(Buenos Aires, Dialogue Earth).- In ganz Lateinamerika wecken Lithium, Kupfer und andere für erneuerbare Energien entscheidende Rohstoffe das Interesse von Regierungen und Unternehmen gleichermaßen. Doch hinter den Schlagzeilen über ökologischen Fortschritt verbirgt sich eine weitaus komplexere Geschichte – geprägt von alten Spannungen um Ressourcen-Governance, Landrechte und wirtschaftliche Souveränität.
Thea Riofrancos, Politikwissenschaftlerin am Providence College in Rhode Island und Mitglied des Thinktanks Climate + Community Institute, erforscht seit über einem Jahrzehnt diese Dynamiken in Amerika und Europa. Ihr Fokus liegt auf dem Zusammenspiel von Rohstoffgewinnung, Klimapolitik und sozialen Bewegungen – besonders darauf, wie die Energiewende globale Machtverhältnisse neu ordnet. In ihrem kommenden Buch Extraction: The Frontiers of Green Capitalism beleuchtet sie die Konflikte und Widersprüche der grünen Ökonomie.
Im Interview mit Dialogue Earth sprach Riofrancos über die Dilemmata, mit denen viele lateinamerikanische Regierungen konfrontiert sind: Einerseits wollen sie Einnahmen aus ihren mineralischen Reichtümern generieren, andererseits fordern zivilgesellschaftliche Gruppen Umwelt- und Sozialschutz. Sie reflektierte über die Rückkehr des Rohstoff-Nationalismus in der Region, den globalen Wettlauf um Kontrolle über Lieferketten und den wachsenden Einfluss indigener und basisdemokratischer Bewegungen, die sich der Ausweitung extraktiver Industrien widersetzen.
Dialogue Earth: Wie kamen Sie dazu, sich mit politischer Ökonomie und sozialen Konflikten rund um Rohstoffgewinnung in Lateinamerika zu beschäftigen?
Thea Riofrancos: Schon während meines Studiums habe ich mich sehr für lateinamerikanische Politik und soziale Bewegungen interessiert. Das war zu Beginn der „rosa Welle“ – als viele Länder der Region Anfang der 2000er-Jahre linke Regierungen bekamen. Ich habe genau verfolgt, was mit Präsident Morales in Bolivien, den Kirchners in Argentinien und Chávez in Venezuela geschah. Als progressive US-Amerikanerin war es inspirierend, so viele progressive Regierungen an der Macht zu sehen. Nach meinem Abschluss zog ich nach Ecuador und war zuvor schon in Argentinien und Bolivien gewesen. Ich begann zu begreifen, wie komplex diese Ressourcenfragen sind und wie zentral sie für die Programme dieser Regierungen waren: Sie wollten sich vom Neoliberalismus absetzen, aber auch Investitionen in den Rohstoffsektor ausweiten, um Sozialprogramme und öffentliche Infrastruktur zu finanzieren. Daraus entstand ein Konflikt: Einerseits breite gesellschaftliche Unterstützung für staatliche Einnahmen aus dem Bergbau zur sozialen Wiedergutmachung – andererseits langjährige territoriale Bewegungen, die ihre Lebensgrundlagen verteidigen.
Die Frage, die mich damals antrieb, war: Welche Dilemmata stellen extraktive Sektoren für Staaten und Gesellschaften im Globalen Süden dar? Später interessierte ich mich dafür, wie diese Frage im Kontext grüner Technologie-Lieferketten neu aufkommt. Auf der einen Seite steht die Klimakrise, auf der anderen Technologien zur Dekarbonisierung – die wiederum Bergbau erfordern. Das erscheint wie ein Konflikt zwischen dem Kampf gegen den Klimawandel und der Verschärfung ökologischer und wasserbezogener Krisen weltweit. So begann ich, mich intensiver mit Lithium zu beschäftigen – als einem von vielen kritischen Mineralien.
Welche gemeinsamen Merkmale haben Sie bei Ihrer Forschung in der Region festgestellt, die nun in eine neue Phase der Rohstoffausbeutung für die Energiewende eintritt?
Lateinamerika spielt bereits eine zentrale Rolle in der Versorgung der Weltwirtschaft mit für die Energiewende wichtigen Mineralien – und wird künftig noch bedeutender. Gleichzeitig beobachten wir eine Renaissance des Rohstoff-Nationalismus – ein wiederkehrendes politisches Phänomen in Lateinamerika. Es besteht ein wachsendes Interesse daran, dass der Staat stärker mitmischt – sei es durch Vertragsverhandlungen oder durch staatliche Unternehmen. Die zentrale Rolle der Region auf diesen Märkten verschafft ihr Einfluss, und eine stärkere Beteiligung kann für Staaten attraktiv sein. Auch gibt es Ambitionen, in der Lieferkette aufzusteigen – sei es durch staatliche oder private Initiativen.
