Der Himmel über Paris ist blass-blau am Tag danach. Die Nacht zuvor war schrecklich, wahrscheinlich war sie eine jener Nächte, an die man sich noch lange erinnern wird.

Ich schreibe – nicht ganz ohne Schwierigkeiten, das gebe ich zu – aus einer Stadt im Krieg, aus einem Land im Krieg. Und das Problem ist, dass wir uns dieses Krieges, in Frankreich und in Europa, erst jetzt richtig bewusst werden. Um ihn zu begreifen, haben wir so lange gewartet, bis er direkt vor unseren Augen erscheint, mit einer Stadt, die in Feuer und Flamme steht, und mindestens 132 unschuldigen Opfern (das ist die Bilanz zum jetzigen Zeitpunkt), die zu beklagen sind. Wir haben gewartet, bis unsere „Toten“ da sind, ohne uns über die Menschen zu sorgen, zu deren Tod wir tagtäglich im Rest der Welt beitragen: durch militärische Interventionen, den Handel mit Waffen, Ausbeutung der Menschen und der Umwelt, und ganz allgemein durch die moralische und ökonomische Unterstützung eines Systems, das zutiefst gewalttätig ist.

Der Schock und der Schmerz überwiegen noch, es fällt immer noch schwer, zu begreifen, was passiert ist. Der erste Gedanke an diesem besagten Abend, während der ersten eintreffenden Nachrichten der Tragödie und Telefonaten mit Freunden, war vielleicht banal und ein wenig egoistisch: „Zum Glück bin ich zu Hause geblieben“. Es macht keinen Spaß, sich bewusst zu werden, dass nur wenig entfernt von dort, wo man wohnt, in einem Konzertsaal, an dem man für gewöhnlich vorbeigeht, in einer Bar, in der man ein Bier hätte trinken können, in einer Straße, in der man sich schon tausend mal befand, Menschen, die auch nur zufällig da waren, ihr Leben verloren. Der Gedanke weitete sich dann aus und wanderte zu Freunden, die in der Stadt unterwegs waren und die angstvoll nach Hause geeilt sind, zu denen, die in einem vollen Restaurant Freitag Abend gearbeitet haben und die zusammen mit den Gästen für Stunden dort verbarrikadiert ausharren mussten, zu denen, die noch näher dran waren am Chaos als ich an diesem Freitag den 13., der noch unheilvoller war als man für gewöhnlich sagt. Es folgten tief empfundenen Gedanken und ein konfessionsloses Gebet, gewidmet den Opfern und ihren Angehörigen, und der Menschlichkeit, personifiziert durch all diejenigen, die im Chaos mit erster Hilfe vor Ort waren und die ihre Türen öffneten für die, die den Orten der Tragödie entfliehen konnten.

Die Gedanken endeten schließlich bei denen, die mit diesen Zustand der Beklemmung jeden Tag leben müssen, viel mehr als ich, und die trotz allem die Würde bewahren und das Leben weiter leben. Ich denke an die angespannte Realität, die ich in Palästina vor einigen Monaten erlebt habe, ich denke an die qualvollen Geschichten der Kurden und Syrer, an die, die sich ohne Verschulden inmitten einer der Kriege in Afrika befinden, an das Attentat vor zwei Tagen im schiitischen Viertel von Beirut…an all diejenigen, die versuchen, diesem „dritten Weltkrieg“ zu entfliehen und die unter größten Schwierigkeiten Aufnahme suchen.

Durch das Nachdenken über all das, über die unmenschlichen Bedingungen, in denen immer noch viel zu viele Menschen auf diesem Planeten leben, ist mir der Sinn klar geworden, den das Einsetzen für Gewaltfreiheit in meinem kleinen Leben hat. Wer mich fragt, warum mir soviel am Kampf für Frieden und am Wiedererwachen einer starken pazifistischen Bewegung liegt, warum ich trotz der Blicke meiner Gesprächspartner (die mich im besten Fall für einen Utopisten halten, im schlechtesten für naiv) nicht müde werde, von Gewaltfreiheit zu sprechen, denen sage ich: Ich will die Gefühle, die ich gestern Abend hatte (voll von Angst und Schock, auch wenn in gedämpfter Weise aus einer „privilegierten“ Situation heraus) nie wieder erleben müssen. Und ich will, dass niemand auf dieser Welt sie wieder erleben muss.

Ich will keine Welt mehr in den Fängen von Gewalt sehen. Nicht nur jene brutale, bewaffnete und offensichtliche Gewalt…sondern auch die des Kapitals und der Macht und die, die wir jeden Tag in menschlichen Beziehungen reproduzieren, die uns davon abhält, andere als menschliche Wesen unser gleichen anzusehen, die uns teilt, die uns von Zusammenarbeit abhält und die dazu führt, dass unser einziges gemeinsames Haus, das wir haben, unser Planet Erde, zerstört wird. Schaut Euch mit ein wenig Tiefgang um und ihr werdet diese Beispiele der Gewalt in Hülle und Fülle finden. Und in den folgenden Tagen werdet ihr noch mehr davon entdecken: die Schakale haben bereits mit ihrer Arbeit begonnen, sie sähen Hass und Angst und benutzen das bequeme Feindbild – Menschen islamischen Glaubens – als Vorwand, um noch mehr Kontrolle auszuüben, Grenzen gegenüber Migranten und Flüchtlingen zu schließen, militärisch aufzurüsten, Demonstrationen zu limitieren und ein Klima des Terrors zu verbreiten.

Angesichts der Krise und der Entmenschlichung, die wir erleben, ist die gewaltsame Antwort bereits in der Luft, die klassischen Spirale des „Auge um Auge, um die Welt blind zu machen“, gut erklärt von Gandhi. Das was nicht nur Paris, sondern die ganze Welt jetzt braucht, ist eine wahrhaftige Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit. Nicht die scheinheilige, sondern die konkrete, aktive Gewaltfreiheit im täglichen Leben. Ich glaube, dass dies die beste Art ist, um jenen nahe zu sein, die in diesen Stunden leiden, und um das schlimmste zu vermeiden: sich dazu zwingen, „menschlich zu bleiben“, wie Vittorio Arrigoni schrieb.

Wir dürfen uns nicht in in Angst und Hass verschließen. Lasst uns jeder einzelne seinen kleine Beitrag gegen Militarisierung, gegen Krieg und gegen zerstörerische Allianzen wie die der NATO beitragen, lasst uns für eine drastische Kürzung der Militärausgaben und für alternative Formen der Verteidigung kämpfen, lasst uns Banken und Firmen boykottieren, die mit Waffenhandel und Missbrauch von Arbeiter und Umwelt Profit machen. Kümmern wir uns um unser Leben und um das deren um uns herum, lasst uns ein wenig mehr auf die anderen achten, anstatt nur auf uns selbst. Lasst uns auf diese Weise, mit aktiver und organisierter Gewaltfreiheit, ein Welt erschaffen, die es würdig ist, darin zu leben.

„Gewaltfreiheit oder Barbarei“, daran haben uns unsere Freunde der gewaltfreien Bewegung in Italien anlässlich des 2. Oktobers erinnert. In diesen Stunden, angesichts der barbarischen Ereignisse, ist es mehr als zuvor notwendig, die Richtung zu ändern.

(Dank an Sara Sgrò für die freundliche Erlaubnis, ihr Werk „Umarmung des Lebens“, gewidmet den Ereignissen von Paris, als Illustration für diesen Artikel zu verwenden.)

Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter