Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Am 7. September 2022 findet in Berlin eine internationale Konferenz zu den Geschlechterungerechtigkeiten in der Welt statt. Wo die Probleme sind, welche Lösungswege v.a. die nordischen Länder aufzeigen und wie die Solidaritätsbewegung HeForShe für mehr Gerechtigkeit eintritt, wird in der hochkarätig besetzten Konferenz diskutiert.

Verantwortliche der Veranstaltung sind UN Women Deutschland e.V., die International Labour Organization und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Vorab konnte ich mit Bettina Jahn, Referentin für Kommunikation und Bildung bei UN Women Deutschland, über die zukunftsweisenden Gedanken der Konferenz sprechen.

Liebe Frau Jahn, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview nehmen. Können Sie im Vorfeld bitte ein paar Worte über UN Women Deutschland sagen?

UN Women Deutschland ist ein gemeinnütziger Verein und eines von weltweit 12 Nationalen Komitees, die auf Länderebene die Arbeit der UN-Behörde „UN Women“ zur Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung von Frauen durch Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising unterstützen. Dazu gehört auch, die weltweite HeForShe Bewegung in Deutschland voranzubringen.

Themen der anstehenden Konferenz sind insbesondere der Care Gap und der Pay Gap. Wie definieren Sie diese Begriffe?

Der Gender Care Gap beschreibt die ungleich verteilte Sorgearbeit – Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege – zwischen den Geschlechtern. Frauen leisteten in Deutschland vor der Pandemie 52 Prozent mehr dieser unbezahlten und häufig unsichtbaren Arbeit als Männer, also anderthalb Mal so viel. Die Corona-Pandemie hat diesen Wert noch erhöht. Bei den 34-Jährigen sind es sogar rund 111 Prozent. Der Gender Care Gap wirkt sich negativ auf die Bildungschancen, die gesellschaftliche Teilhabe, die Gesundheit und das Einkommen von Frauen aus.

Eng damit verknüpft ist also der Gender Pay Gap, die geschlechtsspezifische Einkommenslücke. Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst erwerbstätiger Frauen in Deutschland war 2021 um 18% geringer als der von erwerbstätigen Männern; damit stehen wir im europäischen Vergleich besonders schlecht da. Die Einkommenslücke hat Auswirkungen auf das Lebenseinkommen und die Rente, weshalb Frauen etwa sehr viel häufiger unter Altersarmut leiden. In den vergangenen Jahren hat sich der Gender Pay Gap nur sehr langsam verringert.

Ein Teil dieser Lohnlücke lässt sich auf strukturelle Unterschiede zurückführen. Zum Beispiel arbeiten viele Frauen in Berufen, die schlechter bezahlt sind, sie arbeiten seltener in Führungspositionen und häufiger in Teilzeit oder in Minijobs. Es ergibt sich ein Teufelskreis aus geringerer Bezahlung, hoher Teilzeitquote, Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und im Steuer- und Sozialrecht sowie der ungleich verteilten unbezahlten Sorgearbeit. Die Schließung der Lohnlücke ist ohne die Schließung der Sorgearbeitslücke nicht denkbar.

In welchen anderen Bereichen ist die strukturelle Ungleichheit der Geschlechter besonders präsent?

In Deutschland sind Frauen auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene weiter unterrepräsentiert. Um nur ein paar Zahlen zu nennen: 90 Prozent der Bürgermeister*innen sind männlich; im aktuellen Bundestag sind nur gut ein Drittel der Abgeordneten Frauen; in zwei Drittel der 100 größten Familienunternehmen ist keine einzige Frau in der Geschäftsführung vertreten; drei Viertel der Professuren in Deutschland sind von Männern besetzt. Bei der Produktentwicklung und in der Medizin sind Männer weiterhin die Norm und das kann für Frauen lebensgefährlich werden, wenn beispielsweise ein Herzinfarkt nicht erkannt wird oder der Sicherheitsgurt im Auto nicht optimal schützt.

Wir sind tagtäglich von stereotypen Darstellungen von Geschlechterrollen und Sexismus umgeben, etwa in der Werbung. Diskriminierung und Ungleichheit zeigt sich besonders hart leider auch in der sexualisierten und körperlichen Gewalt gegen Frauen. Mindestens jede vierte Frau in Deutschland erlebt häusliche Gewalt. Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin.

Was würden Sie Frauen entgegnen, die sich nicht ungerecht behandelt fühlen?

