(Dies ist der erste in einer Reihe von Artikeln, die für dieses Jahr geplant sind, um mögliche Verbindungen zwischen Chile und der Operativo Independencia zu untersuchen.)
Von Maxine Lowy
Fünfzig Jahre nachdem der erste systematische Vernichtungsplan in Argentinien in die Tat umgesetzt wurde, veranstalten Organisationen, die sich der Erhaltung des Gedenkens in der Provinz Tucumán widmen, vom 05. bis 17. Februar Feiern zur Ehrung der ersten Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens und anderer Verbrechen gegen die Menschheit auf argentinischem Boden.
Am 5. Februar 1975 unterzeichnete María Estela (Isabel) Martínez de Perón mit ihrer Unterschrift und dem Präsidenten-Siegel Dekret Nr. 261/75, und autorisierte damit die argentinische Armee und Luftwaffe, die sogenannte ‚Operation Independence‘ zu starten, mit dem ausdrücklichen Ziel, „die Aktionen subversiver Elemente in der Provinz Tucumán, einer Provinz im Nordwesten des Landes mit einer Geschichte von Volks- und Widerstandsbewegungen, zu neutralisieren und/oder zu vernichten“.
Gut 14 Monate vor dem zivil-militärischen Putsch vom 24. März 1976 wurden in dieser Provinz die Praktiken umgesetzt, die in Chile bereits zur Norm staatlichen Handelns gemacht worden waren, bevor sie im ganzen Land durchgesetzt wurden.
Vier Tage nachdem sie grüne Licht von der Präsidentin erhalten hatten, landeten unter dem Kommando von Oberst Acdel Vilas 1.500 Soldaten in Tucumán. Vordergründig ging es darum, die Compañía del Monte Ramón Rosa Jiménez zu zerschlagen, eine ländliche Guerillagruppe, die von der Revolutionären Arbeiterpartei (PRT) in den dicht bewaldeten, das Rückgrat der Provinz bildenden Hügeln gegründet worden war. Doch schon bald breiteten sich Polizeirazzien über den Dschungel hinaus aus und griffen auf die verarmten und von der Zuckerindustrie abhängigen Dörfer über, auf die Stadtzentren, die Universitäten, auf andere soziale Gruppen und Menschen. Und genau wie es ab 1976 im Rest des Landes üblich wurde, konnte nun jeder der Staatsfeindlichkeit beschuldigt werden.
In Chile war nach dem Staatsstreich vom 11. September 1973 die staatliche Repressionspolitik verfeinert worden. Die anfänglichen massenhaften Inhaftierungen an öffentlichen Orten wie Sportstadien wichen heimlichen, verdeckten Vorgehensweisen in Form von nicht zugegebenen Inhaftierungen in geheimen Hafteinrichtungen. Diese Praktiken waren der Anfang für Chiles Isolation auf der internationalen Bühne, nachdem im November 1974 die Vereinten Nationen eine erste, Chile verurteilende Resolution verabschiedeten, mit der Aufforderung, die Achtung grundlegender Menschenrechte wiederherzustellen.
Gleichartige Praktiken wurden jedoch auf der anderen Seite der Anden eingeleitet, in der Provinz Tucumán, während eines Großteils des Jahres 1975 und drei Monate vor der Machtübernahme des Militärs im März 1976.
Das Jahr 1975 war sowohl für Argentinien als auch für Chile von entscheidender Bedeutung. Während sich in Argentinien völkermordähnliche Praktiken durchzusetzen begannen, verfestigten sich diese in Chile. Das Jahr brachte auch die weitere Festigung der militärischen Zusammenarbeit der beiden Andenstaaten mit sich. Im Februar 1975 verlieh Präsidentin Isabel Perón Augusto Pinochet den ‚Orden de Mayo de Mérito Militar‘. Die ‚Operation Condor‘ vorwegnehmend, hatte Argentinien bereits im September 1974 dabei geholfen, die Ermordung des ehemaligen chilenischen Armeekommandeurs Carlos Prats und seiner Frau Sofía Cuthbert, die im Exil in Buenos Aires lebten, zu ermöglichen. Im Vorfeld der Operation Condor wurde im Juli 1975 die ‚Operation Colombo‘ (Liste der 119) durchgeführt.
Der nationale Nunca Más-Bericht, der 1984 nach der Wiederherstellung der Demokratie veröffentlicht wurde, um die systematischen Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur zu dokumentieren, besagt, dass Argentiniens erstes geheimes Gefangenenlager im Februar 1975 in der Tucumán-Stadt Famaillá eröffnet worden war. Bekannt als „die Escuelita“, war es die erste von 80 geheimen Gefangenenlagern, die in der Provinz Tucumán eingerichtet worden waren. Zwischen Februar und Dezember 1975 passierten mehr als 1.500 Menschen die Tore und die zu Gefängniszellen umfunktionierten Klassenzimmer.

Photo von Kremer Hernandez – Escuelita de Famaillá, Ort des ersten geheimen Gefangenenlagers, in eine Gedenkstätte umgewidmet.
Die Stiftung Fundación Memorias e Identidades del Tucumán (MIT) und das Centro de Estudios sobre Genocide (CEG, Universidad Nacional de Tres de Febrero) haben eine Datenbank über den Völkermord in Tucumán aufgebaut, die bis Januar 2025 aktualisiert wurde. Ihren Aufzeichnungen zufolge wurden im Rahmen der ‚Operation Independence‘ 825 Menschen entführt. Von diesen Menschen wurden 64 Prozent schließlich freigelassen, 40 wurden hingerichtet, und 258 bleiben vermisst.
