Macron räumt Debatte über Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine ein. Berlin weist dies zurück, stimmt aber der Unterstützung ukrainischer Kontrollen an der Grenze zu Belarus und Minenräumoperationen in der Ukraine zu.

Die Staaten Europas werden die ukrainischen Kontrollen an der Grenze zu Belarus mit nichtmilitärischen Kräften unterstützen und zudem an der Beseitigung von Minen in der Ukraine mitwirken. Dies sind Teilergebnisse eines Gipfeltreffens am Montagabend in Paris, auf dem über Unterstützungsmaßnahmen für Kiew diskutiert wurde. Gegenstand der Gespräche, an denen Repräsentanten von alles in allem 27 Staaten teilnahmen, war außerdem die Entsendung von Soldaten; diese sei als „Option“ in Betracht gezogen worden, wenngleich kein Konsens darüber erzielt worden sei, gab der französische Präsident Emmanuel Macron nach dem Treffen bekannt. Moskau bestätigte am gestrigen Dienstag, ein Eingreifen westlicher Soldaten auf ukrainischem Territorium sei faktisch gleichbedeutend mit dem Kriegseintritt der NATO; damit wäre ein dritter Weltkrieg erreicht. Hintergrund der Überlegungen ist, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht nur unter Munitions-, sondern vor allem auch unter Personalmangel leiden und ihnen deshalb eine womöglich schon baldige Niederlage droht. Russland ist aktuell in der Offensive.

Notgipfel in Paris

Zu dem Gipfeltreffen am Montagabend hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ungewöhnlich kurzfristig eingeladen. Hintergrund war die militärische Entwicklung in der Ukraine. Dort setzen die russischen Streitkräfte nach dem Fall von Awdijiwka ihre Offensive fort; Militärexperten wie etwa Oberst a. D. Wolfgang Richter, ein einstiger Militärberater der deutschen Vertretungen bei UNO und OSZE, warnen schon längst, „die Front“ könne „ins Rutschen geraten“.[1] Eine Niederlage der Ukraine wird aufgrund ihres eklatanten Mangels nicht nur an Munition, sondern vor allem auch an Soldaten sogar im Westen nicht mehr ausgeschlossen. Zu dem Gipfel am Montag hatte der Élysée-Palast vorab geäußert, es handle sich um ein Treffen von „außerordentlicher Art in einem hochgradig volatilen Kontext“; vor allem werde es darum gehen, die finanziellen und militärischen Kapazitäten der EU-Staaten besser aufeinander abzustimmen.[2] Ausdrücklich war nicht nur von der Beschaffung von Munition, sondern auch von Flugabwehr, Aufrüstung mit Drohnen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten die Rede. Angekündigt waren Vertreter von 27 Staaten, darunter etwa 20 Staats- und Regierungschefs, so Bundeskanzler Olaf Scholz, Polens Präsident Andrzej Duda, aber auch der britische Außenminister David Cameron.

„Totale Eskalation“

Bereits vor dem Treffen hatte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico öffentlich vor einer weiteren Eskalation des Krieges gewarnt und wegen der „beunruhigenden“ Themen, die in Paris diskutiert werden sollten, angekündigt, den Sicherheitsrat der Slowakei einzuberufen. Er hatte mitgeteilt, der Westen setze offenkundig auf eine „totale Eskalation der Spannungen“ und auf eine „unbeschränkte militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine“.[3] Mehrere EU- und NATO-Staaten zögen es in Betracht, Soldaten in die Ukraine zu entsenden; Vorschläge, eine „unmittelbare physische Präsenz von Soldaten aus EU- und NATO-Staaten auf dem Territorium der Ukraine“ einzuleiten, würden, selbst wenn sie offiziell auf rein bilateraler Ebene erfolgten, „zu einer signifikanten Eskalation der Spannungen“ führen. Fico urteilte, das Treffen sei „eine Bestätigung“ dafür, „dass die Strategie des Westens für die Ukraine vollständig gescheitert ist“. In Medienberichten wurden seine Äußerungen als völlig unbegründet abqualifiziert. So wurde der als Sicherheitsexperte tätige slowakische General a.D. Pavel Macko mit der Aussage zitiert, Fico verbreite „Unsinn“.[4] Er liefere, hieß es, lediglich Stichworte für die russische Propaganda.

