Begegnungen mit Aktivistinnen aus Belarus, Ukraine und Kosovo in einer Reihe zu Abrüstung, Demilitarisierung und genuiner Sicherheit von „Peacewomen across the globe“ in Bern – im September 2023.

“Usual women in unusual times“ – über ver-rücktes Frauenleben im Konflikt!

Gewalt und Krieg beschäftigen uns alle – so unterschiedlich wir sind, so nah und weit wir persönlich von einem Angriff auf unsere körperliche und seelische Integrität entfernt sind, wo und wie wir auch leben. Krieg geht immer unter die Haut – für die Einen in der direkten Konfrontation mit Kriegsverbrechen, Übergriffen, Trennung und Verlust, Not, Flucht und Exil. Aber auch dann, wenn waffengestützte Sicherheitsarchitektur (wieder) zur neuen Norm wird und pazifistische Haltungen und Überzeugungen diskreditiert werden („Verhandeln statt Schießen“-Pazifist*innen werden zu „gefallenen Engel aus der Hölle“- lt. Kanzler Scholz). Wenn friedensbewegte Aktivist*innen ob ihrer Unterstützung von Wehrdienstverweigerern und Dissident*innen, oder weil sie insistieren von „Frieden“ zu sprechen in reale Gefahr kommen, wie Frauen aus der Ukraine, Belarus, Georgien, dann werden eklatant Grundrechte verletzt und damit Stimmung gemacht.

Im offenen Austausch mit Frauen aus Belarus, Ukraine und Kosovo waren sich die Teilnehmerinnen des Symposiums uns einig, dass die medial gestützte Dominanz geostrategischer Feldanalysen der Politiker*innen und Think Tanks boomende patriarchale Machtpolitik (auch unter Bezug auf feministische Außenpolitik) untermauert und die allgemeine Orientierungs- und Ratlosigkeit angesichts der scheinbaren Unausweichlichkeit der Gewaltexzesse wachsen lässt. Solange die gesellschaftliche Stimmung kippt und Krieg von einer Mehrheit getragen wird, sind Waffenstillstand und friedliche Entwicklungen nicht absehbar, das Konzept von Frieden wird zur Legitimierung von Aufrüstungsentscheidungen instrumentalisiert, die Wehrbereitschaft verselbständigt sich – leider nichts Neues in Kriegszeiten.

Feministische Ansätze zu Konfliktregelungen, die die Menschen und ihre grundlegenden Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, werden an den Rand gedrängt und der spezifische Bezug der Frauen-Friedens-Sicherheitsagenda und ihrer NAPs zu Abrüstung ausgehöhlt. Es ist mehrfach widerlegt, dass mehr Waffen im Umlauf die Sicherheit für die Menschen/die Zivilbevölkerung verstärken und zum Schutz vulnerabler Gruppen beitragen. Olga K. in der Veranstaltung: „Immer mehr Waffen werden geliefert, dennoch fühlen wir uns alle zunehmend unsicher!“

Wir erleben im Alltag, wie sich Geldströme und Investitionen ohne allzu große Gegenwehr dramatisch verschieben: Gelder fehlen überall für sozial- und gesundheitspolitische Aufgaben, für Bildung, menschenwürdige Asylpolitik, Kultur, Entwicklungspolitik und Klimaschutz. Währenddessen fahren Rüstungskonzerne und Überwachungstechnologiefirmen astronomische Profite ein. Das erschüttert die Grundfesten jeder Gesellschaft nach innen und zerstört Vertrauen in zukunftsorientierte Handlungsfähigkeit der Politiker*innen. Schlimmer, es spielt der extremen Rechten in die Hände, fördert „nationale Sicherheitsstrategien“ gegenüber Multilateralismus und schottet Außengrenzen ab, statt Flucht und Asyl unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten neu zu verhandeln. Die Rückwirkung auf eine Brutalisierung und Gewaltbereitschaft der Gesellschaft als Ganzes, ist offensichtlich und brandgefährlich. Dazu nur ein Zitat: „sobald die Befindlichkeit, durch Migration bedroht zu werden, in die psychische Innenausstattung vordringt, lässt sich das Leid derer, die entlang der Migrationsrouten umkommen, leichter verdrängen oder verarbeiten“ (aus „Hinter Mauern“, Volker Heins und Frank Wolff, S.99ff).

