Marianne Hochuli ist Leiterin des Bereichs Grundlagen und der Fachstelle Migrationspolitik bei Caritas Schweiz. Am 5. Juni 2016 findet in der Schweiz ein wichtiges Referendum für die Reform des Asylgesetzes statt. Über Themen rund um die Flüchtlingsarbeit und das Referendum haben wir bereits mit Stefan Frey und Julia Salome Richter der Schweizerischen Flüchtlingshilfe gesprochen. Auch mit Frau Hochuli, habe ich über die Flüchtlingsarbeit gesprochen und nachgefragt, wie Caritas Schweiz die Arbeit mit den Asylbewerbern und Flüchtlingen ausführt und welchen Herausforderungen sie sich dabei stellt. Für ProMosaik ist das Zauberwort immer das der Diversität und der kulturelle Reichtum der neuen Nachbarn, die nicht zu sehr vom Integrationszwang überschattet werden sollte.

Milena Rampoldi: Welche Hauptaufgaben stellt sich Caritas Schweiz im Bereich der Flüchtlingshilfe in der Schweiz und im Ausland?

Marianne Hochuli: In der Schweiz betreut Caritas Asylsuchende, sowohl sehr bald nach ihrer Ankunft in der Schweiz in Asylzentren als auch später bei der Integration, sei dies mit Sprach- und Integrationskursen, mit Unterstützung bei der Wohnungssuche oder bei Abklärungen für eine berufliche Zukunft.

Im Ausland leistet Caritas direkt in Syrien Überlebenshilfe durch Suppenküchen und die Verteilung von Nahrungsmittelpaketen oder ermöglicht kriegstraumatisierten Kindern in Jordanien, im Libanon und im Nordirak den Besuch einer Schule, um die Entstehung einer „verlorenen Generation“ zu vermeiden.

Caritas Schweiz äussert sich zudem pointiert zur Schweizer Asyl- und Migrationspolitik, wo die Schweiz einerseits mehr Offenheit zeigen und zudem die rechtliche Stellung insbesondere von Vorläufig Aufgenommenen entscheidend verbessern sollte, siehe Positionspapiere.

Welche sind die Hauptprobleme, mit denen die Flüchtlinge und Asylbewerber zu kämpfen haben, wenn sie in die Schweiz kommen?

Einerseits sicher die Ungewissheit über den weiteren Verbleib in der Schweiz, wenn die Asylverfahren lange dauern. Auch sprechen sie meistens keine der vier Landessprachen, sind von der Schweizer Bevölkerung in der Regel auch örtlich stark abgesondert und dürfen anfangs nicht arbeiten.

Welche sind die wichtigsten Aspekte, wenn es um die Betreuung von Flüchtlingsfrauen geht?

Es geht darum, möglichst Schutz und Sicherheit zu gewährleisten. Gerade Frauen haben oft traumatische Erlebnisse durchgemacht und vielfältige Gewalt erlebt. Es wird darum nach Möglichkeit versucht, für Frauen und insbesondere Familien so bald wie möglich private Wohnungen zu finden, damit sie die Kollektivunterkünfte verlassen können.

Was ist bei der Flüchtlingsarbeit mit Kindern und Jugendlichen (auch ohne Begleitung) besonders wichtig?

Kinder und Jugendliche sollen Normalität leben können, so gut dies geht. Das heisst für die Kinder, Spielmöglichkeiten und die nötigen Räume zu schaffen, Austausch mit andern Kindern zu haben, in die Schule zu gehen. Jugendliche ohne Begleitung benötigen von Anfang an eine Vertrauensperson, die sie eng begleitet. Gute Erfahrungen hat man mit speziellen Unterkünften gemacht, wo Jugendliche zusammen sind und betreut werden. Vermehrt werden auch Plätze in Familien gesucht. Und dann sind Lernmöglichkeiten besonders wichtig, bei denen die Jugendlichen eine Struktur erhalten und an einer Zukunft bauen können.

Wie schaffen wir eine positive Integration der Flüchtlinge, indem wir auch ihre Diversität in der Gastgesellschaft schätzen lernen?

In der Schweiz machen wir die Erfahrung, dass sich sehr viele Menschen für die Flüchtlinge engagieren wollen, insbesondere in den Gemeinden, also vor Ort. Dabei geschieht ein wahrhaftig gegenseitiger Integrationsprozess. Flüchtlinge lernen nach und nach die vielen Facetten und Eigenheiten des Schweizer Alltags kennen. Im Gegenzug sprechen Jugendliche oft sehr schnell eine Landessprache und bringen einen reichen Erfahrungsschatz und enorme Lebensbewältigungsstrategien mit. Von ihnen können wir vieles lernen. Gemeinsame Unternehmungen, wie beispielsweise im Sport, bei gemeinsamen Mahlzeiten, beim Erzählen – dies alles bringt ein grösseres gegenseitiges Verständnis. Selbst Politiker, die vorher gegen „Flüchtlingsströme“ gewettert haben, sehen keine Probleme mehr, wenn die Menschen einmal da und zu ihren Nachbarn geworden sind.

IMG_9902_Marianne_Hochuli

Der Originalartikel kann hier besucht werden