„Alles tun, was nötig ist“

Im Anschluss an das Gipfeltreffen bestätigte Macron Ficos Äußerungen implizit. Zwar gebe es „heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden“, erklärte Frankreichs Präsident: „Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden.“ Man werde „alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“.[5] Macron wies darauf hin, dass auch die Lieferung von Panzern, Flugzeugen und „Raketen mit längerer Reichweite“ einst ausgeschlossen worden sei; heute diskutiere man nur noch darüber, wie es schneller und umfassender bewältigt werden könne. „Also ist alles möglich, wenn es hilfreich ist, um unser Ziel zu erreichen“, erklärte Macron. Auf die Frage, ob beispielsweise Polen plane, Soldaten in die Ukraine zu entsenden, äußerte er, das liege allein in der eigenständigen und souveränen Entscheidung jedes Landes. Die „Option“ aber sei auf dem Pariser Treffen ernsthaft erörtert worden.[6] Fico wurde nach dem Treffen deutlicher. „Ich kann bestätigen, dass es Länder gibt, die bereit sind, ihre eigenen Truppen in die Ukraine zu schicken“, teilte er mit; „es gibt auch Länder, die sagen, dass sie das nie tun würden – zu ihnen gehört die Slowakei; und es gibt Länder, die sagen, dass dieser Vorschlag in Betracht gezogen werden muss.“[7]

„Ein Antreiber“

Mehrere Staaten haben offiziell dementiert, dass sie aktuell die Entsendung von Soldaten in die Ukraine vorbereiten. So erklärte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, Warschau „plane“ das nicht. Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala bekräftigte, Prag wolle „sicherlich keine Soldaten schicken“.[8] Die Vereinigten Staaten und Großbritannien teilten ebenfalls mit, sie hätten nicht vor, die Ukraine mit Bodentruppen zu unterstützen.[9] Kanzler Olaf Scholz äußerte, auch in Zukunft gelte, „dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden gibt, die von europäischen Staaten oder NATO-Staaten dorthin geschickt werden“.[10] Für Bündnis 90/Die Grünen sagte – zumindest für die Gegenwart – deren Vorsitzender Omid Nouripour dasselbe zu: „Es ist kein Thema in der Diskussion in Deutschland und auch nicht in einem Bündnis.“ Positiv überrascht von Macrons Vorstoß gab sich hingegen die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die zwar einräumte, Deutschland teile seine Einschätzung nicht, ihn aber trotzdem als verdienstvollen „Antreiber“ lobte, der sich wohltuend von Scholz abhebe – einem „Bremser“.[11]

Raketen und Grenzkontrollen

Während über die Entsendung von Soldaten lediglich diskutiert wurde, beschlossen die 27 in Paris vertretenen Staaten nicht nur, eine „Koalition“ zur Lieferung von Raketen mittlerer und großer Reichweite zu bilden, um es den ukrainischen Streitkräften zu ermöglichen, Ziele etwa auf der Krim, womöglich auch weit auf schon vor 2014 zu Russland gehörenden Territorien angreifen zu können. Zudem habe man sich geeinigt, teilte Macron anschließend mit, die gemeinsame Produktion von Waffen und vor allem auch von Munition in der Ukraine selbst zu forcieren. Darüber hinaus würden Minenräumoperationen gefördert – Details dazu ließ der französische Präsident im Unklaren –, und die Kontrollen, die die Ukraine an ihrer Grenze zu Belarus durchführe, sollten „mit nichtmilitärischen Kräften“ unterstützt werden.[12] Letzteres kann dazu beitragen, ukrainisches Personal freizusetzen, das dann für den Einsatz in den immer stärker unter Personalmangel leidenden Streitkräften zur Verfügung steht. Genügt dies nicht, dann ist ein Anschwellen der Debatte über die Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine nicht auszuschließen.

[1] Oberst a.D.: „Die Front kann ins Rutschen geraten“. n-tv.de 19.02.2024.

[2] Théo Bourgery-Gonse: ‘Do more and better‘: Paris hopes to align European efforts in Ukraine support. euractiv.com 26.02.2024.

[3], [4] Lucia Yar: West’s Ukraine strategy ‘completely failed’, says Slovak PM ahead of Paris summit. euractiv.com 26.02.2024.

[5] Macron schließt Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine nicht mehr aus. spiegel.de 27.02.2024.

[6] Scholz schließt Entsendung von Truppen in die Ukraine aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.02.2024.

[7] France’s Macron does not rule out Europeans sending troops to Ukraine. aljazeera.com 26.02.2024.

[8] Lorne Cook, Karel Janicek: Germany and Poland say they’re not sending troops to Ukraine as the Kremlin warns of a wider war. apnews.com 27.02.2024.

[9] Ukraine allies including US, UK and Germany reject talk of troop deployment. lemonde.fr 27.02.2024.

[10] Scholz schließt Entsendung von Truppen in die Ukraine aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.02.2024.

[11] Ukraine: Klare Ablehnung aus Deutschland nach Macrons Bodentruppen-Äußerung. web.de 27.02.2024.

[12] Guerre en Ukraine : „Rien ne doit être exclu“, déclare Emmanuel Macron au sujet de l’envoi de troupes occidentales à l’avenir. francetvinfo.fr 27.02.2024.

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