Dr. phil. Milena Rampoldi führt mit Reto Thumiger, Redakteur Pressenza Berlin, ein Gespräch über Humanismus und einen Journalismus des Friedens und der Gewaltfreiheit.

Was bedeuten für dich persönlich Humanismus und Neo-Humanismus?

Für mich besteht der Humanismus in erster Linie aus drei Punkten: der Mensch ist zentraler Wert, der Gewaltfreiheit und daraus den anderen so zu behandeln wie ich selber behandelt werden möchte. Vor allem der letzte Punkt fasst für mich den Lebensstil des Universellen Humanismus zusammen.
Persönlich bin ich einfach des Leides müde, in mir und um mich herum. Ich weigere mich den Mythos zu akzeptieren, das Leiden sei ein integraler Bestandteil des Lebens und Gewalt gehöre zum Menschen. Ziel des Humanismus ist Schmerz und Leiden zu überwinden, und dazu müssen wir Gewalt und Diskriminierung überwinden und zur sozialen Gerechtigkeit finden, und zwar nicht nur hier in Deutschland oder Europa, sondern auf der ganzen Welt. Es wird keinen weiteren Fortschritt geben, wenn er nicht einen Fortschritt für ALLE bedeutet.
Im Gegensatz zum säkulären Humanismus ist die innere Welt des Menschen für den Universellen Humanismus von großer Bedeutung. Eine tiefgründige Veränderung des Menschen und der Gesellschaft benötigt zwangsläufig eine innere Dimension. Der Mensch ist nicht nur Haut, Fleisch und Knochen, er ist ein geistiges, ein spirituelles Wesen. Der Rationalismus hat zu einer Entfremdung vor allem in der westlichen Hemisphäre geführt. Aus der tiefgründigen Inspiration in uns schöpfen und in der Gesellschaft handeln, oder anders gesagt mit den Füssen fest auf dem Boden stehen, mit dem Kopf im Himmel.

Welche Hauptziele verfolgst du mit deinem Engagement für das Presseportal Pressenza?

Es gibt zahlreiche Friedensprojekte in der Welt. Pressenza aber ist ein neuer Ansatz in einem Gesellschaftsbereich, den Medien, an den sich noch kaum jemand rangewagt hat. Jeder weiß ganz intuitiv, dass die Medien von der Gewalt in ihren verschiedenen Formen leben. Sie zehren praktisch davon.
Als ich 5 Jahre alt war, hatte ich meine Eltern dazu gebracht mich erst nach den abendlichen Nachrichtensendungen ins Bett zu schicken. Die Tagesschau fand ich aber schrecklich langweilig und da zu der Zeit allabendlich die Bilder des Jom-Kippur-Krieges zu sehen waren, fragte ich meinen älteren Bruder, wann denn dieser Krieg endlich zu Ende sei, in dem Glauben, dass es dann auch keine Nachrichtensendung mehr geben würde. Er erklärte mir dann geduldig, dass es immer irgendwo Krieg gäbe und darum auch immer Nachrichten geben wird. Das liest sich nun natürlich amüsant, der kleine Junge, der glaubt nach dem Ende eines Krieges sind auch die langweiligen Nachrichtensendungen zu Ende und die Bahn frei für spannendere Filme und die etwas altkluge Erklärung des älteren Bruders. Abgesehen davon, dass es für mich ein prägender Moment für mein späteres Engagement für die Gewaltfreiheit war, da ich in diesem Moment zum ersten Mal die Gesellschaft in Zweifel zog und spürte, dass etwas mit ihr nicht stimmt, zeigt die Anekdote aus meinem Leben auch wie früh im Kopf eines Kindes die Verknüpfung Krieg sind Nachrichten und ohne Krieg keine Nachrichten, entsteht. Nun muss man das Wort Krieg nur mit Gewalt austauschen und schon sind wir bei der heutigen Medienrealität angelangt.
Nun wissen wir auch, dass die Medien nicht nur Realitäten abbilden, sondern auch Realitäten schaffen. Diese gewaltsuchenden Augen der Journalisten, nennen wir es mal den gewaltvollen Blick, fördern und erzeugen Gewalt.
Bei Pressenza suchen wir nach Konfliktlösung, nach Versöhnung, nach Entspannung, alles was verbindet, Faktoren, die Gewaltfreiheit und Frieden fördern und berichten darüber. Es geht hier nicht nur darum worüber wir schreiben, sondern wie wir darüber schreiben, mit einem gewaltfreien Blick eben. Das Hauptziel von Pressenza ist es zur Überwindung der Gewalt beizutragen.

