Pistorius kündigt zum Antrittsbesuch in Washington neue Asien-Pazifik-Aktivitäten der Bundeswehr und deutscher Rüstungsfirmen an. Rheinmetall hofft auf 45-Milliarden-Dollar-Auftrag aus den USA.

WASHINGTON/BERLIN(Eigener Bericht) – Verteidigungsminister Boris Pistorius kündigt weitere Aktivitäten der Bundeswehr in der Asien-Pazifik-Region sowie eine Ausweitung der deutschen Rüstungsexporte dorthin an. Wie Pistorius am Mittwoch (Ortszeit) bei seinem Antrittsbesuch in Washington erklärte, bestehe eine „europäische Verantwortung für den Indo-Pazifik“; diese werde sich, was Deutschland betreffe, in einer weiteren Teilnahme an Manövern im Indischen und im Pazifischen Ozean sowie in der Lieferung größerer Mengen an Kriegsgerät äußern. Der Minister hatte erst zu Wochenbeginn eine feste und dauerhafte Stationierung von annähernd 4.000 deutschen Soldaten in Litauen angekündigt – ein Schritt, mit dem er „eine stärkere Führungshaltung in Europa“ eingenommen habe, hieß es in US-Medien. Zugleich verfestigt sich die rüstungsindustrielle Basis des transatlantischen Bündnisses ein weiteres Stück: Im Gegenzug gegen die Beschaffung von F-35A-Kampfjets durch die Bundeswehr hat Washington zugesagt, dem deutschen Rheinmetall-Konzern die Herstellung von Teilen des Jets zu übertragen; zudem ziehen die US-Streitkräfte den Erwerb von Rheinmetall-Schützenpanzern für mehr als 45 Milliarden US-Dollar in Betracht.

„Stärkere Führung in Europa“

Viel Lob hat Verteidigungsminister Boris Pistorius in Washington unter anderem für seine Anfang der Woche gefällte Entscheidung erhalten, in Zukunft rund 4.000 deutsche Soldaten fest in Litauen zu stationieren. Damit habe er „eine stärkere Führungshaltung in Europa“ eingenommen, hieß es etwa in der New York Times.[1] Pistorius hatte am Montag in einer 180-Grad-Wende von der bisherigen Position der Bundesregierung Abstand genommen, laut der die Bundeswehr zwar eine vollständige Brigade für einen etwaigen Einsatz in Litauen kontinuierlich bereithalten werde, dass aber nur ein vorgeschobener Gefechtsstand mit rund 50 deutschen Soldaten permanent in dem baltischen Land aufgestellt werden solle.[2] Zur Begründung hieß es in Berlin gewöhnlich, die Brigade solle nicht unmittelbar an der potenziellen Front stehen, sondern an einem weiter entfernten Ort in Deutschland, um bei Bedarf kurzfristig auch an anderer Stelle eingesetzt werden zu können. Litauen hatte das nie akzeptiert und immer wieder die stetige physische Präsenz einer vollständigen deutschen Brigade gefordert. Indem Berlin nachgibt, nimmt es den litauischen Beschwerden den Wind aus den Segeln und ergreift die Initiative bei der weiteren Militarisierung an der Ostflanke des Bündnisgebiets.

„Verantwortung für den Indo-Pazifik“

Positiv bewertet wurde in Washington zudem, dass Pistorius weitere militärische Schritte im Indischen sowie im Pazifischen Ozean ankündigte. Es gebe eine „europäische Verantwortung für den Indo-Pazifik“, die darin bestehe, „unsere Partner zu unterstützen“, behauptete der Verteidigungsminister.[3] Die Bundeswehr, die seit 2021 Marine- und Luftwaffeneinheiten zu Kriegsübungen in die Asien-Pazifik-Region entsendet, wird Mitte Juli Einheiten des Heeres zum Großmanöver Talisman Sabre nach Australien schicken. Im kommenden Jahr werden zudem zwei deutsche Kriegsschiffe am US-Großmanöver Rimpac im Pazifik teilnehmen und sich anschließend eine Zeitlang in die US-geführte Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea einklinken. Lediglich als eigenständige Militärmacht wolle Deutschland sich nicht im Indischen und im Pazifischen Ozean etablieren, erklärte Pistorius jetzt; dazu sei man „zu weit weg und nicht genügend verankert“.[4] Der Minister stellte allerdings eine deutliche Aufstockung der deutschen Waffenlieferungen in Aussicht; Beschränkungen, die immer noch für Rüstungsexporte gälten – es handelt sich vor allem um Restriktionen bei Lieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete –, müssten geändert werden. Allerdings wolle man nicht „die Welt mit deutschen Waffen fluten“.

Die transatlantische Rüstungsbasis

Neben der weiteren Militarisierung Osteuropas im NATO-Rahmen und neuen militärischen Maßnahmen im Indischen und im Pazifischen Ozean besprach Pistorius mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin und dem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan auch die Aufrüstung der Bundeswehr mit US-Kriegsgerät. Dabei ging es insbesondere, wie das Bundesverteidigungsministerium berichtet, um die Beschaffung von US-Kampfjets F-35A, außerdem um den Kauf von schweren Transporthubschraubern CH-47F Chinook.[5] Im Gegenzug zur Beschaffung der F-35A-Jets hat Washington zugesagt, künftig würden bestimmte Teile des Flugzeugs bei Rheinmetall in Deutschland gebaut – und zwar in allen Fällen, in denen die Jets nicht für die US-Luftwaffe, sondern für den Export gedacht seien. Kürzlich wurde zudem bekannt, dass der Rheinmetall-Konzern bei der Suche der US-Streitkräfte nach einem Nachfolgemodell für den Schützenpanzer Bradley als möglicher Lieferant eingestuft wird: Nach der Vorauswahl kommt für die U.S. Armed Forces nur ein Modell von Rheinmetall oder eines von General Dynamics in Frage. Entschieden werde in der Sache spätestens 2027, heißt es.[6] Das Volumen des Auftrags wird mit mehr als 45 Milliarden US-Dollar beziffert. Ginge er an Rheinmetall, würde dies die transatlantische Rüstungsbasis weiter verfestigen.

Geächtete Streumunition

Nicht zuletzt drehten sich die Gespräche des Bundesverteidigungsministers in Washington um den Ukraine-Krieg und die Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte. Ob Pistorius dabei auch die jüngst gemeldeten US-Überlegungen thematisierte, Streumunition zu liefern, ist nicht bekannt. Kiew fordert seit geraumer Zeit sogenannte Dual Purpose Conventional Improved Munitions (DPCIM) – Munition, die im Zielgebiet eine große Zahl an Bomblets freisetzt und verstreut. Sie wird verwendet, um Soldaten in Schützengräben zu bekämpfen, führt aber wegen ihres großen Streuradius‘ immer wieder zu zivilen Todesopfern und ist deswegen von mehr als 120 Staaten geächtet worden. „Unsere Militäranalysten haben bestätigt“, äußerte Ende der vergangenen Woche die Staatssekretärin im Pentagon Laura Cooper, „dass DPCIMs vor allem gegen hartnäckige russische Stellungen auf dem Schlachtfeld nützlich wären“.[7] Aus US-Sicht sei der Nutzen ihrer Lieferung allerdings fraglich, da man um die „Einheit der westlichen Verbündeten“ fürchte. Ursache ist, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den Einsatz von Streumunition offiziell ablehnen. Allerdings sind inzwischen insbesondere in Berlin so viele Tabus gefallen – vom Kriegführen über das Beschaffen von Frackinggas im großen Stil bis zur Errichtung von Haftlagern an den EU-Außengrenzen –, dass die Widerstände gegen Streumunition wohl überwindbar sind.

„Unser wichtigster Verbündeter“

Pistorius konstatierte kurz vor seiner Abreise nach Washington im ZDF-Morgenmagazin: „Ich habe, wir haben als Bundesrepublik Deutschland die USA stets als unseren wichtigsten Verbündeten betrachtet und erlebt.“[8] Der Minister tätigte die Aussage wenige Tage vor dem Eintreffen von Emmanuel Macron zum ersten Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Berlin seit 23 Jahren. Frankreich gilt als der engste Verbündete Deutschlands in der EU. Macron wirft der Bundesregierung seit geraumer Zeit vor, sich – anders als vereinbart – nicht angemessen um die Eigenständigkeit der EU zu bemühen, sondern stattdessen immer enger auf das transatlantische Bündnis zu setzen. Dies gilt als möglicher Streitpunkt bei seinen bevorstehenden Gesprächen in der kommenden Woche in Berlin.[9]

[1] Erika Solomon: German Defense Minister Vows Stronger Geopolitical Role Ahead of U.S. Visit. nytimes.com 28.06.2023.

[2] Jochen Buchsteiner, Thomas Gutschker, Eckart Lohse: Wie Boris Pistorius den NATO-Generalsekretär überraschte. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.06.2023.

[3], [4] Erika Solomon: German Defense Minister Vows Stronger Geopolitical Role Ahead of U.S. Visit. nytimes.com 28.06.2023.

[5] Lara Finke: Pistorius in Washington: Antrittsbesuch bei wichtigstem strategischem Partner. bmvg.de 29.06.2023.

[6] Rheinmetall weiter im Rennen um milliardenschweren US-Panzerauftrag. handelsblatt.com 28.06.2023.

[7] Annett Meiritz: USA erwägen Lieferung von Streubomben an die Ukraine. handelsblatt.com 28.06.2023.

[8] Lara Finke: Pistorius in Washington: Antrittsbesuch bei wichtigstem strategischem Partner. bmvg.de 29.06.2023.

[9] S. Deutsch-französische Konflikte

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