München, 05.04.2014

Im Zuge der weltweiten „Wave-of-Action“ fand heute am Sendlinger Tor in München eine friedliche Kundgebung der Münchner Gruppe „Echte-Demokratie-Jetzt/Occupy (EDJ)“ statt. Die Kernpunkte der Aktion umfassten das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP), die Krisen in Europa und der Ukraine sowie innenpolitische Missstände. Vor einem Publikum von ca. 30 Zuhörern referierte sowohl der feste Kern der EDJ als auch – frei nach der basisdemokratischen Grundidee der Occupy-Bewegung – jeder, der seinen Unmut kundtun wollte. Im Vergleich zu der ersten Occupy-Aktion im Jahr 2011, mit einem von Bürgern besetzten Münchner Stachus, war die Teilnahme heute enttäuschend gering, ein Phänomen, mit dem die gesamte Occupy Bewegung zu kämpfen hat.

Der unter seinem Künstlernamen auftretende Spoxx, ein EDJ-Aktivist der ersten Stunde, erklärt den Rückgang der Occupy-Euphorie mit der gekippten Stimmung nach dem Arabischen Frühling. Dieser gilt als Initialzündung der Occupy Bewegung. Es fehle an langfristiger politischer Arbeit der Beteiligten. Zudem nähmen die Bürger gegenüber der Occupy-Bewegung eine Erwartungshaltung ein und setzten sie mit Politikern gleich. Dafür sei die Occupy-Bewegung aber nicht geschaffen; sie lebe davon, dass sich jeder einzelne aktiv einbringt. Eine „macht mal was“-Mentalität führe zum Stillstand der Bewegung.

Des Weiteren habe es im Laufe der Proteste massive Unterwanderungsversuche rechter Gruppierungen gegeben. Dies habe viele abgeschreckt und führte zu einer Gratwanderung zwischen der Kooperation mit anderen bei gleichzeitiger Distanzierung von extremen Splittergruppen. Ein aktuelles Beispiel vor der eigenen Haustür sei die Zusammenarbeit der HUT-Partei, die sich Bürgerinitiative nennt, mit der FDP, welche beispielsweise die Schließung des Eine-Welt-Hauses in München forciert habe. Derartige Kooperationen mündeten nur in Enttäuschungen bei den Bürgern.

Zur Lösung dieses Problems plädiert Spoxx für stadtteilbezogene Projekte, um mit Gleichgesinnten soziale Ziele zu erreichen. Ein Beispiel sei die Münchner „Aktionsgruppe Untergiesing“, die für bezahlbare Mieten kämpfe.

Das erste Thema der Kundgebung behandelte das TTIP-Abkommen in seiner jetzigen Form. Dieses Abkommen sei „ein Kuhhandel“ mit den Bürgern, welche „gemolken“ würden von Industrie und Politik. Lobbyismus und Politik würden sich hier wieder einmal über die Basis hinwegsetzen. Und wenn die Spitze nicht mehr die Basis vertrete, „muss sich die Basis von der Spitze trennen“, verlautete der erste Referent seine Kritik. In nachfolgenden Ansprachen wurde das Investor-Staatsstreit-Beilegungsverfahren beleuchtet. Wieder einmal ein von Lobbyisten geschaffenes Wortungetüm, das deren fatalen Folgen für Allgemeinheit und Demokratie verschleiern soll. Im Klartext gestatte diese Vereinbarung den Konzernen, dass sie ganze Staaten verklagen könnten und der politische Handlungsspielraum der beteiligten Staaten empfindlich eingeschränkt werde.

Als nächstes ging ein Referent auf die „haarsträubende“ Entwicklung der Nato nach dem Mauerfall ein. Er verwies auf die zahlreichen Kriegseinsätze der Nato, die daraufhin folgten. Darüber hinaus wies er auf die undemokratische Entstehung des Lissaboner Vertrages hin. Dieser gelte für Europa anstelle einer Verfassung, obwohl er bei der Bevölkerung „durchgefallen“ sei.

Einen Handlungsvorschlag brachte die junge Münchnerin Jara mit ihrer unter Facebook abrufbaren „Liste für München – we are doing it smart“ ein. Demnach seien alle Parteien unterwandert, jedoch gäbe es in jeder Partei auch immer Querköpfe und Querdenker. Gerade deshalb sollte jeder bei der Wahl seine Stimme den einzelnen Kandidaten geben und nicht zwingend der Partei selbst. Eine Idee, die auch Kritik erntete.

