Rund 28 Millionen Menschen weltweit arbeiten laut aktuellen Schätzungen der ILO in Zwangsarbeit, darunter mehr als drei Millionen Kinder. Die EU-Kommission will dagegen vorgehen und Produkte aus Zwangsarbeit auf dem Unionsmarkt verbieten. Am 8. November 2023 hat das Europäische Parlament seine Verhandlungsposition zum Verordnungsvorschlag festgelegt. Ein Abschluss noch vor der EU-Wahl im Frühjahr 2024 ist das Ziel.

von Sarah Bruckner für A&W blog

Zwangsarbeit – globales Problem, Europa inklusive

Zwangsarbeit ist auf der ganzen Welt verbreitet und existiert auch innerhalb der EU. Sie findet vor allem in der Privatwirtschaft statt (86 Prozent), wird in einigen Fällen aber auch staatlich angeordnet (14 Prozent). Insbesondere auf die Situation der Uigur:innen in China wird immer wieder hingewiesen. Nach einer Entschließung des Europäischen Parlaments (EP) für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit legte die Kommission am 14. September 2022 einen Verordnungsvorschlag vor.

„Historische“ Abstimmung im EU-Parlament

Das geplante Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit betrifft sowohl innerhalb des EU-Binnenmarktes hergestellte als auch importierte Produkte. Am 16. Oktober 2023 haben die zuständigen Ausschüsse für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und für Internationalen Handel (INTA) des EU-Parlaments ihren gemeinsamen Bericht verabschiedet. Die Abstimmung wurde aus zwei Gründen als „historisch“ bezeichnet: Zum einen wurde darauf hingewiesen, dass rund 100 Jahre nach der Unterzeichnung der ILO-Konvention 29 erstmals auf EU-Ebene ein effektives Instrument zur Bekämpfung von Zwangsarbeit geschaffen wird. Zum anderen wurde auf die große Einigkeit des Europäischen Parlaments hingewiesen: Der Bericht wurde ohne Gegenstimme angenommen! 66 Ausschussmitglieder stimmten dafür, weiters gab es zehn Enthaltungen. Das EP-Plenum hat den Bericht, der wesentliche Verbesserungen zum Vorschlag der Kommission enthält, am 8. November 2023 bestätigt.

Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter:innen

Die Verordnung sieht vor, dass Produkte aus Zwangsarbeit vom Markt genommen werden. Die Produkte können weder innerhalb des Binnenmarktes verkauft noch importiert oder exportiert werden. Im Vorschlag der Kommission ist vorgesehen, dass ein verhängtes Verbot zu widerrufen ist, wenn die Zwangsarbeit nachweislich eingestellt wurde. Das EP fordert, dass ein Produktverbot erst dann aufgehoben werden darf, wenn die betroffenen Zwangsarbeiter:innen auch Wiedergutmachung erhalten haben. Die Perspektive der Betroffenen fehlte im Kommissionsvorschlag zur Gänze. Diese vom EP beschlossene Abänderung ist daher ein zentraler Punkt.

Wer muss den Beweis erbringen?

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Frage der Beweislast. Laut Vorschlag der Kommission muss die Behörde Untersuchungen durchführen und Zwangsarbeit nachweisen. Besser wäre es, wenn umgekehrt die Unternehmen nachweisen müssen, dass keine Zwangsarbeit vorliegt (Beweislastumkehr). Das EP will eine Beweislastumkehr in bestimmten Fällen staatlich verordneter Zwangsarbeit, wobei eine Datenbank Unterstützung bieten soll. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hatte in seiner Stellungnahme einen ähnlichen Vorschlag gemacht. Auch die Behördenzuständigkeit ist ein wichtiger Punkt. Das EP will zusätzlich zu den nationalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten die Kommission „als 28. Behörde“ in die Pflicht nehmen.

AK, Gewerkschaften und NGOs haben in einem offenen Brief an die Abgeordneten der im EU-Parlament federführenden Ausschüsse (IMCO/INTA) wichtige Anforderungen an ein wirksames Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit übermittelt. Erfreulicherweise wurden einige Punkte aufgegriffen, es gibt jedoch auch einen Wermutstropfen: Während laut Kommissionvorschlag die Behörde ab der Einleitung der Untersuchung innerhalb „angemessener Frist“ entscheiden muss, ob sie ein Produktverbot verhängt oder das Verfahren einstellt, wollen die Ausschüsse IMCO/INTA der Behörde lediglich 90 Tage Zeit geben. Diese Frist ist viel zu kurz.

Vergleich EU-Lieferkettengesetz und Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit

Das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit zielt darauf ab, Produkte vom Markt zu nehmen. Dieser Ansatz unterscheidet sich in drei Punkten vom EU-Lieferkettengesetz (CSDDD).

1. Mit dem EU-Lieferkettengesetz werden Unternehmen verpflichtet, ihre Wertschöpfungsketten zu überprüfen und Zwangsarbeit gegebenenfalls abzustellen bzw., wenn dies nicht möglich ist (z. B. bei staatlich verordneter Zwangsarbeit), die Geschäftsbeziehung zu beenden. Das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit enthält hingegen keine Sorgfaltspflicht.

2. Bei Nichteinhaltung des EU-Lieferkettengesetzes drohen dem Unternehmen behördliche Sanktionen wie z. B. Geldstrafen und allenfalls zivilrechtliche Klagen von geschädigten Personen. Produkte und Dienstleistungen, die unter Missachtung von Menschenrechten und Umweltschutz hergestellt wurden, dürfen aber weiterhin verkauft werden; das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit verbietet dies.

3. Vom EU-Lieferkettengesetz sind nur große Unternehmen erfasst (die Unternehmensgröße ist derzeit Gegenstand der Trilog-Verhandlungen), das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit betrifft alle Unternehmen, wobei die Behörden nach einem „risikobasierten Ansatz“ vorgehen.

Die nächsten Schritte

Die Co-Berichterstatterinnen Maria-Manuel Leitão-Marques (S&D) Samira Rafaela (Renew) wiesen anlässlich der Abstimmung in den Ausschüssen IMCO/INTA auf die Situation der Uigur:innen hin, die zu Zwangsarbeit, z. B. auf Fischereischiffen, gezwungen werden. Sie richteten einen Appell an den Rat, das Tempo zu erhöhen. Sobald der Rat eine „Allgemeine Ausrichtung“ erzielt, können die Trilog-Verhandlungen beginnen. Ziel ist es, das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit noch vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2024 zu verabschieden.


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