Der Welthandel wird pervertiert durch Milliarden an sozialisierten Kosten sowie durch Subventionen zu Lasten der Allgemeinheit.

Urs P. Gasche  für die Online-Zeitung INFOsperber

Allzu lange waren Globalisierungs-Kritiker verfemt. Zu Wort kamen vor allem Verfechter eines deregulierten Freihandels, der angeblich allen Ländern zu mehr Wohlstand verhilft. Doch Globalisierung und Freihandel waren von Anfang an pervertiert. Deshalb könnte es zum Wohle aller gereichen, wenn jetzt wieder Zölle und gegenseitige Restriktionen für Importe und Exporte Konjunktur haben.

Nicht so wie Trump

Allerdings unter einer Bedingung: Die Perversion des realen Welthandels müsste schrittweise reduziert werden und nicht mit der Brechstange, wie es die USA jetzt tun. Denn das weltweite Finanzsystem mit seinen angehäuften Schuldenbergen beruht nicht auf sicheren Werten, sondern auf Vertrauen. Die Psyche des Menschen neigt bekanntlich zum Irrationalen und zur Panik.

Die internationale wirtschaftliche und finanzielle Verzahnung ist extrem engmaschig. Ein einziges Puzzleteil, das umfällt, kann das ganze System wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen.

Eigentlich eine sinnvolle Arbeitsteilung

Doch es bleibt die Tatsache, dass die reale Globalisierung und der noch vor wenigen Jahren angepeilte zollfreie und deregulierte Freihandel fatal waren und noch immer sind. Dieser Befund mag auf Anhieb überraschen. Denn wer die Theorie der internationalen Handelsbeziehungen studierte, weiss, dass ein möglichst freier Handel allen beteiligten Ländern zu mehr Wohlstand verhilft: In einer Arbeitsteilung konzentriert sich jedes Land auf Produkte, die es dank Klima, geografischer Lage, vorhandener Rohstoffe, Energie usw. relativ günstig herstellen kann (Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo).

Die Theorie geht allerdings davon aus, dass alle Preise der gehandelten Produkte den realen Kosten entsprechen. Und hier liegt der Hund begraben: In der Praxis sind wir von den realen Kosten weit entfernt.

Das hat gravierende Folgen.

«Marktpreise» sind von kostengerechten Preisen weit entfernt

Die sogenannten «Marktpreise», die dem Welthandel zugrunde liegen, spiegeln in keiner Weise die relativen Standortvorteile der einzelnen Länder:

  • Massive Subventionen verzerren die heutigen Weltmarktpreise. Allein die Flug-, und Schiffstransporte profitieren von direkten Subventionen in Milliardenhöhe.
  • Bei den heutigen «Marktpreisen» fehlen die hohen Kosten der ökologischen und sozialen Schäden, welche Produktion, Transport und Konsum der Produkte verursachen. Diese Kosten werden grosszügig auf die Allgemeinheit abgewälzt, also sozialisiert, und nehmen ständig zu.
    Die Wirtschaftstheorie spricht nicht von «sozialisierten» Kosten, sondern verharmlosend von «externen» Kosten.

Vier Beispiele

  • Produzenten und Konsumenten stossen CO2 und Methan in die Atmosphäre, ohne dass die Folgekosten der Klimakrise in den Preisen berücksichtigt werden.

  • Unternehmen und Konsumentinnen der Industriestaaten «entsorgen» ihre giftigsten und gefährlichsten Abfälle in die Meere oder nach Afrika und Asien, ohne dass die Folgekosten auf die Preise geschlagen werden.

  • Beim Abbau von Rohstoffen in Afrika oder in den Kleiderfabriken von Myanmar und Bangladesch lassen Konzerne moderne Sklaven und Slavinnen schuften. Kostengerechte Preise müssten die Kosten für menschenwürdige Arbeitsbedingungen enthalten.

  • Der irreversible Verlust an endlichen Rohstoffen wird bei den Kosten und Preisen nicht berücksichtigt.

  • Die Zunahme von Produktion, Konsum und Welthandel kam in den letzten 30 Jahren fast nur zustande, indem sich Staaten noch stärker verschuldeten. Die öffentlichen und privaten Schulden stiegen weltweit sogar schneller als der Konsum und die Investitionen.
    Die laufend zunehmenden Schulden blähten den Konsum und damit auch den Welthandel künstlich auf und gefährden die Stabilität des internationalen Finanzsystems.
    Die Wirtschaftsgiganten können diese Risiken ignorieren, weil sie – «too big to fail» – bei einem Zahlungsausfall auf die Hilfe des Staates zählen können. Da kann von «fairem Wettbewerb» und «freiem Welthandel» keine Rede sein.

Aus all diesen Gründen taugen die heutigen Produktpreise nicht als Kriterium für eine sinnvolle Arbeitsteilung und ein sinnvolles Verschieben von Arbeitsplätzen zum Wohle aller. Die Preise der Waren, die weltweit hin- und hergeschoben werden, sind viel zu tief. Sie führen zu Fabriken und Arbeitsplätzen an volkswirtschaftlich falschen, meist weit entfernt gelegenen Standorten.

Zollaufschläge decken einen Teil dieser sozialisierten Kosten

Solange sich die grossen Wirtschaftsblöcke nicht darauf einigen, die bestehenden Subventionen an die Wirtschaft konsequent zu reduzieren oder sogar abzuschaffen und die sozialisierten Kosten wenigstens zu einem grossen Teil den Verursachern anzulasten, bleiben volkswirtschaftlich erwünschte, kostengerechte Produktepreise eine Utopie – und die Vorteile des freien Welthandels eine Chimäre.

