In Deutschland nimmt die Härte bei Abschiebungen zu. Rex Osa, Gründer des Vereins Refugees4Refugees, spricht mit PRO ASYL darüber, was das für Menschen, die nach Nigeria abgeschoben werden, konkret bedeutet.
Bereits vor zwei Jahren haben wir mit dir über gewaltvolle Abschiebungen nach Nigeria gesprochen. Das Thema hat an Aktualität nicht verloren – im Gegenteil. Wie nimmst du die härter gewordene Abschiebepolitik wahr?
Sicherlich kann man sagen, dass der Abschiebedruck in Deutschland gewachsen ist. Abschiebungen werden immer mehr zur Normalität. Die Menschen im direkten privaten und beruflichen Umfeld der Abgeschobenen sind oft noch berührt und empört. Aber den Politiker*innen ist es zunehmend egal, wenn selbst Kinder, die hier geboren sind und deren Heimat Deutschland ist, oder die krank sind, abgeschoben werden. Die deutsche Gesellschaft wird regelrecht gebrainwashed vom Mantra der sogenannten harten Migrationspolitik. Es geht immer um Zahlen, es geht darum, mehr und mehr Menschen abzuschieben.
Kannst du uns von deinen Erfahrungen aus der aktuellen Abschiebepraxis berichten?
Grundsätzlich waren Abschiebungen schon immer hart. In diesem Jahr gab es bereits acht Sammelabschiebeflüge nach Nigeria. Wir von Refugees4Refugees verfolgen von Deutschland aus jede Nigeria-Abschiebung, unser Team Deportees Emergency Reception and Support (DERS) beobachtet sie von Nigeria aus und nimmt die Abgeschobenen in Empfang. DERS war bei allen acht Ankünften vor Ort am Flughafen in Lagos, dreimal war ich auch dabei. Vor unseren Augen sahen wir keine Gewaltanwendungen. Aber das ist ja auch ein Ziel unserer Anwesenheit, dass wir als öffentliches Auge dafür sorgen, dass es keine Gewalt gibt. Aber leider haben uns Betroffene bei allen Abschiebeflügen im Nachgang von Gewalt ihnen gegenüber berichtet.
Kannst du uns ein Beispiel nennen?
Bei einem Abschiebeflug im Januar 2025 nahmen die deutschen Sicherheitskräfte eine bewusstlose Person mit, die sie auf dem Flughafen in Lagos noch immer bewusstlos übergaben. Eine weitere Person, Bright O., wurde laut eigener Aussage von den deutschen Sicherheitskräften während seiner Fixierung auf dem Flug so misshandelt, dass er infolgedessen kurz nach dem Ausstieg phasenweise ohnmächtig wurde. Sein Zustand war kritisch (wie ein Video* hier beweist, Triggerwarnung!), aber niemand Offizielles kümmerte sich um ihn. Die anderen Abgeschobenen waren schockiert und taten sich zusammen. Auf ihren Armen trugen sie Bright zurück zum Flugzeug, um seine Rückkehr nach Deutschland zu fordern. Nach langer Diskussion mit den nigerianischen Sicherheitsleuten am Flughafen riefen diese einen Krankenwagen für ihn.
Wir sind noch in Kontakt mit Bright und helfen ihm, gegen das deutsche Sicherheitspersonal wegen der erlittenen Misshandlung zu klagen. Zusammen mit dem Münchner Flüchtlingsrat organisierten wir für ihn eine rechtsanwaltliche Vertretung, die Kosten werden durch euren PRO ASYL-Rechtshilfefonds getragen.
Erhalten solche Vorfälle in Nigeria Aufmerksamkeit?
