Gabriela Jurosz-Landa ist Anthropologin, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert, und in Wien, Prag und Berlin gearbeitet. Sie hält Vorträge und publiziert über internationale kulturell-politische Themen, Kunst und Museumskunde. Als Gründerin und Präsidentin von Forum of World Cultures, engagiert sie sich für inter-kulturellen Austausch. Momentan lebt sie in New York. In folgendem Artikel kritisiert sie die heutige wissenschaftliche Dominanz in Museumsausstellungen. Stattdessen schlägt die Autorin eine Perspektive vor, die vom Subjekt statt dem Objekt ausgeht und so den Menschen in den Mittelpunkt seiner Welt und der Ausstellung stellt.

Die Geschichte eines jeden Volkes beginnt mit der Wahrheitsoffenbarung aus dem Mythos. Aus ihr entwickelt sich kultisches Handeln, das Wissenschaft dann zu erklären versucht. Auch der Künstler betätigt sich in seinem Wirken kultisch. So ist es dieses Handeln, das seinem Sinn eine Form versetzt, was es in Ausstellungen kultureller Inhalte – Kunst, Geschichte, Politik, um nur einige zu nennen – darzustellen gilt.

Überträgt man diese Betrachtung auf die Bedeutung von Kult und Wissenschaft im Museumsbetrieb, zeigt sich die aktuelle Hierarchie eindeutig. Wissenschaftliche Perspektiven und Darstellungsmethoden ragen über der Präsentation des eigentlichen Werkes hinaus. Es ist meine Überzeugung, dass dabei der Museumsbesucher, der eigentliche Rezipient, nicht selten distanziert und entfremdet wird. Museumsausstellungen müssen einem breiteren Publikum zugänglich sein – unterschiedlichen Generationen und Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten – wollen sie nicht, wie die Kirchen, ihre „Kundschaft“ verlieren.

Was nun verstehen wir konkret unter Wissenschaft im Museumsbetrieb. Zum einen ist es die akademische Disziplin, die den Mythos und seinen Kult analysiert und hinterfragt – Mythos als inhaltsauslegendes Wort, Kult als dessen Handlung. Zum anderen drückt sie sich aus in den Methoden, die zur Verfügung stehen, Inhalt mitsamt ihrem Kult im Museum zu präsentieren. Wissenschaft sollte dazu da sein, den Kult darzustellen. Alle Mittel, die dem Museumsbetrieb zur Verfügung stehen, sollten ihrem zu veräußernden Inhalt und dessen Ausdrucksweisen dienen. Denn nur so steht der Mensch im Mittelpunkt der Welt und eben nicht – wie das goldene Kalb – das Objekt.

Da wir in Europa seit Descartes in einer wissenschaftorientierten Gesellschaft leben, werden Mythos und Wahrheit immer gegenübergesetzt, als seien sie Gegensätze. Es ist heute enorm schwierig, sich an Leben anstatt an Verwissenschaftlichung und Technologisierung zu orientieren. Viele Menschen haben bereits eine stärkere Beziehung zu Technik als zu Natur. Wo das hinführt, brauchen wir hier nicht zu schildern. Ob wir diesen Weg gehen wollten, ist tägliche Entscheidung eines jeden.

Kult ist anders strukturiert als Wissenschaft und nicht so leicht einzuordnen. Kult mag rituell wiederholt werden, dient jedoch der Erneuerung. Hierin liegt seine Verwandtschaft zur Kunst als kreativem Schaffen. Hierin liegt jedoch auch ein Grund, weshalb es vorgezogen wird, ihn mitsamt zu ignorieren und aus der Welt des Menschen zu verbannen.

Um mit Georg Picht zu sprechen, wird Kunst in diesem Jahrhundert rein ästhetisch aufgefasst, rein künstlerisch und so in die „Sphäre allgemeiner Unverbindlichkeit“ entrückt genossen.

„Die Kunstwissenschaft und die Ästhetik haben [als Wissenschaften] Formen der Betrachtung von Kunstwerken entwickelt, die es erlauben sollten, die Kunst rein als Kunst, also unabhängig von ihrem wirklichen oder vermeintlichem Zusammenhang mit der Welt des Mythos zu betrachten“.

Leiter von Museen, die sich mit Persönlichkeiten aus Kunst oder Wissenschaft beschäftigen, möchten sich diesen Fakt vor Augen halten, um der allgegenwärtigen Wissenschaftsanbetung, zu dem sie die Universitäten Großteils erziehen, nicht zu unterliegen. Sie sind „Führer“ ihrer Gesellschaft und als erste Bildungsinstanzen verantwortlich für die Entwicklung ihrer Mitmenschen. Wenn wir heute an simplifizierendem Ratio-Wahn leiden, sind es Institutionen wie Museen, in deren Hand es liegt, ein anderes, individuelleres Bild der Existenz und somit eine vielschichtigere und lebendige Vision unserer Welt zu zeichnen. In jeder Entscheidung sollte so der Mensch im Zentrum stehen. Technik steht ihm nach und sollte nicht als billiges und vorallem bequemes Mittel eingesetzt werden, weil einem nichts Kreativeres zur Präsentation eines Themas einfällt.

Problem des Kultus

Richard Schaeffler schrieb schon 1974 in seinem Aufsatz „Der Kultus als Weltauslegung“:

„Der Kultus pflegt nicht zu kommentieren, was er tut. Es muss aus dem Tun abgelesen werden.“ Genau dieses Ablesen wird für den heutigen Menschen jedoch eine Schwierigkeit. Schnelllebigkeit und fehlende Hinführung zum Kern der Dinge blockieren ihm den Weg zur Erkenntnis. Um mit Peter Tepe zu antworten: „Aufklärung ist ein ausgekügeltes System des Verdrängens.“ (Mythologica 8: 2002, 386). Gerade diese vermeintliche Aufklärung macht den Menschen zunehmend blind für das Wesentliche.

Dieses Wesentliche ist mit allen Sinnen besser zu erkennen als mit Vernunftsdenken allein. Das können sich Museumsverantwortliche zu Nutze machen, haben nicht gerade sie es mit materiellen Artefakten oder besser noch dem Ausdruck immaterieller direkter Gedanken des auszustellenden Protagonisten zu tun? Hand anlegen und Hand anlegen lassen ist des Museums Devise. Der digitale Knopfdruck kann da nicht mithalten. Was alles kann man durch das Hören etwa der Musik Bachs oder Wagners erfahren. Nicht das Objekt, evozierte Bilder sind es, die wesentlich sind. Die Darstellung der Bilder und Erlebnisse, die den Künstler inspirierten, lassen den Rezipienten Werk und Leben des Kulturschaffenden nacherleben lassen.

Friedrich Bachmayr scheint dies im Stringbergmuseum in Saxen erfaßt zu haben. Er stellt seelische Abgründe, aus denen das Werk des Schriftstellers schöpft als Schluchten dar, die Strindberg auch physisch in der österreichischen Landschaft durchging. Und auch in Teilen des Bayreuther Richard-Wagner-Museum hat Volker Staab mit seinen Produzenten Mythos unterhalb der Kopflinie in dunklen Untergeschossen mystisch inszeniert.

Die Kunst, Kunst darzustellen, ist keine Frage des Geldes oder zur Verfügung stehender historischer Artefakte, sie spiegelt die Fähigkeit der Phantasie, des In-der-Welt-Seins, um mit Heidegger zu sprechen, wieder, die wiederrum ein Ausdruck von Freiheit und gleichzeitiger Verwurzelung sind.

Gabriela Jurosz-Landa