In ihrem zweiteiligen Interview mit dem Pressenza-Journalisten Perfecto Caparas erzählt die ehemalige Kommissarin der philippinischen Menschenrechtskommission (CHRP) Karen S. Gomez Dumpit, wie die Regierung des ehemaligen Präsidenten Rodrigo Duterte die Menschenrechtskommission (CHR), eine unabhängige Verfassungskommission, unterdrückte. Dies geschah inmitten des Abschlachtens von schätzungsweise 12.000-30.000 Zivilisten durch mutmaßliche Sicherheitskräfte im Namen von Dutertes sogenanntem „Drogenkrieg“.

Die ehemalige Kommissarin Gomez Dumpit hat der philippinischen Regierung 32 Jahre lang gedient, davon 28 Jahre in verschiedenen Positionen, darunter 9 Jahre als erste Direktorin des Kinderrechtszentrums der CHR und von Juni 2015 bis Mai 2022 als Menschenrechtskommissarin. Als Kommissarin war sie für die folgenden Schwerpunktbereiche zuständig: Frauenrechte, Gleichberechtigung der Geschlechter, Rechte älterer Menschen, die Kampagne der Menschenrechtskommission gegen die Todesstrafe und die Förderung von Menschenrechten. Zu ihren programmatischen Neuerungen in der Menschenrechtsarbeit gehören der menschenrechtsbasierte Ansatz in der Gesetzgebung und das bahnbrechende Engagement der Kommission in den Menschenrechtsförderungs- und -schutzmechanismen der Vereinten Nationen (Allgemeine Regelmäßige Überprüfung, Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Übereinkommen über die Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien, Übereinkommen gegen Folter und andere grausame und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung, Übereinkommen über die Rechte des Kindes und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte).

Perfecto Caparas: Sie sind seit fast 29 Jahren in der Menschenrechtskommission tätig, davon fast 7 Jahre als Kommissarin. Was würden Sie als die schwierigsten Menschenrechtsfragen bezeichnen, mit denen Sie sich befasst haben?

Karen Gomez Dumpit: Die letzten 6 Jahre waren wirklich die schwierigsten. Die Verzerrung des Konzepts der Menschenrechte, die Dämonisierung von Menschenrechtsverteidigern und die offensichtliche öffentliche Unterstützung für eine Regierung, die eine Kultur des Tötens in dem Land normalisiert hat. In den ersten 6 Monaten der Duterte-Regierung waren wir fassungslos. Nicht nur wegen des Populismus und der Aufstachelung zum Hass gegen die Menschenrechte und Menschenrechtsverteidiger, sondern auch wegen der scheinbaren Akzeptanz des Ausmaßes und des Tempos der Morde, die die Gräueltaten unter der Militärregierung von Präsident Ferdinand Marcos noch übertrafen. Wir beschäftigten uns mit Fragen wie: Was haben wir falsch gemacht? Wie konnte es so weit kommen? Wie können wir zurückschlagen?

Die Menschenrechtskommission (CHR) unterhält enge Partnerschaften mit verschiedenen Regierungsorganisationen. Seit Jahrzehnten führt die Kommission Menschenrechtsprogramme für die Offiziere und das Personal der philippinischen Streitkräfte und der philippinischen Nationalpolizei durch. Welche Erfolge haben diese Programme gezeitigt?

Zum ersten Mal in über zwei Jahrzehnten Menschenrechtsarbeit wurden wir von unseren Regierungskollegen nicht respektiert. Ich sollte einschränken, dass die Missachtung nicht von allen ausging. Die meisten schwiegen dazu, aber diejenigen, die respektlos waren, waren sozusagen die „lautesten im Raum“ – angeführt von keinem Geringeren als dem [ehemaligen] Präsidenten [Rodrigo Duterte].

Frühere Regierungen waren vielleicht nicht einverstanden mit dem, was wir taten, weil wir die Regierung immer kritisierten. Sie haben mit uns gestritten, waren aber nie respektlos und immer professionell.

