Wegen einem Stromausfall im AKW Saporoschje warnte der IAEA-Chef Rafael Grossi vor einem möglichen Nuklearunfall. Wer für die Krisenlage verantwortlich sein soll, sagte Grossi allerdings nicht.

Von Alex Männer

Aufgrund der anhaltenden Artillerieangriffe auf das von Russland kontrollierte Atomkraftwerk „Saporoschje“ ist die Sicherheitssituation rund um diese Anlage weiterhin brenzlig. In den vergangenen Wochen war das AKW, das übrigens als die leistungsstärkste Atomanlage Europas gilt und vor dem Krieg etwa ein Viertel des gesamten Stroms in der Ukraine produziert hatte, immer wieder unter teilweise schweren Beschuss geraten.

Doch bereits seit einer Woche ist das Kernkraftwerk laut offiziellen russischen Angaben in Folge eines ukranischen Artillerieangriffs auf die Stromtürme von der externen Stromversorgung abgeschnitten. Seitdem werden die abgeschalteten Reaktoren mit Notstrom aus Dieselgeneratoren gekühlt, da die Wiederaufnahme der regulären Stromversorgung über die sogenannte Dnjeprowskaja-Leitung zur Zeit unmöglich sein soll. Dennoch sei die Lage im AKW unter Kontrolle und die Strahlungswerte seien normal. Auch die Notstromversorgung sei vorerst ausreichend, allerdings müsse die externe Stromversorgung so schnell wie möglich wiederhergestellt werden, heißt es aus Moskau.

Der offiziellen Version Russlands widerspricht die Umweltorganisation Greenpeace. Ihr zufolge wurde die Hochspannungsleitung, die die Anlage mit dem von Kiew kontrollierten Teil des ukrainischen Stromnetzes verband, nicht durch Beschuss unterbrochen. Dabei beruft sich Greenpeace auf die Analyse von Satellitenfotos durch Experten. Greenpeace warf der russischen Seite zudem vor, die Leitung sabotiert zu haben, um das AKW an das russische Netz anzuschließen und die Reaktoren wieder hochzufahren.

Wie dem auch sei, die Krisenlage am AKW Saporoschje rief unter anderem große Besorgnis bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hervor. Diese forderte die sofortige Wiederherstellung der externen Stromversorgung, um einen möglichen Nuklearunfall in der Anlage zu verhindern. Diesbezüglich wies der Generaldirketor der IAEA Rafel Grossi zugleich darauf hin, dass solange die Reservegeneratoren die Kühlsysteme der Reaktoren sowie andere Systeme des Kraftwerks mit Energie versorgten, keine unmittelbare Gefahr bestehe. „Aber es ist eindeutig kein Dauerzustand mit Blick auf die nukleare Sicherheit“, zitiert das Handelsblatt den IAEA-Chef.

Dabei ist dies nicht die erste Situation dieser Art. Schon 2022 hatte Russland von ukrainischen Artillerieangriffen auf das AKW gesprochen und damals wiederholt davor gewarnt, dass solche Attacken nicht nur die Gefahr einer Explosion, sondern auch die Gefahr einer Überhitzung der Reaktoren erhöhen würden. Auch in den Folgejahren hatte Russland dutzende Male auf gegnerische Attacken auf die Atomanlage hingewiesen. Der Beschuss sei immer aus der Richtung gekommen, in der sich die ukrainischen Streitkräfte aufhielten. Zudem hatte man die gefundenen Überreste von Projektilen als Beweise präsentiert, von denen einige auf US-Munition hinweisen sollen.

Die Ukraine ihrerseits hatte die Vorwürfe Moskaus stets dementiert und im Gegenzug behauptet, dass es die russische Armee sei, die das Kernkraftwerk selbst beschossen hätte, um die Schuld dafür der ukrainischen Führung zu geben. Demnach soll Russland im Grunde seine eigenen Soldaten und Ingenieure, die sich im AKW Saporoschje befinden und für die Sicherheit vor Ort sorgen, wiederholt angegriffen und damit ihren Tod sowie einen Unfall in der Atomanlage in Kauf genommen haben.

Die westlichen Medien, die allzu gern die offiziellen Angaben der ukrainischen Seite verbreiten, melden in diesem Zusammenhang allerdings nur rätselhafte Angriffe, ohne dabei einen Schuldigen zu benennen. Stattdessen wird in der Regel darauf verwiesen, dass Russland und die Ukraine sich gegenseitig die Angriffe vorwerfen würden.

Festzustellen, wer für die Angriffe verantwortlich ist, sei auch nicht die Aufgabe der IAEA, betont man in der Behörde. Die Aufgabe der internationalen Inspektoren besteht in erster Linie darin, bestimmte technische Aspekte klarzustellen und ein Urteil über den Zustand der Anlage zu treffen, um die Sicherheitslage selbst einschätzen zu können.

Es bleibt zu konstatieren, dass ein Atomkraftwerk mitten in Europa von einer Kriegspartei offenbar mit voller Absicht ‒ auch durch schwere Artillerie ‒ angegriffen wird, was in der Geschichte einmalig und anders als Wahnsinn nicht zu bezeichnen ist. Angesichts dessen bleibt die Gewährleistung der Sicherheit im AKW Saporoschje weiterhin eine echte Herausforderung für die Russen. Schließlich sind sie es, die am Ende eine nukleare Katastrophe verhindern müssten.

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