Eine Prise Fachwissen hätte genügt, um die Geschichte über die vermeintliche GPS-Attacke auf das Flugzeug der EU-Politikerin sogleich in Zweifel zu ziehen.

von Danny Altmann

Es war eine Nachricht, die in die aufgeheizte geopolitische Gegenwart passte: Das Flugzeug der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei Ziel einer russischen GPS-Störattacke über Bulgarien geworden. Die Piloten, so hieß es, seien zu einer Landung mit „analogen Karten“ gezwungen gewesen, nachdem sie eine knappe Stunde in der Luft ausharren mussten.

Bilder von hybrider Kriegsführung wurden evoziert, die Schlagzeilen schrieben sich von selbst. Doch bei genauerer Betrachtung zerfällt die dramatische Erzählung in ihre Einzelteile. Übrig bleibt nicht die Geschichte einer Aggression, sondern eine Lehrstunde darüber, wie schnell Narrative Fakten überlagern können – und wie eine Prise Fachwissen genügt, um die Darstellung zu hinterfragen.

Die Erzählung von der Landung per Papierkarte

Schon lange bevor der Flugdatendienst Flightradar24 die entscheidenden Daten veröffentlichte, konnten bei Kennern der modernen Zivilluftfahrt Zweifel an der Darstellung aufkommen. Die Meldung, der Pilot habe zu „analogen Karten“ greifen müssen, nur weil das GPS-Signal gestört sei, ist fachlich kaum nachvollziehbar. Sie suggeriert ein Szenario wie aus einem Fliegerfilm der Fünfzigerjahre, in dem Piloten über zerknitterten Papierkarten brüten – eine Vorstellung, die mit der Realität in einem modernen Cockpit wie dem der eingesetzten Dassault Falcon 900LX, welches von vier großen LCD-Bildschirmen dominiert wird, nichts gemein hat.

Selbst „analoge Karten“, sogenannte Airport Charts, werden heutzutage digital auf Tablets abgerufen und können bei Bedarf auf die Hauptbildschirme projiziert werden. Zudem sind diese Charts bei Start und Landung ohnehin meist geöffnet, da Piloten die Bordelektronik anhand der dortigen Informationen einstellen und deren korrekte Funktion während der Flugphasen überprüfen.

Ein GPS-Ausfall ist ein bekanntes Szenario, aber keine Katastrophe, die Piloten unmittelbar in den vollmanuellen Sichtflug (Visual Flight Rules, VFR) zwingt. Bevor rein nach den Informationen der Airport Charts manuell geflogen wird, stehen Piloten eine Reihe hochpräziser, redundanter Navigationssysteme zur Verfügung. An vorderster Front steht das Instrumentenlandesystem (ILS), ein seit Jahrzehnten bewährter, bodengestützter Funkstrahl, der ein Flugzeug mit höchster Präzision sicher auf die Landebahn leitet – völlig unabhängig von GPS. Flughäfen wie der in Plowdiw sind selbstverständlich damit ausgestattet, eine Information, die für jedermann mit einer einfachen Google-Abfrage in Sekundenschnelle öffentlich abrufbar ist.

Die Vorstellung, eine Crew würde diese robusten Systeme ignorieren und stattdessen eine rein manuelle Landung auf Sicht durchführen, widerspricht den Standardverfahren der zivilen Luftfahrt. Wer das weiß, dem musste die ursprüngliche Darstellung bereits Fragen aufwerfen.

Eine detaillierte Analyse der Flugdaten durch Flightradar24 zeichnet ein ganz anderes Bild. Die öffentlich zugänglichen Daten zeigen zweierlei: Erstens sendete der Transponder des Flugzeugs vom Start bis zur Landung durchgehend einen Code für eine einwandfreie GPS-Signalqualität. Von einer großflächigen, externen Störung, einem „Jamming“, findet sich in den Daten keine Spur. Zweitens zeichnete die Flugroute ein Muster, das weniger auf eine externe Notlage als auf einen kontrollierten, manuellen Eingriff der Piloten hindeutet.

