Mastodon

Hexenjagd gegen Verteidiger von Menschenrechten in völliger Umkehr der Realität

Dieser Artikel ist auch auf Englisch, Italienisch, Griechisch verfügbar

Hexenjagd gegen Verteidiger von Menschenrechten in völliger Umkehr der Realität
Panagiotis Dimitras (Foto: Social Media)

Wir veröffentlichen die komplette Erklärung der Campaign for Access to Asylum, (Kampagne für Zugang zu Asyl), enthalten in der Anklageschrift gegen Panagiotis Dimitras, einem bekannten Anwalt und Gründungsmitglied der EAPA – der Griechische Beobachtungsstelle zum Abkommen von Helsinki. Dimitras wird beschuldigt, eine “kriminelle Organisation mit dem Ziel gegründet zu haben, Daten von Personen aus Drittstaaten zu erhalten, die versuchen, illegal nach Griechenland zu gelangen, um mit diesen Daten ihre illegale Einreise und Aufenthalt zu ermöglichen, indem er den Behörden ihre vollständigen Daten und ihren genauen Aufenthaltsort im Land genannt hat, um sie so Teil des Asylverfahrens werden zu lassen.“ In einem für die Regierung ungünstigen Kontext besteht nun eindeutig die Notwendigkeit, eine Hexenjagd zu entfesseln, wie die Kampagne behauptet, mit dem Ziel, die öffentliche Meinung auf Personen zu lenken, die damit nichts zu tun haben, und nicht auf die wirklichen Tatsachen der Abschiebung und der Verletzung von Rechten, die an den griechischen Grenzen stattfinden.

Europäische und internationale Menschenrechtsbeobachter verzeichnen systematische und andauernde Klagen von Geflüchteten wegen Pushbacks (die immer illegal sind) an den Grenzen Griechenlands. Diese Klagen sind alltäglich geworden [i]; und doch wird ihnen nicht nachgegangen. Stattdessen geraten die die Menschen und Organisationen, die diese Klagen melden und sich an die entsprechenden Stellen wenden, selber in den Fokus und werden krimineller Handlungen beschuldigt.

In einer beispiellosen Umkehrung der Realität und in einem Kontext systematischer Falschinformation und Propaganda gegen Einzelpersonen und Organisationen der Zivilgesellschaft, wie sie die große Mehrheit der griechischen Medien dominieren, werden ebendiese Personen angeblicher illegaler krimineller Aktivitäten beschuldigt, wenn sie mit dem Ziel, Geflüchtete zu schützen, ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen.

Das jüngste Ziel hierbei ist Panagiotis Dimitras, der seit vielen Jahrzehnten in Griechenland für die Verteidigung von Menschenrechten bekannt ist. Panagiotis Dimitras wird beschuldigt, eine “kriminelle Organisation mit dem Ziel gegründet zu haben, Daten von Personen aus Drittstaaten zu erhalten, die versuchen, illegal nach Griechenland zu gelangen, um mit diesen Daten ihre illegale Einreise und Aufenthalt zu ermöglichen, indem er den Behörden ihre vollständigen Daten und ihren genauen Aufenthaltsort im Land genannt hat, um sie so Teil des Asylverfahrens werden zu lassen.“

Das bedeutet konkret, dass Dimitras am 20.12.2022 zu einem Verhör durch den Untersuchungsrichter von Kos geladen wurde, um zu diesen Anschuldigungen, die als Verbrechen eingestuft werden, Stellung zu nehmen. Die Anklage bezieht sich auf die erschwerenden Umstände, die Handlungen „professionell“ ausgeführt zu haben, „da die Infrastruktur, die er geschaffen hat (namentlich durch die Tätigkeit der griechischen Beobachtungsstelle zum Abkommen von Helsinki), auf die Absicht wiederholter und geschäftsmäßiger Handlungen dieser Art hinweist“.