Ich erinnere mich, dass ich vor etwa 10 Jahren, als ich meine Menschenrechtskarriere begann, an einer geschlossenen Sitzung mit Regierungsbehörden teilnahm, bei der übermäßig verspätete Berichte über Verträge auf der Tagesordnung standen. Ein hochrangiger Militäroffizier brach in Frustration aus und sagte: „mahalin naman ninyo kami!“ („Liebe uns!“) – ich erinnere mich, seinen Schmerz gespürt zu haben. Ich kann mich nur vage daran erinnern, was ihn dazu veranlasste, dies zu sagen, aber wahrscheinlich habe ich ihn auf bestimmte Praktiken hingewiesen, die nicht mit den geltenden Menschenrechtsstandards vereinbar waren. Ich spürte ehrlich seine Aufrichtigkeit, und er war wahrscheinlich ein sehr aufrechter Offizier und ein Gentleman. Er hat nicht geflucht, und ich fühlte mich nicht respektlos behandelt, als er das sagte. Ich war damals mittlerere Managerin in der Kommission und erkannte, dass einige Regierungsbeamte die Rolle der nationalen Menschenrechtsinstitutionen nicht zu schätzen wussten.

Rote Markierung

Wenn ich zurückblicke, was hätte ich meinem Ich in den Dreißigern gesagt, wie ich reagieren sollte? Mehr Einfühlungsvermögen? Vielleicht ja. Wenn die Institution mehr Einfühlungsvermögen gegenüber staatlichen Akteuren gezeigt hätte (ohne dabei unseren Fokus als Beobachter zu verlieren), hätte sich das Ganze nicht zu einem Hassmob gegen die Menschenrechtsgemeinschaft als Ganzes ausgeweitet, denn der Hagelsturm gegen die Menschenrechtskommission (CHR) (ich erinnere mich an Hashtags wie #CHRiminals und #AbolishCHR) ist noch nicht lange her. Die Botschaften wären nuancierter gewesen, um ein tieferes Verständnis der Menschenrechte und der Arbeit der Menschenrechtskommission und der Menschenrechtsverteidiger zu erreichen. Stattdessen wurde die Verzerrung von Menschenrechtskonzepten und die Dämonisierung von Menschenrechtsverteidigern zum „In“-Thema. Wir haben uns damals sogar das Abzeichen der am meisten geschmähten Regierungsbehörde verdient.

Pariah

Sie dachten, weil wir Teil der Bürokratie sind, sollten wir immer auf die Linie der Regierung einschwenken. Und natürlich ist diese Ansicht einfach falsch. Die Menschenrechtskommission ist eine unabhängige Kontrollinstanz der Regierung. Aber als dann das höchste Amt den Hass gegen die Menschenrechte schürte, war es ein perfekter Sturm, mit dem wir uns auseinandersetzen mussten. Der Teppich wurde uns unter den Füßen weggezogen, wir wurden als Paria hingestellt – Regierungsbeamte vermieden Treffen im Büro, vor allem zu Beginn, weil sie den [damaligen] Präsidenten [Duterte] nicht verärgern wollten, der die Menschenrechtskommission und ihren Vorsitzenden Chito Gascon offen beleidigte. Wir wurden sogar von einer Menschenrechtsveranstaltung des Kongresses im ersten Jahr der Duterte-Regierung ausgeladen und zum ersten Mal seit unserer Gründung im Jahr 1987 nicht zur Rede zur Lage der Nation (SONA) eingeladen. Zu den folgenden Menschenrechtsveranstaltungen und SONAs wurden wir nie eingeladen. Der Ausschluss von vermeintlichen Feinden war die Vorgehensweise der letzten Regierung.

Doch zum Glück haben wir in Programme und Partnerschaften auf den technischen Ebenen der Regierung investiert, die ein Fenster für Gespräche offen ließen. Dieses Fenster war zwar offen, aber der Austausch fand oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil die Beamten darauf bedacht waren, nicht mit der Menschenrechtskommission gesehen zu werden.

Harte Gespräche

Ein formeller Mechanismus für den Austausch sind die Dialogsitzungen auf Gemeindeebene über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte zwischen den philippinischen Streitkräften und der philippinischen Nationalpolizei sowie Organisationen der Zivilgesellschaft und lokalen Gemeinschaften (Community-based Dialogue Sessions on Human Rights Promotion and Protection between the Armed Forces of the Philippines and the Philippine National Police, and Civil Society Organizations and Local Communities).