Wie wichtig ist der Journalismus für den Frieden und die Menschenrechte heute inmitten eines kalten Kriegs- und Machtjournalismus?

Wir durchleben ja gerade einen sehr kritischen Moment. Erneut gibt es einen militärischen Konflikt in Europa als ein Resultat der zunehmenden Aggression zwischen militärischen Großmächten. Auf die Hintergründe will ich jetzt gar nicht eingehen. In dieser Situation spielen die Medien eine äußerst wichtige Rolle und werden zum Propagandainstrument, mittels dem die Bevölkerung auf einen militärischen Konflikt vorbereitet und eingestimmt werden soll.
Viele Journalisten und Journalistinnen erlernen ihren Beruf mit hehren Absichten, die dann angesichts der redaktionellen Linie vieler Medien auf der Strecke bleiben. Zurück bleiben frustrierte Bezahljournalisten, die sich instrumentalisieren lassen, anstatt aufzudecken, wahre Schuldige anzuklagen und die verschiedenen Seiten eines Konfliktes zu zeigen. Den Journalisten wird ja beigebracht Distanz zu halten, auch zu den „guten“ Sachen. In Momenten der Krise wie dieser müssen die Journalisten aus ihrer „Berichterstatter-Position“ heraustreten und Stellung beziehen und zwar für den Frieden und die Gewaltfreiheit. Journalisten sind auch Zivilbürger und können sich nicht hinter einem Presseausweis verstecken, während sie gleichzeitig mithelfen einen Krieg herbeizuschreiben. Ich denke da zum Beispiel an Gabriel Krone-Schmalz, ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, oder Ken Jebsen, ehemaliger Moderator von RBB, die diesen Schritt der Verantwortung gemacht haben.
Es gibt Momente in der Geschichte an denen die Gesellschaft auf der Kippe zwischen Fortschritt oder Rückschritt, zwischen Frieden oder Gewalt, zwischen dem Ja oder Nein zum Leben steht. Der Journalismus und die Medien können das Zünglein an der Waage sein und darum ist ein Journalismus für Frieden und Gewaltfreiheit von größter Bedeutung.
Pressenza ist zwar eine kleine Nachrichtenagentur, entwickelt sich aber zunehmend zu einem anerkannten Pressedienst mit vertrauenswürdigen Inhalten um die Themen Frieden, Abrüstung und Gewaltfreiheit. Pressenza will die etablierten Medien mit Artikel zum Frieden „füttern“ und zu einer differenzierten Berichterstattung beitragen. Ausserdem suchen immer mehr Menschen nach Informationen und Standpunkten außerhalb der manipulierten Massenmedien, diese Menschen will Pressenza mit seriösem Journalismus für den Frieden bedienen. Außerdem bilden wir junge Medienschaffende für einen Journalismus des Friedens und der Gewaltfreiheit weiter.
Somit fördern wir eine wachsende weltweite Sensibilität die Gewalt und Diskriminierung ablehnt.

Welche Strategien siehst du, um diesen positiven Journalismus für den Frieden und die Menschenrechte hörbarer zu machen?