Der Vorfall, weswegen Panagiotis Dimitras angeklagt wird, betrifft die Einreise eines Asylsuchenden nach Griechenland am 13.07.2021, der beschuldigt wird, Anführer einer kriminellen Vereinigung zu sein. Die einzige illegale Aktivität dieses Asylsuchenden war die Einreise nach Griechenland zusammen mit anderen Passagieren auf einem Boot. Derselbe Asylsuchende war zuvor in einem BBC-Bericht über Pushbacks („Die EU-Staaten führen „Pushbacks“ auf dem Meer bei Asylsuchenden durch“[ii] , zu sehen. Dieser Bericht erschien zufällig am gleichen Tag, dem 13.07.2021, an dem zwei vorhergegangene Pushbacks verurteilt wurden. Einer dieser Pushbacks war gefilmt und am 10.06.2021 auf der Facebookseite der Aegean Boat Report Organisation veröffentlicht worden. Auch diese Organisation prangert fortwährend die Pushbacks in der Ägäis an und ihr Hauptvertreter, Tommy Olsen, wird ebenfalls beschuldigt, Mitglied derselben vermeintlich kriminellen Organisation zu sein.

Der besagte BBC-Bericht wurde weit verbreitet und erhielt große Aufmerksamkeit[iii]. Das veranlasste den Migrationsminister zu reagieren und er erklärte wie üblich die Berichte als frei erfunden[iv] – trotz der Tatsache, dass die Vorhänge auf Video festgehalten wurden. Der Minister berief sich auf die Tatsache, dass viele Fälle vermeintlicher Pushbacks von EU-Behörden untersucht worden waren und in ihren Berichten keine Verletzung europäischen Rechts vermerkt war. Das war jedoch ehe der OLAF Bericht als Resultat einer Untersuchung der Praktiken von Frontex veröffentlicht wurde. Er deckte auf, dass Frontex als europäische Agentur Pushbacks nicht nur tolerierte, sondern sogar an ihnen beteiligt war. Aufgrund des Drucks, der durch diese Enthüllungen entstand, trat der Direktor von Frontex, Fabrice Leggeri, zurück.

Im aktuell vorliegenden Fall handelte Panagiotis Dimitras im Einklang mit den Zielen der seit 1993 bestehenden Organisation, deren Gründungsmitglied er ist[v]. Insbesondere geht es hier um den Schutz der Menschenrechte. Er schickte den griechischen Behörden Informationen über die Anwesenheit von Asylsuchenden auf griechischem Territorium und übermittelte deren Willen nach einem Asylverfahren, d.h. ihrer Schutzansprüche auf Registrierung und die Anwendung legaler Verfahren.

Als Sprecher seiner Organisation überwacht er die Einhaltung von Menschenrechten, indem er mit den entsprechenden UN-Gremien, dem Europarat und der EU zusammenarbeitet. Panagiotis Dimitrasis ist Mitglied des Vorstands des Europäischen Netzwerks zur Durchsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EIN)[vi] , sowie Mitglied der Generalversammlung der Weltorganisation gegen Folter (OMCT).

Hinsichtlich der Pushbacks ist bekannt, dass der Griechische Helsinki Monitor mehrere Beschwerden an die zuständigen Staatsanwälte[viii], den griechischen Ombudsmann [ix] und an die Polizei gerichtet hat. Zweck dieser Beschwerden ist es immer, die jeweiligen Vorkommnisse anzuprangern und die Opfer dieser Pushbacks dabei zu unterstützen, sich an die zuständigen Behörden und Stellen zu wenden.

Das alles wäre nicht von Belang, gäbe es nicht einen allgemeinen Trend, der auf Organisationen, Mitarbeitende und Freiwillige abzielt, die Asylfälle verteidigen, schwere Rechtsverletzungen sowie Pushbacks anprangern oder ganz einfach humanitäre Hilfe leisten. Diese Hexenjagd hat ein allgemeines Klima des Misstrauens geschaffen, dass Angriffe von extrem rassistischen Gruppen befeuert. Ausgedehnte legale Scharmützel gegen ernste und unbegründete Anschuldigungen geben ebenfalls Anlass zur Sorge, wie es schon die UN-Sonderberichterstatterin für die Verteidiger der Menschenrechte bemerkte – im Anschluss an eine Sonderanhörung von zahlreichen Personen, die bereits wegen ähnlicher Vergehen angeklagt wurden oder denen mit einer Anklage gedroht wurde[x].

Die beschriebene feindselige Stimmung wird noch durch jüngste Anschuldigungen gegen Organisationen mit unbekannten Finanzierungsquellen und Verbindungen zu EU-Parlamentsmitgliedern, Lobbyisten und Journalisten verstärkt, „die systematisch im Ausland Darstellungen verbreiten, die gegen unser Land gerichtet sind“[xi], und die so zum allgemeinen Klima des Misstrauens gegen Organisationen beitragen, die seit Jahren legal und ehrlich arbeiten.

