. Das sind sie aber nicht. Das Unberechenbare ist das Menschliche. Da sind wir gefragt.

Fehlt der westlichen Verwertungsgesellschaft die philosophische Komponente, um den Wert von Lebenszeit richtig einzuordnen oder wird der Mensch, der keine Produktionsmittel besitzt, durch Arbeit gegen Entgelt bewusst wie ein Hund an einer Kette gehalten, um eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu verhindern?

Ich sehe da keine Verschwörung. Aber in der Tat geht es um eine Machtumverteilung. Und die Menschen haben Angst vor Machtverlust. Sie wollen ihre scheinbare Macht nicht abgeben. Was zunächst auch verständlich ist. Aber es ist kurzsichtig. Wirklich Macht hat erst derjenige, der die anderen machen lassen kann.

„Das BGE wäre eine kluge und vor allem
humanistische Antwort auf die Digitalisierung.“

Wird sich das in der digitalen Gesellschaft ändern? Und wenn ja, wie wird das passieren?

Die Digitalisierung bietet Chancen und birgt Risiken. Wie bei jeder neuen Technik ist entscheidend, wie und für was wir sie einsetzen. Wenn wir die neuen Möglichkeiten nicht in den Dienst der Menschen stellen, sondern sie darunter, dann gute Nacht.

Die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ kippte symbolisch vor dem Schweizer Parlament acht Millionen Münzen aus.

Geld für alle! Die Volksinitiative Für ein bedingungsloses Grundeinkommen kippte im Oktober 2013 symbolisch vor dem Schweizer Parlament in Bern acht Millionen Münzen aus: Eine für jeden Schweizer. Das sind 15 Tonnen. (Foto: Stefan Bohrer)

Ich denke, das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine kluge und vor allem humanistische Antwort auf die Digitalisierung, weil wir dann alle weniger manipulierbar wären. Die Digitalisierung ist erst am Anfang. Ob die Menschen dadurch echt freier werden oder erst recht in die Knechtschaft geraten, hängt von uns ab.

„Die beste Rahmenbedingung für sinnvolle Arbeit ist,
die Arbeit im Existenzbereich vom Einkommen zu trennen.“

Eine letzte Frage. Der englische Philosoph John Locke hat gesagt, Arbeit um der Arbeit willen ist gegen die menschliche Natur. Wie müsste Arbeit gestaltet sein, damit der Mensch nicht mehr gegen seine Natur handeln muss?

Wer Arbeit als etwas Mühsames und nicht Sinnvolles versteht, für den macht es zu Recht keinen Sinn der Arbeit willen zu arbeiten. Für den, der selbstbestimmt und sinngetrieben in der Arbeit steht, geht es umso mehr um die Arbeit selbst. Für den ist es unsinnig, die Arbeit von der Arbeit zu trennen. Die beste Rahmenbedingung für sinnvolle Arbeit ist, die Arbeit im Existenzbereich vom Einkommen zu trennen.

Vielen Dank für deine Zeit.

Von Gunther Sosna für Neue Debatte


Über Daniel Häni: Häni gründete 1999 mit zwei Partnern in Basel das Kultur- und Kaffeehaus unternehmen mitte. Zusammen mit dem Künstler Enno Schmidt initiierte Häni 2006 die Initiative Grundeinkommen. 2008 erschien ihr Film Grundeinkommen – ein Kulturimpuls.

Freedom for Money: Die Generation Grundeinkommen im Safe der ehemaligen Schweizer Volksbank.

Die Generation Grundeinkommen im Safe der ehemaligen Schweizer Volksbank. v.l.: Pola Rapatt, Che Wagner, Daniel Häni und Marilola Wili (Foto: Stefan Bohrer)

2012 lancierte Häni gemeinsam mit anderen Unterstützern die Volksinitiative Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, die im Oktober 2013 erfolgreich bei der Schweizerischen Bundeskanzlei eingereicht wurde.

Im Rahmen einer Performance wurden acht Millionen Fünf-Rappen-Münzen vor dem Parlament ausgeschüttet, was ein weltweites Medienecho auslöste. Die Schweizer 10er-Note war der offizielle Flyer der Volksinitiative. Bei der Volksabstimmung votierten 23,1 Prozent der Schweizer für die Vorlage für ein BGE.

2015 veröffentlichte Daniel Häni zusammen mit dem Philosophen und Autor Philip Kovce im Orell Füssli Verlag das Buch Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt.

Daniel Häni Philip Kovce Was fehlt, wenn alles da ist Buchcover

Der Originalartikel kann hier besucht werden