Die meisten grossen Sternbilder könnten in 20 Jahren unsichtbar sein, wenn die Lichtverschmutzung weiter fortschreitet.

Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber

Ein Teil unserer Umwelt verblasst zusehends. Vier Fünftel der Menschheit leben unter einem lichtverschmutzten Nachthimmel. Seit 2016 kann ein Drittel der Menschheit die Milchstrasse nicht mehr sehen. Sie starb einen langsamen Tod durch LED, könnte man sagen.

Die Himmelshelligkeit nimmt weltweit pro Jahr um 9,6 Prozent zu, fand ein Citizen-Science-Projekt des GeoForschungsZentrums Potsdam. In 20 Jahren werden wir die grossen Sternbilder wahrscheinlich nicht mehr sehen können, berichtete der «Guardian» im Mai.

In der Schweiz wird es nirgends mehr wirklich dunkel

Die Beseitigung der Verschmutzung ist scheinbar einfach: Ist die Lampe aus, ist es sofort wieder dunkel. Oder auch nicht. In der Schweiz ist der Nachthimmel hell- bis dunkelgrau – vor allem im Mittelland, in Bern, Basel und Zürich. Selbst in den Alpen wird es nachts nicht mehr vollständig dunkel. Für einen natürlich dunklen Himmel müsste man nach Afrika reisen.

Der Himmel in Lü, Graubünden, ist bereits ein seltener Anblick

Diejenigen, die die Aufhellung der Nacht als Erstes bemerken, halten sich in der Regel bedeckt. Hobbyastronomen geben auf die Frage, wo genau es in der Schweiz noch am dunkelsten werde, höchstens vage Antworten. Würde bekannt, wo sich die meist schwer zugänglichen Flecken befinden, wäre es dort nicht länger dunkel. Selbst auf den Alpenpässen befinde sich meist ein Hotel oder Restaurant, das die ganze Nacht beleuchtet sei, erklärt die Seite «teleskoptreffen.ch».

Reporter:innen der NZZ reisten kürzlich nach Lü in Graubünden, um einen einigermassen dunklen Himmel zu finden. Sie dokumentierten den sternenübersäten Nachthimmel:

Journalist:innen der NZZ dokumentierten den Nachthimmel in Lü/Graubünden (Videoscreenshot). © NZZ

Die meisten Menschen unterschätzen, wie sehr Licht abstrahlt

Wer auf einem Berg oder Hügel ausserhalb einer Ortschaft steht, sieht nicht viel, wenn es unten im Tal nur wenig Licht gibt. Eine Tankstelle vielleicht, eine Aussenbeleuchtung oder eine Werbetafel ist als kleiner heller Punkt zu sehen.

Das heisst, das Licht kommt bis dorthin, wo der Beobachtende steht. Das gestreute Licht entgeht ihm grösstenteils. In der Summe macht die Streuung vieler Lichter aber einiges aus. Aus der ganzen Schweiz sei beispielsweise die Lichtkuppel von Mailand zu sehen, schreibt «teleskoptreffen».

Die nächtliche Helligkeit hat grossen Einfluss auf die Tierwelt

LED-Beleuchtung ist effektiv und stromsparend, aber sie verschlimmert die Verschmutzung. Balkonlichter, Gartenbeleuchtung, Fahrzeuge, Sportstätten und Strassenbeleuchtung haben einen grossen Einfluss auf die Biodiversität.

Sternbilder sind genau so wenig überlebensnotwendig wie nachts angestrahlte Statuen, aber sie haben ebenfalls einen kulturellen Wert. Die dauererleuchtete Umwelt schadet uns direkt wie indirekt. Nachtaktive Tiere wie Wild, Raubtiere oder Insekten reagieren viel stärker auf Licht als wir. Glühwürmchen können sich nicht mehr paaren, Zugvögel verlieren die Orientierung, Insekten werden in ihrem Rhythmus gestört.

Das hat direkte Auswirkungen auf die Natur: Lichtverschmutzung beeinflusst die nächtliche Bestäubung so sehr, dass Pflanzen weniger Samen und Früchte produzieren, schrieb die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) schon 2017. Tagbestäuber können den Verlust nicht auffangen.

Sogar Fische macht das viele Licht schlaflos

Auch Fische verschlafen einen guten Teil ihrer Lebenszeit. Anders als beispielsweise bei Katzen sieht man das nicht, weil sie keine Augenlider haben. Stadtfische sind vermutlich oft schlaflos. Das zeigen Untersuchungen ihres Melatonin-Spiegels am Leibnitz-Institut in Berlin.

