Dies verlangen die Correctiv-Faktenchecker. Sie protestieren, weil der Sender RT dank Schlupflöchern immer noch zugänglich ist.

Die EU hat den russischen Staatssender RT, früher bekannt als Russia Today, seit März 2022 im Internet gesperrt, ebenso die Webseite Sputnik. Anders als in den Nicht-EU-Ländern Schweiz und Norwegen sind in Deutschland weder RT auf Deutsch noch RT auf Englisch noch Sputnik zugänglich.

Dieser schwere Eingriff in die Informationsfreiheit wird damit gerechtfertigt, dass die Bürgerinnen und Bürger in den EU-Ländern nicht in der Lage seien, Informationen von Propaganda zu unterscheiden.

In der Schweiz ist Russia Today auf Twitter und Facebook zu lesen und zu kommentieren. Die EU dagegen hat RT auch aus den Plattformen Facebook, Instagram, Tiktok, Twitter, YouTube und Telegram in allen EU-Ländern verbannt. Einzig der Fernsehempfang russischer Staatssender via Satellit ist auch in der Schweiz und in Norwegen nicht mehr möglich.

Unter dem Titel «Wie RT die EU-Sanktionen umgeht» empört sich Correctiv, dass RT «digitale Schlupflöcher» benutze und in Deutschland weiterhin «prorussische Inhalte» streuen könne. Den deutschen Behörden sei es «nicht gelungen, sie abzuschalten».

Die Bundesregierung kümmere sich nicht um die Schlupflöcher, moniert Correctiv: Sie verweise auf die Staatsanwaltschaften, weil diese zuständig seien für die Verfolgung von Sanktionsverstössen.

Unzumutbare Propaganda

Correctiv nennt vier Beispiele von Propaganda-Aussagen, die den russischen Angriffskrieg in der Ukraine rechtfertigen sollen, und die trotz der Internet-Sperre in Deutschland zugänglich waren:

«Lawrow: Aufnahmen aus Butscha sind eine antirussische Inszenierung.»

«Dmitri Medwedew: Das Nazi-Regime in der Ukraine muss demontiert werden.»

«Russland beginnt mit dem Befreiungskampf gegen die ukrainische Besatzung.»

«Kremlsprecher Peskow: Drohung der Ukraine mit ‚schmutziger Bombe‘ ist real.»

Correctiv zitiert auch das «Institute for Strategic Dialogue», wonach RT Narrative bediene, welche ukrainische Geflüchtete in ein negatives Licht rücken. Darunter «die angebliche Bevorzugung von Ukrainerinnen und Ukrainern gegenüber anderen Geflüchteten», die «hohen Kosten für ihre Aufnahme» und «Gewalt und Aggression, die von den Geflüchteten ausgehe». Oft seien solche Behauptungen schlicht erfunden.

Kriege sind immer auch Medienkriege. Seit der Invasion der Russen in der Ukraine, gibt es in der Ukraine nur noch einen einzigen, von der Regierung kontrollierten Fernsehsender. Er soll die Bevölkerung für die ukranische Abwehr mobilisieren. Correctiv unterzieht deren Informationen keinem Faktencheck.

Ein Sprecher der EU-Kommission hat die Sperre der RT-Programme gegenüber Correctiv damit gerechtfertigt, dass die Inhalte dieser Sender «eine direkte Bedrohung für die Ordnung und Sicherheit der EU» darstellen würden.

EU-Gerichtshof segnet die Zensur ab

Der französische Ableger RT France focht das Sendeverbot in der EU an. Doch der EU-Gerichtshof (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) lehnte die Klage Ende Juli ab. Die russischen Medien würden einen völkerrechtswidrigen Krieg unterstützen. Dies sei Kriegspropaganda und könne deshalb untersagt werden. Die Beschränkung der Meinungsfreiheit sei in diesem Fall «verhältnismässig».

Dieses Urteil «macht Sinn», meint Correctiv. Die Faktenchecker zitieren trotzdem noch den Schweizer Bundesrat, der im März argumentierte, es sei «wirksamer, unwahren und schädlichen Äusserungen mit Fakten zu begegnen, anstatt sie zu verbieten».