Diese Situation – die Schikanierung und Kriminalisierung von Organisationen und Einzelpersonen, die die Menschenrechte verteidigen – bezieht sich nicht nur auf Griechenland, sondern auch auf die zuständigen Institutionen innerhalb der Europäischen Union. Trotz der Enthüllungen bezüglich der Tolerierung wenn nicht sogar der aktiven Teilnahme von Frontex bei wiederholten Pushbacks[xii] bleiben die Institutionen der Europäischen Union stumm. Das trägt zur Verschleierung systematischer Menschenrechtsverletzungen bei, die sich an Europas Grenzen, insbesondere auf der Balkanhalbinsel und der Ägäis ereignen.

Obwohl wir erwartet haben, dass die zuständigen Stellen und Institutionen sowie die Justiz die Beschwerden über aufgedeckte Menschenrechtsverletzungen untersuchen, werden wir stattdessen Zeuge von Anschuldigungen gegen die Menschen und Organisationen, die an den Landesgrenzen aktiv sind. Die Beschuldigten erhalten Berichte und Zeugenaussagen zu Pushbacks gegen Geflüchtete und MigrantInnen, die sie, so wie es ihre Aufgabe ist, öffentlich machen und den zuständigen Behörden vorlegen.

In diesem Sinne, fordern die Campaign for Access to Asylum und die Mitunterzeichner dieser Presseerklärung:

  • Das Ende der Verfolgung derjenigen Personen und Organisationen, die in ihrer Rolle als Verteidiger der Menschenrechte gegen deren Verletzung durch staatliche Behörden und Institutionen handeln.
  • Ein Ende der systematischen Propaganda und Falschinformation bezüglich Personen und Organisationen, die Asylsuchenden, Geflüchteten und generell vulnerablen Personen Schutz bieten.
  • Die Untersuchung aller Vorwürfe hinsichtlich Fälle illegaler Zurückweisungen, die den zuständigen Stellen zugetragen worden sind.
  • Ein Ende der Verletzung fundamentaler Menschenrechte, wie sie sich systematisch an den Grenzen von Griechenland und Europe ereignet.

Mitunterzeichner (in alphabetischer Reihenfolge)

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Anlage: Quellenangaben zur Dokumentation von Zurückweisungen

  • The United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR);[xiii]
  • The International Organisation for Migration (IOM);[xiv]
  • The United Nations Committee on Enforced Disappearances (CED);[xv]
  • The United Nations Committee on the Rights of the Child (CRC);[xvi]
  • The United Nations Human Rights Council;[xvii]
  • The United Nations Working Group on Arbitrary Detention (WGAD);[xviii]
  • The United Nations Special Rapporteur on the human rights of migrants;[xix]
  • The United Nations Special Rapporteur on human rights defenders;[xx]
  • The Council of Europe Commissioner for Human Rights;[xxi]
  • The European Committee for the Prevention of Torture (CPT);[xxii]
  • The Frontex Fundamental Rights Officer (FRO);[xxiii]

[i]Eine Anlage mit den entsprechenden Quellen befindet sich am Ende dieses Dokuments.

[ii]BBC 13/07/2021 “EU countries ‘pushing back’ asylum seekers at sea” (EU-Staaten weisen Asylsuchende auf dem Meer zurück) /verfügbar unter: https://bit.ly/3HLdSe1

[iii]Frankreich 24 13/07/2021 “Greek coastguards hit with new migrant pushback claim” (Erneuter Vorwurf an griechische Küstenwache, Migranten zurückgewiesen zu haben) / verfügbar unter: https://bit.ly/3jhxUmo

[iv]Nauteboriki 13/07/2021 “Mitarakis’ Antwort an die BBC: “Completely unfounded” accusations of illegal repatriations” (Völlig haltlose Anschuldigungen zu illegalen Rückführungen) verfügbar unter: https://bithttps://bit. ly/3YuRdbV/3YuRdbV