Melatonin ist ein Hormon, das auch bei Menschen mit dem Wach-Schlaf-Rhythmus in Verbindung gebracht wird. Es wird bei Dunkelheit im Körper gebildet und bei Licht wieder abgebaut. Mensch und Tier können sich bei zu viel Licht schlechter regenerieren. Bei den Fischen würden Immunsystem, Wachstum und Fortpflanzung gestört, sagt der Hormon-Spezialist und Forschungsgruppenleiter der Fischbiologie Werner Kloas gegenüber «naturschutz.ch».

LED haben Lichtverschmutzung verschlimmert

Am schädlichsten für Nachtlebewesen ist sogenanntes «kaltweisses», blaues Licht, weil es hellem Sonnenlicht am nächsten kommt. Kaltweisse LED-Leuchten sparen zwar am meisten Strom, stören die Natur aber am stärksten. Ihr Licht ist etwa 2,5-mal schädlicher als Natriumdampflampen.

Auf Insekten wirkt es wie eine Droge: Die Tiere sind völlig verwirrt und schaffen es nicht, den erleuchteten Bereich zu verlassen. Andere Tiere wie Zugvögel und Schildkröten gehen in die Irre, weil Streulicht das Mondlicht überstrahlt, das sie zur Orientierung brauchen.

Robert Fosbury vom Institut für Augenheilkunde am University College London hält die ständige Blaulichtverschmutzung laut dem «Guardian» auch für eine Ursache von Fettleibigkeit und Diabetes bei Menschen.

Der Zusammenhang zwischen Melatoninspiegel und Schlaf ist noch nicht genau geklärt. «Verwenden Sie an Orten, an denen sich Personen während der Abendstunden vor dem Schlafen während längerer Zeit aufhalten, warmweisse LED- oder Energiesparlampen mit Farbtemperaturen von circa 3000 Kelvin», empfahl das Bundesamt für Gesundheit (BAG) aber schon 2016.

Lichtverschmutzung ist Umweltverschmutzung

Lichtverschmutzung wird noch immer zögerlich als Umweltverschmutzung anerkannt. «Unsichtbare» Gefahren wie Umweltchemikalien, radioaktive Strahlung oder Elektrosmog machen uns mehr Angst. Theoretisch würde es auch genügen, das Licht einfach auszuknipsen, und die Verschmutzung wäre verschwunden.

Das klingt nach einem kleinen Problem – ist es aber nicht. Die Erfindung der Glühbirne war ein Meilenstein der Menschheitsentwicklung. Ohne künstliches Licht ist vieles, was die Menschheit dringend braucht, nicht möglich. Ein komplettes Lichterlöschen gäbe es allenfalls bei einer grösseren Katastrophe. Der Himmel über der Ukraine war 2022 beispielsweise unüblich dunkel.

Gegenmassnahmen sind möglich

Die Stromspar-Bemühungen während des vergangenen Winters waren jedoch ebenfalls deutlich sichtbar, das zeigen Satellitenbilder von Berlin. Auch der oder die Einzelne kann viel tun, damit in einigen Jahrzehnten wenigstens noch einige Sterne sichtbar sind. Das beste Mittel gegen Lichtverschmutzung ist das wachsende Bewusstsein dafür.

Müssen Solarlampen und Gartenstrahler im eigenen Garten sein? Müssen sie von unten nach oben strahlen? Kann Aussenbeleuchtung so abgedeckt werden, dass sie nur dort hinstrahlt, wo auch Licht benötigt wird? Darf es ein bisschen weniger hell sein? Ist wärmeres, gelblicheres Licht eine Alternative? Müssen Lampen die ganze Nacht leuchten?

Bereits sieben einfache Fragen können helfen, Lichtverschmutzung zu verringern. © BAFU

Bei der Planung von Industrieanlagen, Wohnquartieren und Bahnhöfen können die Antworten auf solche Fragen, wie sie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) ausgibt, schnell komplex werden. Bestraft wird Lichtverschmutzung in der Schweiz nicht. Das ist nicht überall so, in Slowenien gibt es zum Beispiel Bussen.

Viele kennen die einfachsten Regeln nicht

Viele Firmen und Gemeindeangestellte kennen die einfachen Kriterien und auch die geltenden Vorschriften jedoch gar nicht, sagt die Organisation «Paten der Nacht», die in Deutschland und Österreich aktiv ist. In Deutschland gebe es zum Beispiel keine Pflicht, öffentliche Strassen und Plätze zu beleuchten. Der gegenwärtige «Beleuchtungswahnsinn» käme dem Heizen bei offenem Fenster gleich.

Auf der Homepage der «Paten» findet sich auch ein Vergleich der Lichtverschmutzung Europas 1992 und 2010, die sich mit einem Slider-Programm direkt vergleichen lässt. Inzwischen dürften die hellen weissen Flecken noch deutlich zugenommen haben.

Slider-Image, das die Lichtverschmutzung Europas 1992 und 2010 vergleicht. © https://www.paten-der-nacht.de