Die „Pflege liegt am Boden“ oder die „Pflege steht auf“. So empörten sich Pflegende über medienwirksame Kampagnen wie Flashmobs in den letzten Jahren, ohne dass sich dadurch wirklich viel verändert hätte am Notstand dieses Berufsstandes und der Krise im Gesundheitssystem. Daher rufen die Pflegekräfte, genauer verdi, jetzt zum Streik auf. Am 23. Juni wird in der Charité die Arbeit niedergelegt.

Als längst überfällig bezeichnet Guy Hoffmann, Mitinitiator von „Pflege am Boden“, diesen Streik. Über 10 Jahre habe die Pflege, als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, alle Kürzungen klaglos hingenommen. 40 % der Vollzeitstellen seien seit 1995 gestrichen worden.

Vor allem der Personalnotstand habe zu gefährlichen Entwicklungen geführt. Die verbliebenen Kräfte leiden unter extremer Überlastung, Burn Out und Depressionen lassen die Personaldecke noch dünner werden. Typische Symptome unzureichender Pflege zeigen sich an steigenden Zahlen von im Krankenhaus erworbenen Infektionen, die auf unzureichende Hygiene zurückzuführen sind, und ebenfalls zunehmenden Zahlen von Druckgeschwüren wegen unzulänglicher Lagerung bettlägeriger Patient_innen. Für Patient_innen, die viel Zuwendung bräuchten, wie Demenzkranken, bliebe keine Zeit.

Für viele Pflegende, die einmal diesen Beruf erlernt haben, weil sie tatsächlich Menschen helfen wollen, ist diese Form der Arbeit so depremierend, dass sie frühzeitig ausscheiden oder bereits kurz nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung in einen anderen Beruf wechseln. Die Lücken stopfen sollten dann zum Beispiel spanische Pflegekräfte, die vom Gesundheitsministerium angeworben wurden, die allerdings bei Anblick der deutschen Zustände ebenfalls eilig Protestinitiativen gründeten. Außerdem sollen schnell ausgebildete Pflegehelfer unterstützend tätig sein. Yvonne Falckner, ebenfalls von „Pflege am Boden“, sagte kürzlich in einem Fernsehinterview, dass jeder, der unterstützend dazu käme, willkommen und gebraucht sei, dass aber Patient_innen vor allem qualifiziertes Personal benötigten, um die notwendigen pflegerischen Massnahmen auszuführen.

Momentan leidet der Beruf wegen der Arbeitsbedingungen, aber auch wegen des schlechten Gehaltes, an schwindender Attraktivität. Es spricht für diese Berufsgruppe, dass sie bei ihrem Streik in der Charité an erster Stelle die Erhöhung des Personals fordert und erst an zweiter Stelle die Aufbesserung des Gehaltes. Jedoch geht wohl beides Hand in Hand, denn ohne eine vernünftige Bezahlung wird man kein gutes Personal finden.

Dass es trotz allem so lange gedauert hat bis zu diesem überfälligen Streik, hat strukturelle Gründe. Dazu sind vorher gescheiterte Tarifverhandlungen notwendig und eine positive Abstimmung innerhalb der Gewerkschaftsmitglieder. Die Pflegekräfte sind bei verdi organisiert, allerdings in Fachbereich 03 zusammen mit allen anderen sozialen Berufen. Pflegende in Deutschland sind traditionell zu einem geringen Prozentsatz gewerkschaftlich organisiert. Vielleicht stimmt etwas an dem Vorurteil der Uneigennützigkeit von Menschen im Pflegeberuf. Auch darum waren nicht-gewerkschaftliche Initiativen wie „Pflege am Boden“ notwendig, um mehr Kolleg_innen zu aktivieren, für ihre Rechte zu kämpfen. Bei der Abstimmung in der Charité haben nun 96,4 % für Streik gestimmt.

Guy Hoffmann verspricht sich von diesem Streik im großen und berühmten Krankenhaus der Charité eine starke mediale Wirkung und vermehrte öffentliche Diskussion. „Schon das Publizieren in die breite Öffentlichkeit ist ein Politikum. Wenn mehr und mehr Pflegekräfte merken, dass Widerstand möglich ist, wird er auch kommen. Davor muss sich die Politik fürchten.“