Hohe Rohstoffpreise können Staaten dazu bewegen, Einnahmen für die Gesellschaft zu erzielen. Doch die Kehrseite: Sind diese Sektoren volatil und anfällig für Boom-und-Bust-Zyklen, die ökonomische Unsicherheit verstärken? Die Länder haben wenig Einfluss auf die Preise. Der Sektor wird gefördert, und der Staat versucht, die Zivilgesellschaft davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee ist, aber es gibt Ungewissheiten. Wird die lateinamerikanische Gesellschaft davon profitieren? Das steht im Kontext einer langen Geschichte von Protesten – nun mit einer neuen Mobilisierung gegen genau diese Mineralien.
Für Ihr neues Buch haben Sie Feldforschung in Chile, den USA und Portugal zur Lithiumgewinnung betrieben. Was haben diese Länder gemeinsam?
Lieferketten haben eine solche geopolitische Bedeutung erlangt, dass sie Teil einer neuen Dynamik des Kalten Krieges zwischen den USA, China und Europa geworden sind. Alle wollen ihre eigenen Lieferketten aufbauen – doch was passiert mit dem Globalen Süden? Länder sind gefangen in einem Wettbewerb zwischen Mächten, die ihre Ressourcen sichern wollen – das kann Vorteile bringen, aber auch Machtlosigkeit. Wenn Sie etwa eine lateinamerikanische Regierung sind und ein chinesisches Unternehmen bietet Ihnen einen Vertrag an, die USA einen anderen – dann kann es nützlich sein, Optionen und Verhandlungsspielraum zu haben. Wir sehen dafür Anzeichen in Indonesien: Das Land positioniert sich clever – mit chinesischer Investition, aber auch Schutz westlicher Interessen – und steigt in der Lieferkette auf.
Chile war der Ausgangspunkt für mein Buch, dort habe ich begonnen. Dann besuchte ich andere Regionen weltweit. Ich war überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten es gibt – vor allem in Protestformen und zivilgesellschaftlichen Reaktionen. Indigene Gemeinschaften in den USA und Kanada haben ähnliche Forderungen, Beschwerden und Taktiken wie in Lateinamerika: Sie fühlen sich ausgeschlossen, protestieren, werden teils unterdrückt, fordern sauberes Wasser und Mitsprache. Es handelt sich um eine globale, transnationale Bewegung mit direkter oder indirekter Koordination – und ähnlicher Vision für eine ökologisch vernünftige Energiewende.
In einem Meinungsartikel haben Sie betont, wie wichtig internationale Abkommen über Umwelt- und Sozialstandards zur Verringerung der Rohstoffnachfrage wären. Kolumbien fordert ein Abkommen zur Rückverfolgbarkeit kritischer Mineralien, die UNO hat eine Expertengruppe eingesetzt. Bewegt sich etwas?
Noch nicht genug, aber es könnte ein erster Schritt sein – wenn es weiterentwickelt wird. Internationale und regionale Kooperation ist extrem wichtig. Alleinstehend haben Länder des Globalen Südens wenig Macht im Weltsystem. Aber wenn sie sich zusammenschließen, können sie verhindern, dass es zu einem „race to the bottom“ bei Umwelt- und Sozialstandards kommt, nur um Investoren anzulocken. Über den ökonomischen Einfluss hinaus braucht es eine bessere Steuerung der Governance. In Ländern wie Argentinien ist diese aktuell extrem schwach – das macht sie anfällig für ausbeuterisches Verhalten von Unternehmen.
In Ihrem Buch A Planet to Win (2019) argumentieren Sie, dass alle Politik auch Klimapolitik ist, und fordern dringende Maßnahmen – wie die Abschaffung der fossilen Industrie. Wie weit sind wir davon entfernt?
Man könnte sagen, es gab Fortschritte. Zwischen 2019 und 2022 sorgte die Mobilisierung der Zivilgesellschaft dafür, dass neue Klimapolitiken verabschiedet wurden. Es wirkte sogar, als würde sich die fossile Industrie Sorgen machen. Doch nun ist dieser Schwung gebremst – die geopolitische Lage hat den fossilen Sektor wieder gestärkt, mit Rekordgewinnen.
Technologisch und wirtschaftlich gibt es aber durchaus Fortschritte: Solar- und Windenergie breiten sich im Globalen Süden stärker aus. Daher sprechen Wissenschaftler inzwischen eher von „Energieaddition“ statt „Energiewende“ – es wird einfach mehr von allem, was nicht dem entspricht, was die Klimawissenschaft fordert. Dass Solarpaneele günstiger werden und mehr Menschen Zugang erhalten, ist gut. Aber eine großflächige Abkehr von fossilen Brennstoffen findet nicht statt.