Die Expert*innenkommission des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) kritisiert in ihrem ersten Bericht zur Schweiz die aktuelle Definition der Vergewaltigung im Schweizer Strafrecht. Sie begrüsst die laufende Reform des Sexualstrafrechts, warnt aber vor Schwächen der «Nein heisst Nein»-Lösung.

«Der heute veröffentlichten Bericht der Europaratskommission zeigt, dass die derzeitige Definition von Vergewaltigung in der Schweiz problematisch ist und die Anforderungen der Istanbul-Konvention nicht erfüllt. GREVIO anerkennt zwar Verbesserungen durch die geplante Reform, die Expert*innen halten aber die «Nein heisst Nein»-Lösung, für die sich im Juni der Ständerat ausgesprochen hatte, für unzulänglich», sagte Cyrielle Huguenot, Frauenrechtsverantwortlich bei Amnesty Schweiz.

DIE EXPERT*INNEN HALTEN ABER DIE «NEIN HEISST NEIN»-LÖSUNG, FÜR DIE SICH IM JUNI DER STÄNDERAT AUSGESPROCHEN HATTE, FÜR UNZULÄNGLICH» Cyrielle Huguenot, Frauenrechtsverantwortlich bei Amnesty Schweiz

Der erste GREVIO-Evaluationsbericht zur Schweiz enthält eine umfassende Analyse der Umsetzung der Bestimmungen der Istanbul-Konvention des Europarats. Er würdigt die Schritte, die die Schweiz unternommen hat, um die Verpflichtungen des Vertrags zu erfüllen, zeigt aber auch Bereiche auf, in denen weitere Fortschritte erforderlich sind, so bei der heute noch mangelhaften Erhebung von Daten zu sexualisierter und häuslicher Gewalt oder beim ungleichen Zugang zu Beratung und Unterstützung für Betroffene in den Kantonen.

GREVIO bemängelt zudem, dass die Definition der Straftatbestände der Vergewaltigung und des sexuellen Übergriffs als Handlungen «gegen den Willen des Opfers» nicht vollständig im Einklang mit der Istanbul-Konvention sei. Die Expert*innen kritisieren, dass sich dadurch «Strafverfahren immer auf die Handlungen des Opfers, statt auf die des/der Angeklagten konzentrieren werden, was Raum für Geschlechterstereotype und Vergewaltigungsmythen schaffe». Artikel 36 der Istanbul-Konvention verlangt, dass die Zustimmung «freiwillig erteilt werden muss» und alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden.

Auf die Schwächen der «Nein heisst Nein»-Lösung hatte GREVIO bereits in ihrem Bericht vom Oktober zur Situation in Deutschland hingewiesen. Deutschland hatte eine sogenannte «Widerspruchslösung» 2016 im Sexualstrafrecht eingeführt. Damit eine Tat nach deutschem Recht strafbar ist, muss das Opfer seinen ablehnenden Willen äussern. In Fällen, in denen das Opfer passiv bleibt, und somit nicht einwilligt, könnte diese Definition eine Strafverfolgung verhindern, warnt die Expert*innenkommission.

Auch der Uno-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) hatte am 31. Oktober die vom Ständerat favorisierte «Nein heisst Nein-Lösung als «nicht konform mit internationalen Menschenrechtsnormen» kritisiert, da der Straftatbestand der Vergewaltigung damit nicht auf der Grundlage fehlender Zustimmung definiert werde.

Der Nationalrat wird am 5. Dezember über die Revision des Sexualstrafrechts befinden. Amnesty International ruft die Parlamentarier*innen auf, auf die Forderungen von Betroffenen und aus der Schweizer Bevölkerung zu hören und die Empfehlungen des Europarates und der UNO zu berücksichtigen. «Es ist an der Zeit, dass das Parlament eine zeitgemässe Definition von Vergewaltigung annimmt und sich entschlossen hinter die ‘Nur Ja heisst Ja’-Lösung stellt», sagte Cyrielle Huguenot.

In einer laufenden Petition rufen bereits 40’000 Menschen und 50 Organisationen, darunter Amnesty International, Alliance F, Sexuelle Gesundheit Schweiz und Operation Libero, das Parlament auf, die Zustimmungslösung («Nur Ja heisst Ja») im neuen Sexualstrafrecht zu verankern. Die Übergabe der Petition erfolgt kurz vor dem Start der Wintersession, am 21. November, in Bern.

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