Hier ist der nächste Teil des zweiteiligen Interviews von Pressenza mit der politischen Gefangenen Leila M. de Lima – ehemalige Senatorin, Justizministerin und Vorsitzende der Menschenrechtskommission – geführt von dem Journalisten Perfecto Caparas. De Lima spricht über die Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit in Anbetracht der politischen Dynamik des Landes.

„Die Duterte-Regierung hat uns gezeigt, welche Zerstörungen ein kriminelles Syndikat wie die Davao-Mafia in einem Land und seiner Regierung anrichten kann, sobald es die Macht der Exekutive an sich reißt.“

Leila M. de Lima: Die Gewissensgefangene des "Drogenkriegs"

(Bild): Senatorin Leila de Lima schüttelt Präsident Rodrigo R. Duterte im Plenarsaal der Batasang Pambansa die Hand, wo er am 25. Juli 2016 seine erste Rede zur Lage der Nation hielt.

Perfecto Caparas (PC): Welche Erkenntnisse hast du aus deiner Erfahrung mit der Verhaftung und der langen Inhaftierung in Bezug auf die politische Führung, Kultur und Dynamik des Landes gewonnen?

Leila de Lima (LDL): Die Philippinen sind immer noch ein schwacher Staat. Unabhängig von den Regierungsreformen, die wir während der Aquino-Regierung vorgenommen haben, um die nationalen Institutionen wie das Strafrechtssystem zu stärken, hat sich herausgestellt, dass diese nicht ausreichten – denn sie wurden mit einem Schlag ausgelöscht, als ein autoritärer Präsident die Macht übernahm. Das Amt des Präsidenten ist nach der Verfassung von 1987 immer noch zu mächtig und kann die vermeintlich gleichberechtigten Zweige der Regierung, d.h. den Kongress und die Justiz, leicht kooptieren und untergraben. Wer auch immer Präsident wird, kann fast absolute Macht haben, wenn er will – vor allem, wenn er keine Skrupel hat, gegen das Gesetz und seinen Amtseid zu verstoßen oder Verbrechen zu begehen, wie z. B. das Fälschen von Beweisen, um politische Feinde ins Gefängnis zu bringen, und sogar Mord.

Die Duterte-Regierung hat uns gezeigt, welche Zerstörungen ein kriminelles Syndikat wie die Davao-Mafia in einem Land und seiner Regierung anrichten kann, sobald es die Macht der Exekutive an sich gerissen hat. Sie waren sechs Jahre lang an der Macht und jetzt sehen wir die Folgen der Kultur der Korruption und Kriminalität, die die kriminelle Duterte-Regierung in diesen sechs Jahren eingeführt hat. Unter der Marcos Jr.- Regierung klammern sich diese Leute, mithilfe des Netzwerks von Duterte-Beauftragten in der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) und anderen wichtigen Regierungsämtern, immer noch an die Macht und untergraben dabei die Marcos-Regierung.

Welche besonderen Schwächen und Merkmale der politischen Führung, Dynamik und Kultur des Landes haben deine eigenen Erfahrungen gezeigt?

Unser gesamtes politisches System kann einem kriminellen und autoritären Präsidenten nicht standhalten. Sobald ein Präsident gewählt ist, richten sich alle Machtzentren der Elite wie der Kongress, lokale Regierungsbeamte, die Justiz, die Massenmedien und die Geschäftswelt nach ihm aus, vor allem, wenn dieser Präsident Drohungen und Zwang einsetzt, wie es Duterte bei Politikern und Geschäftsleuten getan hat. Unter Duterte war nur die katholische Kirche in der Lage, seiner Kooptation zu widerstehen. Deshalb war es für Duterte auch ein Leichtes, seinen mörderischen Drogenkrieg ohne Konsequenzen für sich und seine Komplizen durchzusetzen.

Die öffentliche Unterstützung für Dutertes Drogenkrieg zeigt auch, welche Werte die Filipinos haben. Sie geben der persönlichen Sicherheit eindeutig Vorrang vor der Rechtsstaatlichkeit, solange nicht sie selbst die Opfer der PNP und der Todesschwadronen der Bürgerwehr im Drogenkrieg sind. Sie sind ungeduldig gegenüber langwierigen und mühsamen juristischen Lösungen für Kriminalität, auch wenn dies bedeutet, dass ein Krimineller selbst eine Abkürzung durch das Rechtssystem nimmt, indem er eine Kampagne von Schnellhinrichtungen durchführt. Für viele Filipinos bedeutet Gerechtigkeit auch die rasche Beseitigung krimineller Elemente, egal auf welchem juristischen Weg ermittelt wird, wer diese kriminellen Elemente sind. Am Ende seiner Amtszeit war Duterte weiterhin beliebt und erhielt aufgrund der Beseitigung mutmaßlicher krimineller Elemente in den Städten immer noch gute Noten für Frieden und Ordnung. Die Kosten dieses Ersatzjustizsystems für die Gemeinden selbst müssen jedoch erst noch abgerechnet werden, da Angehörige der Opfer immer noch mit der Gewalt zu kämpfen haben, die ihre Häuser und Familien heimgesucht hat.