Seit 2008 arbeiten das Menschenrechtsbüro der philippinischen Streitkräfte (AFP HRO), das Menschenrechtsbüro der philippinischen Polizei (PNP HRAO), die Menschenrechtskommission (CHR), die Philippinische Allianz der Menschenrechtsverteidiger (PAHRA), die Alternative Anwaltsgruppen (ALG) und die Hanns-Seidel-Stiftung (HSF) aus Deutschland zusammen. Wie der Titel schon andeutet, handelt es sich um einen Ort für intensive Gespräche über Menschenrechtssituationen. Die Zusammenarbeit umfasste lokale Situationsberater, die Erstellung von Menschenrechtsmodulen zu Beschwerdemechanismen innerhalb der Militär- und Polizeiorganisationen sowie Themen, die nicht nur bürgerliche und politische Rechte, sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfassten. Im Rahmen des Projekts wurden auch die „Top Level Policy Dialogues“ entwickelt, die Diskussionen über die Regierungspolitik anregten, die die Einhaltung von Menschenrechtsstandards auf Gemeindeebene verbessern. In diesem Projekt gab es Höhen und Tiefen, vor allem in den letzten sechs Jahren. Es gab Sitzungen, die damit endeten, dass man sich einig war, nicht übereinzustimmen, aber wichtig ist, dass es eine Kommunikationsebene gibt und dass die Menschenrechtskommission in der Lage war, Brücken zwischen dem Sicherheitssektor und der Zivilgesellschaft zu bauen.

Informationen zu diesem Programm sind unter diesem Link zu finden:  https://southeastasia.hss.de/philippines/our-work-in-the-philippines/community-based-dialogue-sessions-on-human-rights-promotion-and-protection/

Angesichts des Ausmaßes der gezielten Tötungen von schätzungsweise 12.000 bis 30.000 Zivilisten im Zuge von Präsident Dutertes so genanntem „Krieg gegen die Drogen“, so die Schätzung der Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs, wie beurteilen Sie die Wirksamkeit der Menschenrechtserziehung als Ansatz zur Förderung der Rolle von Polizei und Militär bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte? Ist Menschenrechtserziehung ausreichend?

Menschenrechtserziehung allein kann Menschenrechtsverletzungen nicht beseitigen. Aber vielleicht können wir das einschränken, denn Menschenrechtsbildung gibt es in vielen Formen. Sie kann formell und informell sein, mit verschiedenen Methoden für den leitfadengestützten, praxisorientierten, altersgerechten Wissensaustausch. Sogar die Plattformen für die Vermittlung von Menschenrechten wurden erweitert – wir haben die sozialen Medien genutzt und in strategische Kommunikation investiert, um sicherzustellen, dass wir die richtige Botschaft über Menschenrechte vermitteln und auf Fake News mit Fakten reagieren.

Der Grund, warum diese Todesfälle auf den Drogenkrieg der Vorgängerregierung und andere Menschenrechtsverletzungen während der Duterte-Regierung folgten, liegt in der falschen Aufklärung und den falschen Verurteilungen durch die höchsten Behörden, die bis zur Basis durchgedrungen sind.

Verpasste Chance

Führung und Sprache sind wichtig. Wir haben viele lehrreiche Momente in nicht untersuchten Vorgängen verpasst, die das Handeln von Polizeibeamten und Beteiligten auf lokaler Regierungsebene hätten korrigieren können. Die beim Obersten Gerichtshof eingereichten Petitionen zur Verfassungsmäßigkeit von „Tokhang“ (dem Slang für den „Krieg gegen Drogen“) – denn jeder einzelne Tag, an dem das höchste Gericht nicht auf anhängige Anträge reagiert, die Regierung möge den Petenten Informationen in der richtigen Form zur Verfügung stellen, ist eine verpasste Gelegenheit, über den Vorrang des Rechts auf Leben und die Verpflichtung der staatlichen Behörden, dieses Recht zu respektieren, zu fördern und zu erfüllen, zu lehren. Es sind keine Fälle bekannt geworden.

Exhumiert

Soweit ich mich erinnere, kann die Regierung nicht einmal einen einzigen Fall erfolgreicher Strafverfolgung anführen – nicht einmal den Fall des 17-jährigen Kian de los Santos, denn dieser ist immer noch in der Berufung, und obwohl die Familie die Unterstützung der Regierung und den Zeugenschutz Tage nach der außergerichtlichen Ermordung ihres Verwandten akzeptierte, wurde der Gerechtigkeit nicht Genüge getan. Die sterblichen Überreste von Kian wurden erst neulich vom öffentlichen Friedhof exhumiert, weil der Pachtvertrag für das Grab nach fünf Jahren bereits abgelaufen war. Auch die Toten kommen nicht zur Ruhe. Sein Tod und der anderer, die in dem nicht zu gewinnenden Drogenkrieg getötet wurden, sind wie offene, blutende Wunden in den Herzen der Familienmitglieder, die durch diesen brutalen Feldzug, dem hauptsächlich die Armen zum Opfer fielen, zu Waisen wurden.