Dieser Meinung sei auch der Medienrechtler Hermann Lindhorst: «Aus meiner Sicht sind diese Dinge gesellschaftlich zu lösen, und nicht über repressive Internetsperren, deren Umgehung ohnehin nicht schwer ist.»

Correctiv ist offensichtlich anderer Ansicht. Die Faktenchecker kritisieren, dass RT auf ihrer Webseite und auch in Newslettern «verschiedene Lösungen anpreist – praxisnah und mit erklärendem Video – um die Sanktionen zu umgehen». So würde RT beispielsweise raten, die Ländersperre via VPN zu umgehen, damit Handys oder Computer virtuell über ein Nicht-EU-Land auf die Inhalte zugreifen können. Die einfachste Lösung, schreibe RT in einem Newsletter, sei jedoch, die sogenannte DNS-Sperre zu umgehen, welche die Webseiten unzugänglich machen.

«Sperren kann man umgehen»

Tatsächlich seien DNS-Sperren wenig effektiv, schreibt Correctiv und zitiert den IT-Experten Jochim Selzer vom Chaos Computer Club: Wer ein Interesse an den Inhalten habe «weiss, wie man diese Sperren mit wenigen Handgriffen umgehen kann». Anleitungen gebe es online zuhauf. Dank der Correctiv-Recherchen habe die Bundesnetzagentur zugeben müssen: «Das Instrument der Mirror-Domains ist eine der Schwachstellen bei DNS-Sperren […] Um Inhalte kontinuierlich zu sperren, ist ein engmaschiges Monitoring notwendig. Ein solches Monitoring wird von der Bundesnetzagentur nicht durchgeführt.»

Zu solchem Knacken von Sperren müssen interessierte Bürgerinnen und Bürger der Schweiz und Norwegens nicht greifen. Sie können die russischen Staatssender und damit die offizielle Darstellung Russlands unzensuriert selber konsultieren. Neben unbewiesenen Behauptungen und Falschmeldungen verbreiten diese Sender auch Tatsachen, über die unsere Medien nicht informieren.

Werbung wird nicht verboten

In Ländern, welche die Informations- und Meinungsfreiheit als hohes Gut betrachten, sollten Bürgerinnen und Bürger genügend aufgeklärt sein, um Propaganda von Tatsachen einigermassen unterscheiden zu können. Es käme niemandem in den Sinn, etwa die Werbung zu verbieten, weil sie – mit raffinierten Tricks und attraktiv aufbereitet – häufig irreführende Informationen verbreitet und nicht selten auch falsche. Man geht davon aus, dass aufgeklärte Konsumentinnen und Konsumenten Werbebotschaften kritisch aufnehmen. Das gleiche gilt für völlig verzerrte und irreführende Behauptungen in Wahl- und Abstimmungskämpfen.

Interessierte Schweizerinnen und Schweizer, Norwegerinnen und Norweger sind in der Lage, auch Informationen von russischen Staatssendern kritisch einzuordnen. Davon jedenfalls sind die Regierungen in Oslo und Bern überzeugt, weshalb sie diese Sender im Internet, auf Facebook und Twitter nicht verbieten.

Von Faktencheckern erwartet man, dass sie helfen, Falschinformationen aller Seiten als solche zu entlarven. Es weckt jedoch Misstrauen, wenn sie sich dafür stark machen, dass die Informations- und Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und mit «Recherchen» Schlupflöcher aufdecken und anprangern.

Correctiv arbeitet künftig im Verbund GADMO mit den nationalen Nachrichtenagenturen Deutsche Presse-Agentur (DPA), Agence France Press (AFP) und Austria Presse Agentur (APA). GADMO wird in den ersten zweieinhalb Jahren von der EU-Kommission finanziell unterstützt und arbeitet mit Forschenden der Technischen Universität Dortmund und des Austrian Institute of Technology AIT zusammen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden