Das Metier, das am meisten unter einer symbolistischen Debatte leidet, ist die Kultur. Es ist selbstverständlich, andere Kulturen zu respektieren, zu versuchen, sie aus ihrem historischen Kontext zu verstehen und danach zu trachten, aus diesem Wissen heraus in einen zivilisierten Dialog zu kommen. Und genau dieses Besteck ist den meisten Eiferern nachweislich abhandengekommen.

Eine Gesellschaft, deren Diskurs sich hauptsächlich auf symbolische Handlungen reduzieren lässt, hat ein Problem. Denn sie bewegt sich durch tatsächliches politisches Handeln nicht von der Stelle oder, noch beunruhigender, die tatsächlichen Entscheidungen werden außerhalb der gesellschaftlichen Wahrnehmung getroffen. Ein Beispiel, das den gesellschaftlichen Diskurs immer wieder beflügelt und ungeheure Emotionen freisetzt, ist das Thema der kulturellen Aneignung.

Die allgemeine Definition lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Kulturelle Aneignung, cultural appropriation, ist die Übernahme von Ausdrucksformen oder Artefakten, Geschichte und Wissensformen von Trägern einer anderen Kultur oder Identität.

Bei der Begutachtung der zur Verfügung stehenden Kriterien sind vor allem zwei Felder herauszustreichen, auf denen kulturelle Aneignung stattfindet:

  • die ethische Dimension kultureller Aneignung wird dann thematisiert, wenn es Minderheiten trifft, die sozial, politisch, wirtschaftlich oder militärisch benachteiligt sind und die durch die Adaption lächerlich gemacht oder diskriminiert werden sollen.
  • die kulturelle Identität wird zur Ware gemacht und dadurch trivialisiert.

Betrachtet man die Definition wie die wesentlichen Anwendungsfelder, muss attestiert werden, dass es sich dabei um nichts anderes als einen zivilisierten Umgang zwischen Kulturen handelt. Und es ist nicht anzunehmen, dass das Gros der Bevölkerung sowohl der Definition als auch den wesentlichen Feldern der Empörung widersprechen würde. Denn wer hieße es gut, sich über andere Kulturen lustig zu machen? Ein anderer Fall ist die kommerzielle Verwertung von kulturellen Stereotypen und ihre Mutation zur Ware.

Was auffällt, ist die Konzentration auf den ersten Fall. Da werden die meisten Emotionen mobilisiert, weil dort immer wieder die böse Absicht unterstellt wird. Das Metier, das am meisten unter einer symbolistischen Debatte leidet, ist die Kultur.

Denn nähme man ein Verbot der bloßen Übernahme, egal aus welchem Motiv, ernst, dann gäbe es in den Bereichen Musik, vom Blues und Jazz bis zur Oper, in der Literatur, Joyce ohne Odyssee, um nur ein Beispiel zu nennen, bis hin zur internationalen Küche nichts, was von einem Vergehen gegen einen sektiererischen Purismus (1) freigesprochen werden könnte. Am Ende stünde die Öde, eine Art Purismus, von dem prä-faschistische Fanatiker nur hätten träumen können.

Anders, und das ist das tatsächlich Prekäre, verhält es sich bei der Trivialisierung anderer Kulturen, in dem man sie zur Ware macht. Auf diesem Feld, wo die tatsächliche Schlacht geschlagen werden müsste, gibt es bezeichnenderweise keine nennenswerten Debatten.

Hätten die strahlenden Zeitgeister ein bisschen Marx gelesen, dann wüssten sie, dass das Wesen des Kapitalismus in der Warenproduktion liegt und alles, was zur Ware gemacht werden kann, auch zur Ware gemacht wird. Da spielt die Musik, da blüht das Geschäft. Das Flanieren durch einen deutschen Supermarkt mit der Brille der kulturellen Aneignung würde zu Trunkenheit und Desorientierung führen, bliebe man streng bei der Position, dass alles verbannt werden muss, was kulturelle Identitäten zur Ware macht und sie damit trivialisiert.

Da bleiben auch die temperamentvollsten Sektierer erstaunlich ruhig und verschaffen sich Kompensation, wenn sie gleich Bilderstürmern randalierend durch die Tempel der Kultur rasen und ihre Anklagen durch die Gegend brüllen. Vorm Kapitalismus kuschen und in der Kultur wüten; eine Maxime, die auch bei anderen Themen immer wieder auffällt. Es ist die Empörung von Papiertigern.

Und die, die wiederum vor diesen Papiertigern kuschen, weil sie Angst davor haben, von ihnen gefressen zu werden? Wie soll man sie nennen?

Und denen, die in diesem Spiel so engagiert sind, sei noch eine Rückmeldung gegeben:

Es ist selbstverständlich, andere Kulturen zu respektieren, zu versuchen, sie aus ihrem historischen Kontext zu verstehen und danach zu trachten, aus diesem Wissen heraus in einen zivilisierten Dialog zu kommen. Und genau dieses Besteck ist den meisten Eiferern nachweislich abhandengekommen.

Quellen und Anmerkungen

(1) Der Begriff Purismus bezeichnet eine Geisteshaltung, die nach Reinheit geistiger Schöpfungen, der Motive oder nach Funktionalität strebt. Die Entfernung von und Sicherung vor fremden Elementen in einer Sprache wird als Sprachpurismus bezeichnet.

Der Originalartikel kann hier besucht werden