Duterte hat den Filipinos beigebracht, dass Rechtsstaatlichkeit nichts bedeutet und dass die Philippinen besser dran sind unter einem Diktator, der bereit ist, „zum Wohle der Mehrheit“ unsägliche Verbrechen zu begehen. Es überrascht mich nicht, wenn bis heute viele Filipinos mit Duterte darin einig sind, was dieses Land braucht, und absolut nicht an die Rechtsstaatlichkeit als etwas glauben, das für eine gute Regierungsführung auf den Philippinen unerlässlich ist.

Wie bewertest du die Reaktion der Öffentlichkeit auf deine Verhaftung und Inhaftierung, wenn überhaupt?

Auf eine zynische Art und Weise muss ich Duterte zugute halten, dass er meinen Niedergang inszeniert hat. Als er damit fertig war, war ich in den Augen der Öffentlichkeit völlig zerstört und dämonisiert. Er begann mit der absurden Telenovela der Ermittlungen im Kongress, in der er seine Zeugen vorführte, bei denen es sich meist um verurteilte Kriminelle oder korrupte Beamte handelte. Diese Art von Fernsehdrama aus dem echten Leben kam bei der Öffentlichkeit gut an. Das gipfelte in meiner Verhaftung und Inhaftierung. Zu diesem Zeitpunkt sank mein Ansehen in der Öffentlichkeit auf einen Tiefstand von 10 %, was bedeutet, dass gerade mal etwa 5 Millionen Filipinos noch an meine Integrität und meine Leistungen als Beamter glaubten. Das zeigte sich auch bei den Wahlen 2022, bei denen ich nur 7 Millionen Stimmen erhielt, während ich bei den Wahlen 2016 noch mehr als 14 Millionen bekommen hatte. Ich hätte 2022 mehr als doppelt so viele Stimmen gebraucht, um wieder einen Senatssitz zu gewinnen. Meine grobe Schätzung ist, dass ich nach Dutertes Abwahl die Hälfte meiner Anhänger verloren habe, weil sie wahrscheinlich Dutertes Lügen über mich geglaubt oder an meiner Unschuld gezweifelt haben. Die vorherigen Zahlen habe ich auch nach meinem Freispruch in einem Fall und dem Rückzug von wichtigen Zeugen vor den Wahlen 2022 nicht wieder erreicht.

«Duterte und andere frauenfeindliche Politiker griffen zu schamlosem „Slut Shaming“ (Beschimpfungen als Hure).»

Was reflektiert und zeigt diese öffentliche Reaktion?

Es reicht nicht aus, eine gute öffentliche Bewertung zu haben. Ein Politiker oder eine Politikerin auf den Philippinen muss in erster Linie immer um seine/ihre Popularität kämpfen, um jedes Vernichtungsprojekt gegen ihn/sie zu neutralisieren. Aber angesichts eines Präsidenten, der seine ganze Macht in den Dienst deiner politischen Ermordung stellt, weiß ich nicht, ob irgendjemand das, was mir angetan wurde, mit intakter Popularität und intaktem Vertrauen der Öffentlichkeit hätte überstehen können.

In meinem Fall war das Ausmaß und die Art der Zerstörung ein Novum in der philippinischen Geschichte, angeführt und inszeniert von nicht weniger als zwei Zweigen der Regierung, der Exekutive und dem Kongress. Der gesamte Regierungsapparat wurde gegen mich eingesetzt. Ich wurde in öffentlichen Anhörungen sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat verleumdet. Fast jeden Tag legte es der Präsident darauf an, mich bei seinen Presseauftritten und Interviews aus dem Hinterhalt anzugreifen. Duterte und andere frauenfeindliche Politiker griffen zu schamlosem Slut Shaming. Als ich verhaftet wurde, konnte mir nicht einmal die Justiz helfen, da der Oberste Gerichtshof (mit 9:6 Stimmen) entschied, dass die gefälschten Anklagen gegen mich gültig seien. Ich war im Grunde hilflos gegenüber der Macht und dem Einfluss, den Duterte als Präsident und Autokrat ausübte. Die sozialen Medien wurden mit bösartigen Hasskommentaren über mich überschwemmt. Hinzu kam, dass auch die Mainstream-Medien die Anschuldigungen gegen mich zu Sensationszwecken verbreiteten.

Am Ende war das, was in der Öffentlichkeit nachhallte, meine Schuld in einem öffentlichen Prozess und nicht die schreckliche Hinrichtung von Drogenverdächtigen im Schnellverfahren, die jeden Tag stattfand. Die Bevölkerung glaubte, dass ich ein Drogenboss sei (ich wurde als „Mutter der Drogenbosse“, „Königin des Drogenhandels in Bilibid“ und „führende Drogenpolitikerin des Landes“ bezeichnet), obwohl es überhaupt keine Beweise gab und die Anschuldigungen absurd waren; es war den Menschen egal, ob Duterte ein Massenmörder war, obwohl er öffentlich zugab, die Tötungen angeordnet zu haben. Das ist eine sehr beunruhigende Erkenntnis darüber, wie das philippinische Bewusstsein funktioniert; dass es für einen Präsidenten einfach in Ordnung ist, ohne Prozess zu inhaftieren und zu morden, und dass ein ordentliches Verfahren keine Rolle spielt, solange all dies im Namen der Beseitigung von Kriminellen geschieht – noch bevor sie von einem Gericht für schuldig erklärt werden. Die Rechtsstaatlichkeit hat auf den Philippinen noch einen langen und harten Weg vor sich, vielleicht noch Jahrzehnte.

Übersetzung aus dem Englischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!