Feministische Konfliktanalysen sind auf dem Boden jahrzehntelanger Erfahrungen gewachsen, aber müssen immer wieder aufs Neue auf ihre Realitätstauglichkeit überprüft werden. Dazu braucht es lebendige Begegnung – auch wenn das Sprechen und Zuhören manchmal weh tut und wenn Trauer, Angst, Wut angesichts von Minen, Bomben, sexualisierter Gewalt und unmenschlicher Fluchterfahrung leicht die Überhand bekommen. Wenn frau die eigene Unzulänglichkeit spürt, offen (und erfolgreich?) Widerstand zu leisten gegen Hass und Feindbilder, wenn sie der Macht von Fake News ebenso ausgesetzt ist wie physischen Angriffen als Zielscheibe von Kriegsverbrechern, hilft nur Solidarität gegen die Lähmung. Es braucht die kritische Wahrnehmung, wie sich im Konflikt die Schwelle der psychischen (oft) patriarchalen Unterdrückung verschiebt: Frauen, die (die ansonsten ganz normal empfundene) Verantwortung für das Wohl und Weh der Familie, der Freunde und Nachbarn, die Schule und das Essen für die Kinder, die Gesundheits- und soziale Versorgung der Umgebung, mit dem eigenen Überleben irgendwie zusammendenken und bringen. Dafür brauchen sie Räume, Gehör, Zeit, Netzwerke. Nur gemeinsam lässt sich Provokation der banal als „Zeitenwende“ bezeichneten Kriegslogik und der damit verbundenen Alltagsmilitarisierung verarbeiten und allenfalls gemeinsam neue Wege hin zu friedlichem Zusammenleben zu entdecken

In diesen „ver-rückten“ Zeiten werden nur in der solidarischen kollektiven Anstrengung die Stimmen lauter für eine Gesellschaft, die sich kümmert und nicht umbringt.

„Storytelling is like Bodybuilding but better!“ – Räume für Geschichten öffnen!

Die Ausgangsfragen sind definiert: Was ist uns wichtig für ein menschenwürdiges Dasein, wie fühle ich mich sicherer, wie verkrafte ich mein Leiden, wie gehe ich mit der immer wieder in Frage gestellte Logik der präventiven Friedensarbeit konstruktiv um? Wohlwissend, dass Antworten, Wege und Lösungen die je nach Kontexten, Moment des Geschehens, Örtlichkeiten immer nur Annäherungen sein können, die der regelmäßigen kritischen Analyse unterzogen werden sollen.

Der Weg führt über die konsequente und kontinuierliche Bereitstellung (sicherer) Räume für Geschichten, die die Gegenwart erzählen, das Überleben beschreiben, die Chance bieten, (irgendwann einmal) die Vergangenheit aufzuarbeiten und das gesamte Paket für die Zukunft aufzubereiten. Gemeinsame Denk- und Schreiborte sind kein Kurzzeitprojekt; sie brauchen Vertrauen und schließen auch die Dokumentation ein – so wie das die Frauenbewegung seit Anbeginn tut. Nur in der offiziellen Geschichtsschreibung fehlt dieses Material weitgehend bzw. wird ignoriert, obwohl darin der Humus gesellschaftlicher Entwicklung liegt.

Inspirationen für Wege zum Frieden

Einige der Teilnehmerinnen: Margareta Kiener-Nellen, Nora Ahmetai, Toni Mächtlinger, Olga Karatch, Annemarie Sancar, Olena Zinenko, Cecile Druet, Heidi Meinzolt, Blanca Maria – nicht auf dem Bild Deborah Schibler, Gaby Vermot-Mangold…

Die Voraussetzung für den Austausch erlebter Geschichten ist die Pflege und Stärkung (feministischer) Netzwerke – transgenerationell, grenzüberschreitend und international verknüpft. Das ist eine der wichtigsten Lehren aus den Balkankriegen und der erlebten Post-War Zeit dort. Die Nachkriegszeit erleben viele Frauen schmerzlich nicht als Friedensperiode, nur weil die Waffen schweigen, sondern als Spannungsfeld, das nach Brückenbauer*innen ruft. Der Austausch ist lebenswichtig, denn immer wieder stehen transitional justice und restorative Gerechtigkeit zur Disposition. Neoliberale Wirtschaftsinteressen, die den Aufbau prägen, sabotieren alternative Friedensprozesse. Eine eng verknüpft (starke) Zivilgesellschaft, insbesondere solidarisch agierenden Aktivistinnen und vernetzte Frauenorganisationen sind nicht wegzudenken, wenn es um den Einfluss auf staatliche Institutionen, auf Justiz und Rechtssprechung und die gerechte Umsetzung von Gesetzen sowie um die Verteilung von öffentlichen Geldern geht.

Das Ziel der Geschichten und des Austausches ist die Stärkung eines gemeinsamen Grundgefühls für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, das im gesellschaftlichen Miteinander die drei Ps veranschaulichen: Protektion, Partizipation und Prävention – also die Grundelemente der Frauen-Frieden-Sicherheitsagenda. Die Geschichten nehmen auch die Forderungen nach institutionell begleiteter Strafverfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf, um den verhängnisvollen Kreis der individuellen und kollektiven Gewalt zu durchbrechen, um letztlich das (patriarchal-kapitalistische-militärische-technologieaffine) Mainstream-Narrativ zu verändern und zu durchbrechen durch den starken Bezug auf das Leben an sich und die „menschliche Sicherheit“.