Gibt es weitere institutionelle Mechanismen, die eingeführt werden müssen, um sicherzustellen, dass der Staat seiner Verpflichtung zur Achtung, zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte nachkommt?

Einfach ausgedrückt: Straflosigkeit ermöglicht Menschenrechtsverletzungen. Der beste Mechanismus, mit dem der Staat seinen Verpflichtungen gegenüber den Menschenrechten nachkommt, besteht darin, den Opfern und ihren Familien Zugang zur Justiz zu verschaffen. Die Kontrolle und das Gleichgewicht in der Regierung müssen wiederhergestellt werden.

Wir blicken auf die letzte Bastion der Demokratie – die Justiz, die für Kontrolle und Ausgleich sorgt. Damit dies geschehen kann, brauchen wir richterlichen Aktivismus. Es wäre gut, das nachzuahmen, was unter der Führung des Obersten Richters Reynato Puno geschah, als die EJKs während der Regierung von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo auf dem Vormarsch waren. Der Oberste Gerichtshof reagierte darauf mit der Durchführung des ersten Gipfels über außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen, der im Juli 2007 stattfand. Auf dieser Konferenz kamen alle Regierungsstellen, einschließlich der verfassungsmäßigen Aufsichtsorgane, zusammen und erörterten Möglichkeiten zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Lande. Kurz darauf wurden unter der Leitung des Obersten Richters Puno und des stellvertretenden Richters Adolf Azcuna die bahnbrechenden Bestimmungen zu den Rechtsmitteln Amparo und Habeas Data verkündet.

Menschenrechtsinstitut

Bevor wir im Mai letzten Jahres unsere Amtszeit beendeten, haben wir das Menschenrechtsinstitut (HRI) gegründet, um unsere Bildungs-, Schulungs- und Lernprogramme zu verstärken. Das Menschenrechtsinstitut ist eine langjährige Vision früherer Kommissionsmitglieder, die sicherstellen wollten, dass Bildung für die Menschen zugänglich gemacht wird und dass Regierungsmitarbeiter ihre Rolle als Hauptverantwortliche für die Erfüllung der Menschenrechtsverpflichtungen besser verstehen. Das Menschenrechtsinstitut soll auch den Geschichtsrevisionismus bekämpfen und eine Schnittstelle für solide Menschenrechtsbildungsprogramme mit anderen Menschenrechtsinstitutionen bilden.

Schiefes Budget

Leider hat Präsident Duterte sein Veto gegen die Sonderbestimmung in den allgemeinen Haushaltsmitteln eingelegt und sich dabei auf technische Probleme im Haushaltsverfahren berufen. Trotz dieses Vetos wurden der Nationale Task Force zur Beendigung lokaler kommunistischer bewaffneter Konflikte (NTF-ELCAC) im Haushaltsgesetz 2022 satte 17 Milliarden Pesos (~302 Millionen Euro) zugewiesen. Bei der NTF-ELCAC handelt es sich nicht einmal um eine nationale Behörde, sondern um einen behördenübergreifenden Ausschuss, der dafür bekannt ist, dass er für die massive Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern, Persönlichkeiten und Privatpersonen, die die Regierung kritisiert haben, verantwortlich ist. Andererseits beträgt das Budget der Menschenrechtskommission nicht einmal 6 % des Budgets der NTF ELCAC.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Nützliche Links für mehr Informationen über außergerichtliche Tötungen und den „Krieg gegen Drogen“:
https://www.rappler.com/nation/interview-chr-commissioner-karen-dumpit-did-doj-mislead-drug-war-review/

Informatonen zum Menschenrechtsinstitut der CHR:
https://www.philstar.com/headlines/2021/12/10/2147070/chrs-human-rights-institute-teach-how-rights-can-help-address-worlds-problems
https://chr.gov.ph/statement-of-chr-focal-commissioner-on-human-rights-promotion-karen-s-gomez-dumpit-on-the-presidents-veto-of-the-budget-for-the-establishment-of-the-human-rights-institute/