Nach diesem Vorfall protestierten die Dachverbände The Civil Society Network on Migration and Development und das Network Against Child Trafficking, Abuse and Labour vor dem Gebäude der nigerianischen Menschenrechtskommission in Abuja. Zudem forderten sie in einer Pressekonferenz eine unabhängige und gründliche Untersuchung des Vorfalls und dass die Verantwortlichen für die Misshandlungen zur Rechenschaft gezogen werden, sowie Informationen über den Verbleib der weiteren bewusstlosen Person. Es handelt sich hier um schwerwiegende Vorwürfe: Menschenrechtsverletzungen durch deutsches Personal während einer Abschiebung. Aber bis heute gibt es zu beiden Vorfällen von keiner öffentlichen Stelle ein Statement.
Hast du so etwas schon einmal erlebt?
Wir kennen das, dass Deutschland immer wieder kranke Menschen abschiebt, darunter auch psychisch Kranke, Menschen mit gebrochenen Beinen, Menschen, die aus dem Krankenhaus abgeschoben werden. Aber Bewusstlose bisher noch nicht.
Vor zwei Jahren erzähltest du uns, wie Abgeschobene in Nigeria von der dortigen Gesellschaft stigmatisiert werden und nicht selten komplett isoliert auf sich gestellt sind. Wie sieht das heute aus?
Erfreulicherweise haben wir mit unserem Team DERS in Nigeria eine viel größere Sensibilität für die Abgeschobenen schaffen können. Die Menschen sind nun solidarischer mit ihnen und haben mehr Verständnis für die Situation und ihr Trauma. Im Vergleich zu früher werden sie auch seltener als Kriminelle behandelt. Das ist ein toller Erfolg, auch von unserer Arbeit vor Ort. Zudem wissen die Menschen in Nigeria heute besser über die Situation von geflüchteten Menschen in Deutschland Bescheid.
Habt ihr noch eure Schutzwohnung in Lagos, um besonders vulnerable Abgeschobene vorerst aufzunehmen?
Ja, aber es ist sehr schwer. Wir haben zu wenig Platz für zu viele Menschen, die Unterstützung brauchen. Viele wissen nach ihrer Abschiebung erstmal nicht, wo sie hingehen können. Wenn sie vor Jahren mal ein Zuhause hatten, existiert dieses oft nicht mehr. Ihr Leben war in Deutschland. In Nigeria ist es schwierig, ohne Netzwerke zu überleben. Viele wissen auch nicht – oder nicht mehr – wie Nigeria heutzutage funktioniert. Sie kennen sich nicht aus.
Wie könnt ihr diesen Menschen helfen?
Wir versuchen, vor allem Kindern und ihren Familien eine erste Unterstützung zu geben – materiell und psychologisch. Viele haben medizinische Probleme. Einige konnten ihre Arztbriefe aus Deutschland nicht mitnehmen, so dass niemand genau weiß, welche Probleme sie haben. Und wenn an Bord Beruhigungsmittel gespritzt werden, wird das nicht dokumentiert. Gibt es dann später Komplikationen, können die Menschen nicht sagen, was ihnen gespritzt wurde.
Wir erleben regelmäßig, dass Menschen mit Verletzungen ankommen, da sie bei der Abholung oder während des Abschiebeflugs geschlagen wurden, weil sie sich gegen die Abschiebung wehrten – oder von der deutschen Polizei angenommen wurde, dass sie sich wehren würden. Das ist ein riesiges Problem, denn die Behandlung im Krankenhaus kostet Geld. Auch hier springen wir in den schlimmsten Fällen ein und besorgen Medikamente.
Unser Ziel ist es, dass niemand anonym und ohne Unterstützung am Flughafen strandet. Das System gewährleistet das leider nicht, deswegen sind wir vor Ort aktiv. Zugleich beobachten und dokumentieren wir, was bei diesen Abschiebeflügen passiert.
*Das Video besteht aus zwei Sequenzen, die in der falschen Reihenfolge zusammengefügt wurden. Chronologisch gesehen fand die erste Sequenz also nach der zweiten Sequenz statt.
(nb, fw)