Lange Zeit war es kompliziert und politisch beunruhigend zu erkennen, dass in Argentinien während der verfassungsmäßig gewählten peronistischen Regierung vor dem Militärputsch Menschen entführt, gefoltert und zum Verschwinden gebracht wurden. Die Auflistung derjenigen, die gewaltsam verschwanden, beginnt mit dem 24. März 1976, um so die unsichtbar zu machen, die in Tucumán während der repressiven ‚Operativo Independencia‘ entführt wurden.
Einige der Vor- und Nachnamen der in dieser Zeit Inhaftierten und gewaltsam Verschwundenen sind: Alicia Burdissi, Julio Campopiano, Diana Irene Oesterheld, Domingo Palavecino, Juan Carlos Pastori, María Isabel Jiménez de Soldatti, Amalia Clotilde Moavro und ihr Partner Héctor Mario Patiño. Ebenfalls seit dem 19. November 1975 verschwunden ist der Kardiologe Máximo Eduardo Jaroslavsky, ein Cousin des Autors dieses Artikels.
Die Forderungen nach Wahrheit und Gerechtigkeit und der Kampf dafür sind in Tucumán immer noch sehr präsent. Die Stiftung und die CEG geben an, dass 49% der Fälle von Menschenrechtsverletzungen, die während der ‚Operation Independence‘ begangen wurden, erst nach 2003 gemeldet wurden, als die Gerichtsverfahren wieder aufgenommen wurden. In Tucumán fanden zwei mündliche und öffentliche Prozesse zur ‚Operation Independence‘ statt, die zur Untersuchung von 270 Fällen und zu Haftstrafen für 18 Militär-, Polizei- und andere Staatsbeamte führten. Am kommenden 17. Februar beginnt ein Prozess, der sich auf die Verbrechen bezieht, die in „La Fronterita“, einer weiteren geheimen Haftanstalt in Famaillá, begangen wurden. Darüber hinaus entdeckte die Interdisziplinäre Gruppe für Archäologie und Anthropologie von Tucumán (GIAAT) im Jahr 2004 die ersten Skelettüberreste von 149 Menschen, deren Leichen in den Pozo de Vargas geworfen worden waren, was die 40 Meter tiefe Grube zum größten Massengrab der argentinischen Diktatur macht.
Am 5. Februar kamen fast tausend Menschen in die Escuelita de Famaillá, um an Führungen teilzunehmen, Fotoausstellungen sowie eine die damaligen Ereignisse darstellende Aufführung anzusehen, und den Worten der Überlebenden zu lauschen. Im August 2012 wurde die Escuelita de Famaillá zur Gedenkstätte ernannt und im Dezember 2015 zu einer nationalen historischen Stätte erklärt.
Diese Veranstaltungen bilden ein Gegengewicht zu einer bis dahin undenkbaren Kühnheit von pensionierten Militärs und Wehrpflichtigen, die am 8. und 9. Februar durch die Stadt Yerba Buena, dem Ort zweier ehemaliger geheimer Gefangenenlager marschierten, um die Operation Independence, an der sie vor 50 Jahren teilgenommen hatten, öffentlich zu rechtfertigen. Es war nicht das erste Mal, dass sie dies taten, aber in diesem Jahr taten sie es noch dreister, dank des wachsenden historischen Revisionismus und Negationismus, der in der aktuellen Regierung vorherrscht. Ermutigt durch den Diskurs und die Politik von Präsident Javier Milei und seiner Vizepräsidentin Victoria Villarruel, die die Militärdiktatur gut heißen und Gedenkstätten und das Nationale Gedenkarchiv schließen, haben sie sich zu Helden umgedichtet.
Für die Psychologin Luisa Vivanco, die in Tucumán verwurzelt ist und seit mehr als sechs Jahrzehnten in der Provinz lebt, haben diese jüngsten Ereignisse sie dazu veranlasst, über die Beharrlichkeit des Gedenkens nachzudenken. (1)
Sie begleitet nicht nur Zeugen, die vor Gericht über schmerzhafte Taten der Diktatur aussagen, sondern sie hat selbst das Antlitz von Terror aus nächster Nähe gesehen. In diesem Zusammenhang sagt sie: „Erinnern Sie sich an Tucumán Arde? Die Leidenschaft und das Engagement, die wir dieser Tage in Tucumán gespürt haben, brachten Erinnerungen an den kollektiven Widerstand junger Künstler zurück, die die Kämpfe der Menschen in Tucumán unterstützten und dieser schwer betroffenen Bevölkerung damit Mut machten. Diese Provinz – ein so kleiner Punkt auf der Landkarte – bekräftigt einmal mehr, kreativ und enthusiastisch, dass das glühende Tucumán die Erinnerung, die Wahrheit und die Gerechtigkeit immer verteidigen und liebevoll pflegen wird. Hier sind wir.“

Foto von A. Jemio – Gedenkfeiern zum 5. Februar 2025 an der ehemaligen Escuelita de Famaillá.
Für weitere Informationen:
Artese, M. y Roffinelli, G., Responsabilidad civil y genocidio. Tucumán en los años del “Operativo Independencia”, Instituto de Investigaciones Gino Germani, Facultad de Ciencias Sociales, Universidad de Buenos Aires, 2005.
Jemio, A. S., Tras las Huellas del Terror: El Operativo Independencia y el comienzo del genocidio en Argentina, Buenos Aires, Prometeo Libros, 2021.
(1) Gespräch mit Luisa Vivanco, 12. Februar 2025.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ursula Nollenberger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