Wir sind ja nicht alleine da draußen mit unserem Bestreben nach einer gewaltfreien Gesellschaft. Das ist ja gerade das Problem. Die etablierten Medien vermitteln uns das Bild, dass die Welt voller spatzenhirniger Idioten mit Keulen und Kanonen sei, Massen von Menschen voller Hass und Ablehnung. Was für eine Lüge uns da tagtäglich aufgetischt wird, ein hässliches Zerrbild der Realität. Dabei gibt es viel mehr friedensliebende, tolerante und solidarische Menschen. Eine große Mehrheit will Krieg und Gewalt überwinden. Es gibt so viele Initiativen, Gruppen, Organisationen und Einzelkämpfer, die sich tagtäglich dafür engagieren. Ganze Bewegungen wie die Empörten in Spanien zum Beispiel.
Damit diese verzerrte Wahrnehmung korrigiert werden kann, müssen wir uns vernetzen, verbinden, Informationen teilen, weiterleiten und weitertragen. Vor allem müssen wir miteinander reden im realen Leben und in den sozialen Medien bis eine Dynamik und eine Strömung entsteht. Ein gemeinsamer Ruf nach Frieden, der nicht mehr überhört werden kann. Deshalb ist Pressenza auch ein offenes Projekt, jeder kann sich beteiligen und mithelfen.

Was hast du aus Afrika für dein Leben und dein Denken mitgebracht?

Diese Frage umfassend zu beantworten, würde definitiv den Rahmen dieses Interviews sprengen. Was mir aber am meisten Eindruck gemacht hat, war in Südafrika das Konzept des Ubuntu kennen zu lernen. Vielen kommt bei dem Wort ja ein Linux-Betriebssystem in den Sinn. Ursprünglich kommt das Wort aus der Sprache der Zulu und fasst ein ganzes philosophisches Konzept zusammen. Der Mensch wird nicht als ein unabhängiges Individuum verstanden, sondern ist ein untrennbarer Bestandteil eines lebendigen Netzwerkes, jeder ist mit jedem verbunden und Teil eines Ganzen. Wenn jemand Gewalt ausübt und eine oder mehrere Personen Schaden zufügt, dann ist die Einheit beschädigt und das betrifft alle. Wenn nun an dem Täter Rache geübt wird, wurde nichts gelöst, im Gegenteil der Schaden am Ganzen hat sich verdoppelt. Der Schaden kann nur wieder gut gemacht werden in dem man heilt und versöhnt. Nur so wird die Ganzheit wiederhergestellt. Mich hat dieses Denken sehr beeindruckt und auch betroffen gemacht, wie armselig unsere Auge-um-Auge-Mentalität im Vergleich dazu ist.
So ist es für mich nicht verwunderlich, dass die fantastische Arbeit, die die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika zur Aufarbeitung des Apartheid-Regimes geleistet hat und meines Wissens die erfolgreichste seiner Art ist, nicht in der jüdisch-christlich-muslimischen Kulturen sondern in der afrikanischen Ubuntu-Kultur gründet.

Wie beginnt eine Kultur des Friedens und der Toleranz im Umkreis von jedem von uns?

Eine Kultur der Gewaltfreiheit beginnt in uns selbst und zwar indem man genug hat vom Leiden und der Gewalt. Leiden hat seine Wurzeln immer in der Gewalt.
Es ist notwendig die Gewalt in einem selbst zu erkennen, die die man selber ausgeübt hat und immer noch ausübt und auch die Gewalt die man erfahren hat und man immer noch erleidet. Hier geht es nicht nur um körperliche Gewalt, selbstverständlich, sondern um Gewalt in all ihren Formen (psychologische, sexistische, rassistische, wirtschaftliche, religiöse etc.). Außerdem muss ich anfangen zu verstehen wie Gewalt in meiner Kultur verwurzelt ist. Die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, ist immer ein Teil von mir, egal ob ich sie annehme oder ablehne und die Gewalt durchdringt jede Kultur auf dieser Welt.
Erst ein Entschluss nicht mehr leiden zu wollen und dann eine kleine Anstrengung der Reflexion über die Gewalt. So fängt es an und das wird mir erst ermöglichen, mich mit mir selber und mit anderen Menschen zu versöhnen und damit meine ich versöhnen und nicht vergeben. Daraus werden sich die weiteren Handlungen in meinem persönlichen Umfeld und in der Gesellschaft ergeben.

Der Originalartikel kann hier besucht werden