„Gardening for the future!” – Chancen nutzen zum alternativen Denken

Mitglieder der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit hatten sich bereits im und nach dem 1. Weltkrieg dem Ziel verschrieben „permanenten Frieden“ zu erreichen. Das bleibt ein Auftrag, der eine präventiven Agenda für genuine Friedensbildung ins Zentrum aller Überlegungen rückt. Große Schritte zur radikalen Abrüstung und De-Militarisierung und damit der Abschöpfung und Umwidmung der Profite aus der Waffenproduktion und dem Waffenhandel, gehen aber nur gemeinsamen mit kleinen Umgrabungen und Pflanzungen im Garten der Menschheit: „Building islands for peace“, nannte dies eine der Teilnehmerinnen: ein Mosaikstein für verantwortungsvolle Sorgearbeit.

Die Stärkung des individuellen und kollektiven Widerstands gegen jede Form der Kriegstreiberei und gewalttätiger Konfliktlösung schließt ausdrücklich auch die Unterstützung von Dissident*innen, Verweiger*innen ein und die Forderung, Friedensstimmen nicht zu kriminalisieren. “Steel the army from Lukaschenko!“ spitzt die belarussische Aktivistin Olga K. mit einem humorvollen Augenzwinkern ihre diesbezüglichen Aktivitäten zu.

Eine präventive Agenda definiert Selbstverteidigung (als berechtigte Forderung z.B. der Ukrainer*innen) nicht vor allem als eine militärische Dimension. Sie schließt die Förderung und Unterstützung zivilen Widerstands, das Training gewaltfreier Kommunikation und Konfliktlösung, Diplomatie und professioneller De-eskalation ebenso ein wie die Absage an binäre Freund-Feind-Schienen und das Reden von Sieg oder Niederlage.

Es gibt in der aktuelleren Geschichte unzählige Beispiele der kleinen Schritte, die tröstlich sind trotz z.T. geringer Reichweite: Albanerinnen und Serbinnen die im Nord-Kosovo Dinge des Alltagslebens und der Gesundheitsversorgung gemeinsam regeln, Zypriot*innen die Wasserversorgung über Demarkationslinien sicher stellen, Israelinnen und Palästinenserinnen die im Land und in der Diaspora im Dialog über die Besatzung bleiben, Russinnen und Ukrainerinnen, die sich dem Hass entgegenstellen und sich stark machen für eine gemeinsame Sprache und Verständnis von Wegen zum Frieden, Jugend aus dem Kaukasus, die aus der Geschichte für die Zukunft des friedlichen Zusammenlebens und autonomer Lebensentwürfe lernt, Menschen die die Tafel und Suppenküchen versorgen, weil sie ein Auge für die aktuelle Not und im Kopf ein anderes gerechteres Wirtschaftssystem haben u.v.m.

Zurzeit toben über 50 Kriege in der Welt und fordern ihre Opfer. Menschengemachte Krisen und Naturkatastrophen vergrößern dramatisch individuelle Not und Leid. Kreative Initiativen und alternative Herangehensweisen gibt es in der gesamten Welt – sie müssen ausgetauscht werden und ermutigen. Darüber müssen wir reden. Wie Sylvie Ndgomo, internationale WILPF Präsidentin aus Kamerun, zum weltweiten Antikriegstag am 21. September anregt: “We are marching for peace in Cameroun, marching for peace in Africa and for peace in the world, for a just and peaceful planet – grounded in the idea that there is no solution without peace, no just development without peace.“

Wir müssen uns daran machen „europäischer Werte“ dekonstruieren, bzw. neu beleben und ihre Wieder-Verankerung im Kanon universeller Menschenrechte verlangen, denn „europäische Werte, das ist eine Leerformel, die alles Mögliche und das jeweilige Gegenteil bedeuten kann… sie kann Frieden ebenso rechtfertigen wie die Produktion von Unfrieden, die Öffnung von Grenzen wie ihre Schließung… und führt zu einer Institutionalisierung von Misstrauen und zu einer alles andere als entspannten oder gar harmonischen Lebensform im Inneren der geschützten Räume… („Hinter Mauern“ S.124ff).

Wir können, wir müssen uns einmischen, denn lebendige Demokratie ist für Feministinnen kein fixes System im Parteienspektrum. Sie verlangt nach Parität, Erweiterung und neuen Räumen durch Partizipation, die das Mitdenken für andere, die Solidarität im Kopf und im Handeln einschließt.

Unser deutsches Alphabet beginnt mit A: Abwehr, Ausschluss, Abschottung, Aggression, Anders sein, Anti-… Das ist aber nicht das Ende, lass uns weiter deklinieren: Begegnung, Demut, Einigung, Freundlichkeit, Genuss, Halt, Inspiration, Jugend, Konsens, Liebe, Mut, Nähe, Ordnung, Podien, Qualität, Ruhe, Standfestigkeit, Treue, Unschuld, Vorurteilsfreiheit, Wärme, X Y Ziele…Es liegt an Jedem/r das Alphabet für sich fortzuschreiben.

„Geh deinen Weg, aber sei dir bewusst über den Preis und die vielen Hindernisse auf dem Weg!“ (Mutige/Ermutigende Stimme aus Belarus)

Inspirationen für Wege zum Frieden

1000 Frauen für den Frieden – Das wachsende internationale Netzwerk für die Beteiligung von Frauen an der Friedensförderung. https://1000peacewomen.org/de/news/feminists-connecting-for-peace-magazin-2