Der Referent Jaro griff die extremen Lohnunterschiede in der Gesellschaft auf, indem er an die Zuhörer die Frage richtete, warum Menschen, die unsere Kinder betreuten weniger Geld für ihre Leistung erhielten, als Menschen, die unser Geld betreuten? Er setzte weiter an: „Ist uns Geld wichtiger als unsere Kinder?“ Jaro sieht die Lösung nicht in einer Revolution, weil sich seiner Meinung nach „die Vorzeichen nach einer Revolution nur ändern“. Eher liege die Lösung in der Evolution. Diese kann von einem alternativen Geldsystem über den regionalen, nachhaltigen Anbau von Nahrung bis hin zur eigenen Erzeugung von Energie gehen. Er beendete sein Referat mit einem Zitat von Mahatma Ghandi: „Be the change you want to see in the world.“

Die Themen blieben nicht bei allgemeinen Herausforderungen und Problemen. Ein ehemaliger Zahnarzt, Florian, gab in einer euphorischen Rede Einblick in ein von Lobbyismus und Profitgier durchdrungenes deutsches Kliniksystem. Auch er trägt mit der Bürgerinitiative “Ja zur Klinik“ zu einem politischen Umdenken bei. Des Weiteren warnte er vor einer Unterwanderung der Schulen und Universitäten durch Bundeswehr und Geheimdienst, von dem letztere Beihilfe geleistet hätte bei der Vertuschung der NSU-Morde und des rechts-motivierten Oktoberfest-Attentates (Anm. d. Verf.: 26.09.1980).

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Als besonderer Redner trat der Spanier Daniel gemeinsam mit einem Landsmann auf, um aus erster Hand von den Protesten aus seinem Heimatland zu berichten. Daniel war einer von Zehntausenden spanischen Bürgern, die nach der dortigen Immobilien- und Finanzkrise auf die Straße gingen, um gegen das Versagen des politischen Systems zu demonstrieren. Bekannt wurde die 2011 geborene Bewegung unter dem Namen „Movimiento 15-M” oder generell „Spanische Revolution“ und kooperiert eng mit der Bewegung „¡Democracia Real Ya!” (Echte Demokratie Jetzt!). Nach Aussagen von Daniel fühlten sich die Bürger Spaniens nicht mehr von der Politik wahrgenommen. Im Gegenteil, ihnen sei durch die Krise bewusst geworden, dass sie „mit die schlechteste Verfassung Europas“ hätten. Willkürliche Polizeigewalt und die Blockierung demokratischer Entscheidungen von oben machten es für die dort lebende Bevölkerung schwer, die eigentlich verfassungsrechtlich geschützte Demokratie und ihre Meinungsfreiheit wahrzunehmen. Hinzu käme die Sorge vor Privatisierungen in empfindlichen Bereichen wie beispielsweise dem Bildungswesen.

Besonders die sehr einseitigen Berichte der Medien und die Verhöhnung wütender Bürger als Terroristen machen Daniel wütend. Es würden immer nur Demonstranten gezeigt, die Polizisten verprügelten. Dass diese Demonstranten allerdings von einer unberechenbaren Polizei provoziert und in ihren Rechten beschnitten würden und sich dann lediglich gegen Knüppelschläge wehrten, werde von den spanischen Medien weitgehend ausgeblendet. Auch die ungeprüfte Übernahme der spanischen Medienwelt durch die deutschen Nachrichten wird von Daniel kritisiert. Es mangele auch in Deutschland an echter und unvoreingenommener Berichterstattung, wenn es um Proteste gegen das bestehende Finanz- und Kapitalsystem ginge.

Als trauriges Beispiel nennt Daniel einen Vergleich zur Darstellung von gewalttätigen Demonstranten in den spanischen Medien: „Wenn jemand seinen Job verliert, die Hypothek nicht mehr bedienen kann, daraufhin die Bank der Familie Haus und Hof wegnimmt, die Familie auf der Straße landet (Anm. der Verf.: die Zahl der Zwangsräumungen liegt aktuell bei ca. 500 pro Tag) und sich nur noch Verzweiflung breit macht, ist das dann keine Gewalt?“

Es seien die über 50 Prozent arbeitslosen jungen Menschen, die Zigtausend obdachlosen Familien, diejenigen, die nun unter menschenunwürdigen Bedingungen einen hoffnungslosen Existenzkampf führten und sich von dem System hintergangen fühlten und es seien noch weitere Hunderttausend, denen ihre Machtlosigkeit bewusst werde, die als Demonstranten auf die Straße gingen. Niemand also, der sich einen Vergleich mit einem Terroristen gefallen lassen müsse.

Um 17 Uhr endete die Kundgebung so friedlich wie sie angefangen hatte. Weitere sogenannte „Asambleas“ in München sollen künftig immer zum ersten Samstag des Monats bis voraussichtlich Oktober folgen. Termine und Einzelheiten unter: echte-demokratie-jetzt-muenchen.de