Die Saisonarbeit durch illegale Landarbeiter_innen, die hauptsächlich aus der Sub-Sahara stammen, stellt in Italien im Allgemeinen und in Süditalien (Apulien) im Besonderen eine Notlage dar. Paradigmatisch für die Situation und die Kämpfe ist das sogenannte Ghetto von Rignano in der Nähe der Stadt Foggia, wo in der Hochsaison bis zu 2.000 Landarbeiter_innen eine Bleibe in Karton- und Plastikhütten finden. Das Ghetto sowie die Koordination der Landarbeit in der Tomatenernte werden durch mafiöse Netzwerke verwaltet.

Besonders hervorgehoben ist an dieser Stelle die Hauptfigur eines sog. Caporale. Ein Caporale kann ein Einheimischer oder auch ein Landsmann der ausländischen Landarbeiter_innen sein. Er besorgt die Arbeitskraft und hat dazu noch enorme Einkünfte für die Zuweisung einer Bleibe, für das Essen und den Transport zur Arbeit. Ebenfalls fungiert er als Sexagentur.

Ein Caporale ist derjenige, der über die „Einstellungsregeln“ entscheidet, die transregionale Bewegungen der Landarbeiter_innen vom Norden in den Süden und umgekehrt organisiert und die Produktionskette kontrolliert. Er wird vom Landbesitzer für diese Tätigkeiten sozusagen „eingestellt“.

Die Landarbeiter_innen dürfen sich im System ohne die Bewilligung eines Caporale „nicht bewegen“, aber auch nicht in das System rein kommen, ohne seine Zustimmung. Und er agiert mit der Komplizenschaft des italienischen, landwirtschaftlichen, kapitalistischen Sektors sowie der Großkonzerne, die unabhängig von den Kosten der Arbeitslöhne, ihre Produktpreise festlegen.

Seit 2013 setzt sich eine Gruppe von Senegales_innen für eine Veränderung dieser Lage ein. Gemeinsam mit lokalen italienischen NGOs fingen sie an, mit der Regionalregierung zu verhandeln. Ihr Ziel war, durch ein selbst erbautes Eco-Village eine Alternative zu dem Ghetto zu schaffen.

Im Mittelpunkt des Projektes „Ghetto Out – Casa Sankara“ standen die Begriffe „Selbstbestimmung und Organisation von unten“, „soziale und wirtschaftliche Integration“ sowie „Regelung des Aufenthaltsstatus“.

Weitere Ziele bestanden in der „Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten in einer ökologischen Landwirtschaft und Teilnahme am politischen und sozialen Leben, frei von mafiöser Hegemonie“. Das durch Saisonarbeiter_innen erbaute Eco-Village sollte den Vorteil mit sich bringen, dass dort ungefähr 20 Hektar Ackerfläche zur Verfügung gestanden hätten.

Diese sollten in eigener Verwaltung bestellt werden und die lokale Ökonomie stärken, indem die erzeugten Produkte auf den lokalen Markt hätten verkauft werden sollen. Des Weiteren wurden Tätigkeiten für „multikulturelle“ Manufaktur- und Handwerksarbeiten sowie eine soziale Infrastruktur für interkulturelle Projekte geplant.

Nach langjährigen Kämpfen, Widerstand, Besetzung des Ortes und Verhandlungen mit der Regionalverwaltung, erreichten sie die Schließung des Ghettos in Februar 2016 und in Juni 2016 die Genehmigung des Projektes „Ghetto Out – Casa Sankara“ sowohl für den Ersatz durch das von ehemaligen Ghetto-Bewohner_innen selbst erbaute Eco-Village als auch für die Bestellung der 20 ha. Ackerfläche.

Heute leben ungefährer 40 ehemalige Ghetto-Bewohner_innen in Casa Sankara, das nun einen legalen Status erlangt hat. Unter ihnen befinden sich diverse Familien, deren Kinder heute wieder in die Schule gehen können.

Einige von ihnen widmen sich der Landwirtschaft, andere wiederum den Handwerksarbeiten. Ziel ist es, die Potenziale, Kenntnisse und Erfahrungen aller Bewohner_innen einfließen zu lassen, damit eine gegenseitige Bereicherung stattfinden kann. „Ghetto Out – Casa Sankara“ soll als „Zwischenstation“ verstanden werden, ein Ort, an dem Menschen zusammenleben und -arbeiten und dessen endgültiges Ziel es ist, ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu erreichen, um später (wenn erwünscht) in urbanen oder ruralen Zentren ihre Zukunft aufbauen zu können.

Auch Einheimische nehmen heute an den Tätigkeiten in Casa Sankara teil.

Von Elettra Griesi

Der Originalartikel kann hier besucht werden