Die „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) gilt nicht zuletzt seit der Friedensmission in Kasachstan vor knapp einem Jahr als eines der wichtigsten Instrumente Russlands bei der Sicherheitspolitik. Allerdings ist die Kooperation mit Weißrussland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan im Rahmen dieser Militärallianz für die Russen mit zahlreichen Herausforderungen verbunden.

von Alexander Männer

Wie im ersten Teil des Artikel  dargelegt, resultierte die Gründung der „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) in der Auflösung der einstigen Supermacht UdSSR. Für Russland gerieten mit dem Ende des Sowjetstaates zahlreiche sicherheitspolitische Aufgaben in Gefahr. Vor allem wurden die Russen der Möglichkeit beraubt, in mehreren für sie wichtigen Regionen Zentralasiens ihre Militärpräsenz auszuüben. Dank der OVKS ist Russland jedoch in der Lage, fernab von seinem Territorium militärisch agieren zu können.

Die aus russischer Sicht erfolgreiche Partnerschaft mit Weißrussland im Rahmen ihres Union Staates soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zusammenarbeit mit den anderen Ex-Sowjetrepubliken im Rahmen der OVKS mit deutlich mehr Problemen verbunden ist.

Ungleiche Militärstärke der Partner

Ein wichtiger Aspekt, der für die OVKS-Partnerschaft grundlegend charakteristisch ist und eine sorgfältige Herangehensweise erfordert, ist die Ungleichheit zwischen Russland und den anderen Verbündeten bei der Militärstärke. Denn Russland ist seinen Partnern nicht nur ökonomisch weit überlegen, sondern auch gemessen an dem Militärpotential. Wie Experten des russischen Magazins „Russia in global affairs“ darauf hinweisen, bestimme die Kluft bei den militärischen Fähigkeiten zwischen großen Militärmächten und anderen Ländern maßgeblich die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit innerhalb einer Allianz.

In Bezug auf die OVKS betonen sie, dass bestimmte Herausforderungen von den Partnern sehr unterschiedlich wahrgenommen und der Grad einer Bedrohung von ihnen unterschiedlich festgelegt werden könnten. Möglich sei auch, dass den OVKS-Mitgliedern Zweifel bezüglich der russischen Bündnisverpflichtungen aufkommen könnten, denn die russische Armee wäre selbst bei einem möglichen Konflikt mit einem gleichwertigen Gegner auf die direkte militärische Hilfe durch die Verbündeten höchstwahrscheinlich nicht angewiesen.

Dieser Skepsis kann man mit dem 4. Artikel der OVKS-Charta entgegnen, der auch eine militärische Beistandspflicht der Partner vorsieht. Allerdings wird diese offenbar nur je nach geopolitischer Sachlage und der Intressenslage der Bündnispartner als Option in Betracht gezogen, wie einige Konflikte gezeigt haben.

Bei den Grenzkonflikten zwischen Armenien und Aserbaidschan 2021 und 2022 etwa hat die OVKS auf Friedenstruppen und Verhandlungen gesetzt, trotz des bestätigten Eindringens aserbaidschanischer Streitkräfte auf armenisches Territorium. 2021 hatte Russland Soldaten im Rahmen einer Friedensmission in das Grenzgebiet von Aserbaidschan entsandt. Im vergangenen Jahr hat man es geschafft, die Konfliktparteien recht schnell an den Verhandlungstisch zu bringen und die Kampfhandlungen dadurch zu beenden.

Geopolitik als entscheidender Faktor

Einer der Gründe für diese Zurückhaltung der OVKS liegt offensichtlich in den geopolitischen Interessen Russlands. Moskau versucht, sich alle Optionen in dieser Region offenzuhalten, und vermeidet es deshalb, sich für eine Seite zu entscheiden. Zumal seine Beziehungen zu Aserbaidschan, in denen die gegenseitige Achtung von Interessen großgeschrieben wird, den Charakter von strategischer Partnerschaft tragen, wie im Kreml mehrfach betont wurde. Es ist daher verständlich, dass die Russen diese Beziehungen nicht zerstören wollen.

Dieser Umstand stellt für Moskau jedoch ein weiteres Dilemma dar, denn es besteht keine klare Trennung zwischen den Interessen Russlands und denen der anderen Partner in der geopolitischen Lage, in der sich die OVKS befindet.

Für Russland ist die Präsenz in Zentralasien zwar wichtig, weil sich die Möglichkeiten des Landes im Hinblick auf die Kontrolle der dortigen regionalen Prozesse und die Sicherheitslage entlang der russischen Landesgrenze verbessert werden, allerdings sind die beiden genannten Aspekte für Russland als Atommacht und flächenmäßig größtes Land der Erde nicht von entscheidender militärischer Bedeutung.

Dabei gilt zu betonen, dass Russland aufgrund seiner Ausdehnung auf Europa und Asien über einen einzigartigen geopolitischen Vorteil verfügt – es hat den Zugang zu vier Schlüsselregionen in Eurasien: dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten sowie Osteuropa. In Anbetracht dessen kann die OVKS in Zukunft eine große geopolitische Bedeutung erlangen, da der Verantwortungsbereich der Allianz bereits einen Großteil Asiens umfasst.

Gegenwärtig jedoch versucht die OVKS das System der kollektiven Sicherheit in Zentralasien zu stärken, nicht zuletzt wegen der schwierigen Sicherheitslage in Afghanistan, die Tadschikistan und Kirgisistan direkt betrifft. Weiteres Konfliktpotenzial bringt die Expansion der NATO mit sich, die sich in unmittelbarer Nähe des Verantwortungsbereichs der OVKS befindet.

Denn die jeweiligen Regionen im Südkaukasus und in Zentralasien sind für die nationale Sicherheit Russlands einerseits zwar wichtig, andererseits ist der Kreml offensichtlich nicht dazu bereit, etwa bei dem ersten Schusswechsel in einem Grenzkonflikt, der zwischen den postsowjetischen Staaten relativ oft vorkommt, gleich die schnelle Eingreiftruppe zu entsenden.

In diesem Zusammenhang weisen Militärexperten grundsätzlich darauf hin, dass es Großmächten misslingen könnte, die strategischen Bedürfnisse ihrer Bündnispartner mit ihren eigenen nationalen Interessen zu verknüpfen, falls der Charakter einer Allianz in hohem Maße durch die Geopolitik bestimmt wird. Vor allem dann, wenn die geopolitischen Aspekte zu einem dominierenden Faktor innerhalb dieser Beziehungen werden.

So gesehen steht Russland heute mehr denn je vor der Herausforderung, Verantwortung für seine Bündnispartner zu tragen und für Sicherheit in den genannten Regionen zu sorgen. Zugleich sollte es die Kooperation mit anderen Ländern, die nicht Teil der OVKS sind, verstärken und versuchen, sie in sein Sicherheitssystem einzubeziehen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden