Mit dem Beginn der russischen Intervention in der Ukraine hat der Westen Kiew seine militär-technische Unterstützung zugesichert und begann praktisch sofort damit, massenhaft Waffen in das Krisenland zu exportieren. Seitdem wurde westliches Kriegsgerät im Wert mehreren Milliarden Euro an die Ukrainer übergeben. Dies könnte sich allerdings zu einem immensen Problem für Europa entwickeln, falls die gelieferten Waffen illegal in die europäischen Länder gelangen und die dortige Sicherheitslage gefährden würden.

Von Alexander Männer

Das Problem mit illegalen Waffen in und rund um die Ukraine ist nicht neu. Die ehemalige Sowjetrepublik gilt seit 2014 als ein Bürgerkriegsland, in dem mit einer Vielzahl von verschiedenen tödlichen und komplexen Waffensystemen gekämpft wurde. Nach den zahlreichen Misserfolgen der ukrainischen Armee im Krieg gegen die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurde die Führung in Kiew jahrelang aktiv von den USA und anderen NATO-Mitgliedern massiv aufgerüstet und praktisch mit Lieferungen von Kriegsgerät in Milliardenhöhe eingedeckt. Insbesondere zwischen dem Ende des vergangenen Jahres und vor dem Beginn der russischen Militärintervention haben westliche Staaten zusätzlich eine Vielzahl von Waffen  in die Ukraine geliefert.

Mit dem Beginn des Krieges am 24. Februar hat der Westen Kiew seine militär-technische Unterstützung zugesichert und begann wenig später damit, massenhaft Waffen in das Krisenland zu exportieren. In den vergangegen drei Monaten wurde westliches Kriegsgerät im Wert von mehreren Milliarden Euro an die Ukraine übergeben.

Dieses Vorgehen könnte sich allerdings als ein weitreichender Fehler herausstellen und sich künftig zu einem immensen Problem für Europa entwickeln. Denn die gelieferten Waffen könnten illegal in die europäischen Länder gelangen und die dortige Sicherheitssituation verschlimmern.

Davor haben auch diverse Experten lange gewarnt. Wenn nämlich Waffenlieferungen in die Ukraine ohne weitere Kontrolle über den Einsatz dieser Waffen von statten gehen, dann würde das zu großen Problemen führen, und zwar nicht unbedingt nur in der Ukraine.

Die Rede ist nicht von schweren Waffen wie Panzern, sondern von tragbaren, jedoch nicht weniger tödlichen Systemen wie Luftabwehr- oder Panzerabwehrraketen sowie Kamikaze-Drohnen. Diese können im Gegensatz zu Haubitzen oder gepanzerten Fahrzeugen ohne großen Aufwand nach Europa geschleust werden.

Europol und Interpol schlagen Alarm

Offenbar hat man solche Gefahren inzwischen auch in der Europäischen Union erkannt, wo sogar erhebliche Sicherheitsbedenken über rigorose Waffenlieferungen existieren. Anfang Juni hatte die europäische Polizeibehörde Europol als erster große Einrichtung davor gewarnt, dass die Waffen aus der EU an die Ukraine langfristig in falsche Hände geraten könnten.

Wie die Europol-Direktorin Catherine De Bolle diesbezüglich der „Welt am Sonntag“ mitgeteilt hatte, müsse eine Situation wie vor 30 Jahren im Jugoslawienkrieg verhindert werden und deshalb plane man, eine internationale Arbeitsgruppe einzurichten, um Strategien dagegen zu entwickeln, so De Boelle.

Damals waren unzählige Waffen aus dem Konfliktgebiet auf dem Balkan illegal in andere europäische Länder gegangen und viele dieser Waffen werden „auch noch heute von kriminellen Gruppen genutzt“.

Wichtig anzumerken ist, dass die ehemaligen Konfliktparteien deutlich weniger Waffen erhalten hatten, als die heutige Ukraine, und dass einige Regionen des ehemaligen Jugoslawiens nach Angaben von Sicherheitsbehörden europäischer Staaten nach wie vor wichtige Waffenlieferanten für die europäische Kriminalität seien.

Angesichts dessen ist es nicht übberaschend, dass auch die internationale Kriminalbehörde Interpol die Gefahr einer Zunahme des illegalen Waffenhandels wegen des Ukraine-Krieges sieht. So prognostizierte Interpol-Chef Jürgen Stock laut einem Artikel der britischen Zeitung „The Guardian“, dass die in das osteuropäische Krisengebiet gelieferten Waffen in der globalen Schattenwirtschaft und in den Händen von Kriminellen landen könnten.

Ähnliche Entwicklungsmuster hätte man schon in Teilen Afrikas und in der Balkan-Region beobachten können, heißt es. Dort hätten organisierte Verbrecher die unübersichtliche Lage und die hohe Verfügbarkeit von Waffen versucht auszunutzen.

Stock meint, dass Kleinwaffen aktuell die Hauptsorge seien. Deshalb forderte er die 195 Mitgliedsstaaten von Interpol zu einer intensiven Nutzung verfügbarer Datenbanken auf, die beim Aufspüren von Waffen helfen könnten, die etwa in einem anderen Land gestohlen worden seien.

Umgang mit Kriegsgerät in der Ukraine

Ein Aspekt, der die Befürchtungen der Europäer bestärkt, ist der Umstand, dass die Ukraine bereits in Folge des seit 2014 geführten Bürgerkrieges im Donbass sich unter anderem in einen Umschlagplatz für Waffenhandel verwandelt hatte. In der Ukraine selbst haben die unzähligen Waffen, die sich damals plötzlich in den Händen von vielen Bürgern befanden und unkontrolliert den Besitzer wechseln konnten, zu blutigen Auseinandersetzungen geführt. Jahrelang galt die ehemalige Sowjetrepublik als Lieferant von Waffen und militärischer Ausrüstung auf dem internationalen Schwarzmarkt.

Gegenwärtig gibt es noch andere Gründe dafür, dass die rigorosen Waffenlieferungen aus westlichen Ländern in der aktuellen Situation langfristig nicht nur in der Ukraine, sondern auch in europäischen Ländern Probleme verursachen könnten.

Ein Hauptgrund ist, dass die ukrainische Führung nach der russischen Invasion beschlossen hatte, Waffen teilweise unkontrolliert in der Bevölkerung zu verteilen. Allein in Kiew sollen nach Medienagaben Ende Februar mehr als 25.000 Schusswaffen an Bürger ausgegeben worden sein. Dies hatte unter anderem dazu geführt, dass kriminelle Banden im Grunde mitbewaffnet wurden. Als Folge hat man heute in den meisten Fällen einfach keine Möglichkeit zu bestimmen, wohin diese Waffen letztendlich gegangen sind.

Aber auch die kontrollierte Bewaffnung von regulären Streitkräften, freiwilligen Kampfgruppen und anderen Einheiten in der Ukraine ist durchaus fragwürdig, weil Teile der ukrainischen Verteidigungskräfte nicht gerade viel Vertrauen einflössen. Unter denen, die im Zuge der Kampfhandlungen Schusswaffen und andere Waffensysteme von dem ukrainischen Verteidigungsministerium erhalten haben, befinden sich offenbar Mitglieder von Banden, nationalistische Organisationen und andere kriminelle Elemente. Ein Beleg dafür ist die grassierende Kriminalität, die in der Ukraine nach der Verteilung von Waffen eingesetzt hatte.

Darüber hinaus gibt es Hinweise dafür, dass eine Großzahl von Schusswaffen und  tragbaren Waffensystemen entweder aus Armeebeständen entwendet worden ist oder im Kriegsgebiet einfach „verschwand“. Dies könnte damit zusammenhängen, dass ein Teil des vom Westen gelieferten Kriegsgeräts im Internet cdm Anschein nach weiterverkauft werden soll. Dem Portal Blick zufolge sollen einige der für die Ukraine bestimmte Waffen bereits im Darknet aufgetaucht sein. Die Rede ist von Panzerabwehrraketen, automatischen Waffen, Munition, Drohnen und sogar Minen. Eine Javelin-Panzerabwehrrakete etwa soll für 30.000 US-Dollar angeboten worden sein. Von diesen komplexen Waffensystemen, die zu Tausenden an die Ukraine übergeben wurden, seien einige bereits im Darknet erhältlich.

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