Zunächst einmal ist es schön für diese Frauen, wenn sie individuell keine Diskriminierung erfahren bzw. diese nicht spüren. Statistiken, Zahlen und die bittere Wirklichkeit vieler anderer Frauen zeigen aber, dass Gleichstellung in Deutschland längst nicht erreicht ist. Gerne argumentiere ich mit Beispielen und Fakten, wie ich sie bereits in der vorigen Antwort genannt habe. Wichtig ist außerdem klarzustellen, dass das Geschlecht nur eine von vielen Diskriminierungsformen ist; auch zum Beispiel rassistische Gründe, eine Behinderung, die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität, das Alter, der Bildungsstand oder die soziale und geografische Herkunft können zu Unterdrückung und Ungleichbehandlung führen. Wenn sich die oben genannten Frauen nicht ungerecht behandelt fühlen, hat das vielleicht auch damit zu tun, dass sie innerhalb ihres Geschlechts privilegiert sind.

Was genau ist die HeForShe Bewegung?

HeForShe ist eine weltweite Solidaritätsbewegung von UN Women, die alle Menschen – und insbesondere auch Männer – dazu einlädt, sich für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen. Die Grundgedanken sind erstens, dass alle Menschen ein Recht auf faire Verwirklichungschancen haben. Und zweitens, dass alle Menschen davon profitieren, wenn sie frei von Geschlechterstereotype und Rollenerwartungen leben können. Millionen von Menschen weltweit haben sich der Bewegung bereits angeschlossen, darunter viele Prominente und Politiker*innen. In Deutschland arbeiten wir mit sechs ehrenamtlichen HeForShe Deutschland Botschaftern zusammen, die ihren Einsatz für Gleichstellung in die Öffentlichkeit tragen.

Wenn wir wollen, dass Frauen und nicht-binäre Menschen die gleichen Verwirklichungschancen haben, müssen Männer ihre Privilegien, ihre gewohnten und erlernten Verhaltensweisen und die ihnen zugeschriebenen Rollen in der Gesellschaft reflektieren und in Frage stellen. Und das kann für die Männer selbst eine befreiende Wirkung haben.

Wollen Sie uns einen kleinen Spoiler geben, was die nordischen Länder beim Thema Equal Care und Equal Pay richtig machen?

In den nordischen Ländern sind Frauen öfter erwerbstätig als in Deutschland und die Lohnlücke gegenüber Männern fällt oft deutlich geringer aus. Der Stellenwert der Frau und ihrer Arbeit scheint gesellschaftlich, politisch und sozial anders bewertet zu werden als in Deutschland. Das spiegelt sich auch in einer entsprechenden Gesetzgebung wider. In Island beispielsweise sind Unternehmen seit 2018 dazu verpflichtet, der Regierung einen Nachweis über die gleiche Bezahlung zu erbringen. Damit ist Island das erste Land der Welt, das Ungleichbezahlung per Gesetz verbietet. Diesem Gesetz waren jahrelange Kämpfe der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften vorausgegangen – Aktivismus lohnt sich also. Und nach einer Anpassung der gesetzlichen Elternzeitregelung im Jahr 2000 gehen inzwischen neun von zehn Vätern in Elternzeit (zum Vergleich: in Deutschland sind es etwa 40 Prozent, die meisten davon nehmen lediglich 2 Monate Elternzeit).

Was müsste sich in Ihren Augen in Deutschland so schnell wie möglich ändern, um gleiches Recht und gleiche Entlohnung für alle Geschlechter zu realisieren?

Um es nochmal zu wiederholen: Die Schließung der Lohnlücke ist ohne die Schließung der Sorgearbeitslücke nicht denkbar. Wir fordern von der Politik, dass die vielbeschworene Vereinbarkeit von Beruf und Familie endlich Wirklichkeit wird. In Deutschland wird bisher das Ein-Ernährer-Modell steuerrechtlich und gesellschaftlich unterstützt, da muss ein Umdenken einsetzen. Das Ehegattensplitting, das die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen fördert, muss dringend abgeschafft und eine Kindergrundsicherung eingeführt werden. Wir brauchen eine partnerschaftlich ausgestaltete Familienarbeitszeit mit Lohnersatzleistung für Eltern und pflegende Angehörige, mehr Anreize für Väter, Elternzeit zu nehmen, sowie flächendeckend kostenlose, qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. Und natürlich muss die unbezahlte und bezahlte Sorgearbeit (etwa Pflegeberufe) finanziell und gesellschaftlich aufgewertet werden. Das Entgelttransparenzgesetz sollte nach isländischem Vorbild zu einem Entgeltgleichheitsgesetz weiterentwickelt werden und ein neuer Mindestlohn sollte (Alters-)Armut verhindern. Am Ende müssen alle an einem Strang ziehen: Wir erreichen Gleichstellung nur, wenn alle Geschlechter daran mitarbeiten – HeForShe eben.

Vielen Dank für Ihre Antworten, Frau Jahn.