[v]https://greekhelsinki.wordpress.com/about/

[vi]https://www.einnetwork.org/structure-governance

[vii]https://www.omct.org/en/who-we-are/governance

[viii]Hinweisend: Racist Crimes Watch 04/05/2021 “Criminal complaint to investigate 147 incidents of illegal, violent, racist refoulement or deportation of 7000+ foreigners during March – December 2020”(Strafanzeige zur Untersuchung von 147 Vorfällen illegaler, gewaltsamer und rassistischer Zurückweisungen oder Abschiebung von mehr als 7000 AusländerInnen zwischen März und Dezember 2020), verfügbar unter: https://bit.ly/3Ywyrkk sowie Racist Crimes Watch 21/07/2021 “200+ illegal refoulement cases of about 10000 foreigners investigated by the Supreme Court Prosecutor’s Office and Citizen’s Advocate following appeals by the EAPC” available at https://bit.ly/3V2BE8d

[ix]Greek Helsinki Monitor 21/04/2021 “Complaint to the Ombudsman calling for the investigation of 147 cases of illegal, violent, racist pushback or deportation of 7000+ foreigners in March-December 2020” available athttps://bit.ly/3G2jfEw

[x]https://srdefenders.org/information/hearing-with-migrants-rights-defenders-in-greece/

[xi]Press release of the Ministry of Migration and Asylum 14/12/2022: “Mitarakis from Parliament: There is an embrace of NGOs with MEPs and journalists who circulate images against our country” available in:https://bit.ly/3W5V9yj

[xii]The Guardian 14/10/2022 “EU border agency accused of serious rights violations in leaked report” available: https://bit.ly/3uXn8UT

[xiii]UNHCR, ‘UNHCR warns of increasing violence and human rights violations at European borders’, 21 February 2022, available at: https://bit.ly/39Md9L4; ‘UNHCR concerned by pushback reports, calls for protection of refugees and asylum-seekers’, 21 August 2020, available at: https://bit.ly/3xNCV9O.

[xiv]IOM, ‘IOM Alarmed over Reports of Pushbacks from Greece at EU Border with Turkey’, 11 June 2020, available at: https://bit.ly/39GXQDi.

[xv]CED, Concluding observations on the report submitted by Greece, CED/C/GRC/CO/1,12 April 2022, paras 28-31, available at: https://bit.ly/3OwtTVh.

[xvi]CRC, ‘Experts of the Committee on the Rights of the Child Ask Greece about Roma Children and Push Backs of Refugees at the Border’, 4 May 2022, available at: https://bit.ly/3xDCsqA.

[xvii]UN Human Rights Council, Report of the Working Group on the Universal Periodic Review: Greece, A/HRC/49/5, 6 January 2022, paras 130.96, 130.202, 130.204, 130.209, 130.214, 130.215, 130.216, 130.223, 130.226, available at:https://bit.ly/3tSxghE.

[xviii]WGAD, Report of visit to Greece,A/HRC/45/16/Add.1, 29 July 2020, paras 87-88, available at: https://bit.ly/3HINxuZ.

[xix]UN Special Rapporteur on the human rights of migrants, available at: https://bit.ly/3QxvbBn.

[xx]UN Special Rapporteur on human rights defenders, ‘Statement on preliminary observations and recommendations following an official visit to Greece’, 22 June 2022, available at: https://bit.ly/3tSwZLB.

[xxi]Council of Europe Commissioner for Human Rights, ‘Greek authorities should investigate allegations of pushbacks and ill-treatment of migrants, ensure an enabling environment for NGOs and improve reception conditions’, 12 May 2021, available at: https://bit.ly/3OclKptStatement of Council of Europe Commissioner for Human Rights, DunjaMijatović 21-10-2021 European states must stand up against pushbacks and the attempt to legalise them available at: https://bit.ly/3BCMifd, Statement of DunjaMijatović, the Council of Europe Commissioner for Human Rights 7 April 2022 Pushed beyond the limits. Urgent action needed to stop pushbacks at Europe’s borders available at: http://bit.ly/3WnsAMd

[xxii]CPT, ‘Council of Europe’s anti-torture Committee calls on Greece to reform its immigration detention system and stop pushbacks’, 19 November 2020, available at: https://bit.ly/39FChmQ.

[xxiii]Frontex, Fundamental Rights Officer Annual Report 2021, June 2022, 7, 14, 39, available at: https://bit.ly/3A1XP7J.

Newsletter

Bitte geben Sie Ihre Emailadresse ein, um unseren täglichen Newsletter zu abonnieren.

Spende

Unterstütze mit einer Spende einen Journalismus für Frieden und Gewaltfreiheit.

Empfohlene Artikel