Urs P. Gasche für die Onlinezeitung Infosperber

Die Konservativen hätten drei Ziele: «Wachstum, Wachstum, Wachstum», sagte Truss. Das ist ein Rezept des vergangenen Jahrhunderts.

Nach der Rede der britischen Premierministerin Liz Truss vor dem Parteitag der Konservativen in Birmingham äusserten Ökonomen und grosse Medien erhebliche Zweifel, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Truss zum angestrebten Wachstum führe. Im Gegenteil: Sie prognostizieren für 2023 ein geringeres Wachstum des Bruttoinlandprodukts als im laufenden Jahr mit im Moment nominal rund drei Prozent. Der Weltwährungsfonds erwartet für Grossbritannien im nächsten Jahr ein Wachstum von sogar nur 0,5 Prozent (IMF).

Offensichtlich ist es völlig gleichgültig, wie das Wachstum zustande kommt

Das Bruttoinlandprodukt kann nur steigen, wenn mehr konsumiert und investiert wird oder wenn mehr Produkte und Dienstleistungen ins Ausland verkauft werden können. Liz Trust verlor kein Wort darüber, welcher Konsum und welche Exporte denn angekurbelt werden sollen. Es genüge, Steuern zu senken und zu deregulieren (d.h. Vorschriften zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit zu lockern). Dann würde das Wirtschaftswachstum automatisch in Gang gesetzt.

Die Realität sieht anders aus: In den letzten 25 Jahren wurde Wirtschaftswachstum in Grossbritannien und den meisten Industriestaaten weder mit Steuergeschenken noch mit Subventionen noch mit Deregulierung erreicht, sondern fast ausschliesslich auf Pump – mit einer entsprechend noch höheren Verschuldung von Staaten und Privaten. Auch der «Trickle-down»-Effekt ist längst widerlegt (siehe Infosperber und Hoppe/Limberg).

Im Vordergrund aber sollte eine andere Frage stehen: Welcher Mehrkonsum soll denn zu einem Wirtschaftswachstum führen? Das Mantra, dass mehr Wirtschaftswachstum per se gut sei, egal was wächst, ist längst überholt. Zwar könnte eine noch verschwenderischere Wegwerfgesellschaft zu dem von Truss erhofften Wachstum beitragen, aber

  • wenn nur Reiche und Superreiche von Wachstum profitieren, ist Wachstum sozial und politisch gefährlich;
  • wenn noch kurzlebigere Produkte konsumiert, Kleider, Möbel und elektronische Geräte noch schneller weggeworfen werden (müssen), noch mehr tonnenschwere Autos statt kleine gekauft werden usw., dann zerstört Wachstum die Umwelt und ist nicht enkeltauglich.

Das gängige Mantra lautet: Ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum sei nötig, um Armut und Hunger zu beseitigen, Renten zu sichern, genügend Erwerbsarbeit zu schaffen sowie die nötigen Mittel für den Umweltschutz und die Gesundheitsversorgung bereitzustellen. Wäre dies wirklich der Fall, würden wir längst im Paradies leben. Dies gilt ganz besonders für die USA mit dem fünfthöchsten Pro-Kopf-BIP. Der dortigen Bevölkerung müsste es ausgezeichnet gehen. Doch die Realität zeigt, dass in den entwickelten Industriestaaten das weitere Wachstum des Bruttoinlandprodukts BIP untauglich ist, um den allgemeinen Wohlstand zu messen, geschweige denn Glück und Lebensqualität.

Ökonomen, Politiker und Medien sollten aufhören, die Öffentlichkeit mit guten oder schlechten Wachstumszahlen zu betäuben und den Wachstumszielen alles unterzuordnen: die Steuer- und die Sozialpolitik, die Umweltpolitik, das Ausrichten von Subventionen, ja sogar demokratische Rechte. Immer wieder werden vernünftige, auch gesellschaftspolitisch innovative Vorschläge abgeblockt mit dem Argument, sie würden dem Wirtschaftsstandort und dem Wachstum schaden.

Die entwickelten Industriestaaten sollten die Vorstellung begraben, dass 2 Prozent Wachstum besser sei als 1 Prozent oder als 0 Prozent. Es kommt vielmehr darauf an, welcher Konsum denn zugenommen und welcher zurückgegangen ist. Wenn weniger, aber langlebigere Produkte gekauft werden, wenn weniger geflogen und generell weniger Energie verbraucht und verschwendet wird, sind das gute Nachrichten für unseren künftigen Wohlstand – auch wenn deshalb das Bruttoinlandprodukt weniger stark oder gar nicht mehr wächst.

«Radikaler Kurswechsel nötig»

Der Ökonom und Glücksforscher Richard Layard, früher Professor an der London School of Economics, fordert einen radikalen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik: Staaten sollten nicht versuchen, das Wachstum zu steigern, sondern das Glück ihrer Bürger.

Ziel des Wirtschaftens sei nicht, möglichst grossen materiellen Reichtum anzuhäufen, sondern dass

  • sich möglichst viele Menschen zufrieden und glücklich fühlen;
  • möglichst wenig Armut und Elend herrscht.

Um mit seinem Leben zufrieden und glücklich sein zu können, seien einige externe und einige interne Faktoren entscheidend:

  • Externe Faktoren: 1. Persönliche Beziehungen und Freundschaften. 2. Das Klima am Arbeitsplatz. 3. Kontakte beim Einkaufen und in der Freizeit. 4. Das Gefühl, andern Menschen vertrauen zu können. 5. Das Gefühl, in einer gerechten Gesellschaft zu leben und mitbestimmen zu können.
  • Interne Faktoren: Gesundheit, auch psychische Gesundheit. Keine Angstzustände, Depressionen oder Demenz.

Das Regierungsprogramm von Liz Truss mit den drei primären Zielen «growth – growth – growth» gehört ins Repertoire des letzten Jahrhunderts.

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Weiterführende Informationen

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