Allgemeine Zölle auf sämtlichen Produkten können die schlimmsten Folgen des verzerrten, subventionierten Welthandels mindern. Die höchsten Zölle müssten auf Gütern erhoben werden, die besonders weit transportiert werden und deren Produktion besonders viel Energie verbraucht und Abfälle verursacht.

Präsident Trump sind die völlig verzerrten Güterpreise allerdings egal. Ihn stören nur die Handelsbilanzdefizite der USA mit ihren Handelspartnern. Dass seine Zölle als Ausgleich wirken für verzerrte und viel zu tiefe Preise, ist ein unbeabsichtigter Nebeneffekt.

Mögliche Folgen 

Tatsächlich können hohe Zölle – sofern sie denn Bestand haben – die Subventionen für den Warenverkehr sowie die sozialisierten Kosten wenigstens teilweise kompensieren. Für viele Produkte wird sich der Import aus fernen Ländern und der Export in andere Kontinente nicht mehr lohnen. Das Volumen des Welthandels wird reduziert.

Stattdessen erhöht sich der Anteil der Versorgung mit Produkten, die in der weiteren Umgebung oder auf dem eigenen Kontinent erzeugt werden.

Arbeitsplätze verschieben sich tendenziell aus fernen Gegenden ins eigene Land, wo sie volkswirtschaftlich, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Kosten und Folgekosten, am produktivsten sind.

Gleichzeitig vermindert sich ein wenig die Plünderung von Ressourcen und die ökologische Belastung unseres Planeten. Der menschliche Anteil an der Klimaerwärmung geht etwas zurück.

Auch Investitionen und Geld lassen sich einsparen: Es braucht während längerer Zeit nicht noch mehr Flughäfen und noch mehr Hochseefrachter auf den Meeren.

Das erhöht die Lebensqualität vieler Menschen.

Internationaler Transportwahn steigert den Wohlstand nicht

Konventionelle Ökonomen halten dagegen. Sie verteufeln die generellen Zölle als einen Rückschlag. Sie verschliessen ihre Augen vor den Billionen an Subventionen und vor den weiteren Billionen an sozialisierten Kosten.

Sie behaupten, die sogenannte «Liberalisierung» des Welthandels habe sowohl den Industriestaaten als auch den Entwicklungsländern zu markant mehr Wohlstand verholfen. Diesen Wohlstand messen sie am Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) der einzelnen Länder.

Doch das ist ein falscher Massstab, um das Wohlergehen und die Lebensqualität der Menschen in den verschiedenen Ländern zu messen. Kritische Wirtschaftswissenschaftler weisen schon seit längerem darauf hin, dass die Nachteile des BIP-Wachstums für die meisten Menschen in reichen Ländern sowie für das weltweite Öko- und Finanzsystem schon seit vielen Jahren grösser sind als die Vorteile eines weiteren Wachstums, bei dem egal ist, was denn eigentlich wächst.

Von einem weitgehend zollfreien und deregulierten Welthandel könnten reiche Länder ohnehin nur kurzfristig profitieren. Denn der Lebensstil ihrer Einwohner ist physisch nicht übertragbar auf alle Mitbewohnenden auf der Erde. Es ist materiell schlicht unmöglich, dass alle viereinhalb Milliarden Afrikaner, Inder und Chinesen auch nur annähernd so leben und die Natur und die endlichen Ressourcen so plündern wie die Menschen in den heutigen reichen Ländern. Es bräuchte dazu mindestens vier Planeten.

In den armen Ländern dagegen ist ein weiteres materielles Wachstum weiterhin nötig und verbessert die dortige Lebensqualität.

Kostspielige sozialisierte Kosten

Das weltweite BIP, auf das viele noch immer fixiert sind und das sie als Kriterium des Wohlstands betrachten, wächst,

  • weil Waren dank der Milliardensubventionen für den Transport auf der ganzen Erde hin- und hergeschoben werden;
  • weil in vielen Ländern sklavenartige Arbeitsverhältnisse herrschen;
  • weil endliche Rohstoffe ausgebeutet werden;
  • weil die Menschheit Abfallberge zu Lande und im Meer anhäuft – mit grossen Kostenfolgen für nachfolgende Generationen;
  • weil so viel CO2 und Methan ausgestossen werden, dass die Temperaturen schneller ansteigen, als es die Natur vorsieht;
  • weil die monetäre Schuldenblase gefährlich wächst.

Trotzdem wird steigendes BIP-Wachstum undifferenziert als erfreuliche Nachricht verbreitet. Sollte das Volumen des Welthandels wegen der Zölle bald abnehmen, dann «schrumpft» es in den Augen von Wachstumsgläubigen.

Tatsächlich aber können Zölle die unsinnigen Transport-Dumpingpreise, die Billionen-Subventionen für die fossilen Brennstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle sowie die gewaltigen sozialisierten Kosten etwas kompensieren und dafür sorgen, dass gesamtwirtschaftlich weniger an völlig falschen Standorten produziert wird.

Allerdings ist es höchst riskant, gegen die Perversion des Welthandels mit der Brechstange à la Trump vorzugehen. Denn das delikate Finanzkartenhaus und die weltweiten Verflechtungen der Lieferketten halten einer Schocktherapie kaum stand.