Die Flugbahn legt jedoch auch nahe, dass ab der Stadt Trud bis zum finalen Anflug weder eine Navigation per ILS noch über VOR-Funkfeuer stattfand. Dies untermauert die These eines Problems in Teilen der Bordelektronik, legt aber ein externes „GPS-Jamming durch die Russen“ in keiner Weise nahe. Die Route zeigt über dem Ort Trud eine deutliche Abweichung vom sonst gleichmäßigen, vom Autopiloten gesteuerten Kurs. Die Linie wird ungleichmäßiger – ein klares Indiz für manuelle Steuereingaben. Es gibt einen deutlich sichtbaren Schlenker nach links, der nach einigen Kilometern wieder zurück auf die ursprüngliche Flugbahn führt. Inklusive der danach folgenden, ebenfalls manuell wirkenden 180-Grad-Wende in Richtung Plowdiw scheint der Pilot das Flugzeug tatsächlich eine Zeit lang von Hand geflogen zu haben. Doch dann folgt ein Muster, das auf eine wohlüberlegte und systemgestützte Handlung hindeutet: Über dem Flughafen nutzte die Crew offenbar die manuell bedienbaren Höhen- und Richtungsassistenten des Autopiloten. Sie flog damit eine gerade Bahn in Richtung Plowdiw, gefolgt von einer präzisen, automatisierten 180-Grad-Kurve. Anschließend überflog sie den Flughafen erneut und leitete eine letzte, ebenfalls automatisierte 180-Grad-Wende für den Endanflug ein. Erst dieser „Final Approach“ selbst scheint wieder manuell geflogen worden zu sein.

Dieses Muster deutet nicht auf einen externen Angriff hin, sondern vielmehr auf eine interne technische Unregelmäßigkeit oder eine bewusste Entscheidung der Piloten. Möglicherweise gab es ein Problem mit einem Teil des Autopiloten. Die Crew hat daraufhin, wie es ihr Training vorsieht, die Kontrolle übernommen – ein professioneller, unspektakulärer Vorgang. Für geübte Piloten, wie sie für den Transport hochrangiger Persönlichkeiten eingesetzt werden, stellt eine solche teilautonome Steuerung per Höhen- und Richtungsassistenten auch keinen außergewöhnlichen Akt dar. Es ist ein Standardverfahren, das jeder Berufspilot beherrscht und das in nahezu jedem modernen Flugzeug anwendbar ist.

Die Mechanik der Informationsverbreitung

Der Fall wirft ein Licht auf ein grundlegendes mediales Phänomen: wie aus einer unbestätigten Behauptung eine weithin akzeptierte Darstellung entstehen kann. Eine Quelle mit großer Reichweite – in diesem Fall offenbar die EU-Kommission, die sich vage auf „bulgarische Behörden“ berief – setzt eine aufsehenerregende Nachricht in die Welt. Die Quellenangabe ist zunächst nicht überprüfbar. Innerhalb kürzester Zeit wird die Meldung von anderen reichweitenstarken Medien zitiert, verbreitet und als Tatsache dargestellt.

Das Ergebnis ist oft dasselbe: In den Köpfen vieler Menschen entsteht ein Bild. Die spätere Korrektur, die Fakten, die Datenanalyse – all das erreicht oft nur noch einen Bruchteil des ursprünglichen Publikums. Übrig bleibt die diffuse Erinnerung: „Da war doch was mit den Russen und von der Leyens Flugzeug.“ Ein bestehendes Feindbild wurde womöglich verfestigt, ohne dass es dafür eine gesicherte faktische Grundlage gab.

Dieser Mechanismus ist nicht neu. Ob es sich um Einzelpersonen, Konzerne oder ganze Staaten handelt, das Muster wiederholt sich. Reichweitenstarke Akteure verbreiten eine Behauptung, die sich später als falsch oder irreführend herausstellt. Doch der entstandene Eindruck ist oft nachhaltig, weil die Richtigstellung in der Flut an Informationen untergeht. So wird öffentliche Meinung geformt – nicht allein durch Fakten, sondern auch durch die gezielte Platzierung und Wiederholung von Narrativen. Der angebliche GPS-Zwischenfall ist dafür ein aktuelles Beispiel.

Danny Altmann ist selbstständiger Content Creator mit einem breiten beruflichen Hintergrund, unter anderem im Gastgewerbe und im Handwerk. Er setzt sich intensiv mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander und legt Wert auf eine sachliche, unabhängige und undogmatische Perspektive.

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