Der Weg ist hart, aber machbar: Weniger verschwenden, weniger Futtermittel und Silomais produzieren und sich gesünder ernähren.

Susanne Aigner für die Online-Zeitung INFOsperber

Sollten sich alle Bewohnerinnen und Bewohner unseres Planeten unserem westlichen Lebensstandard anpassen, sei im Jahr 2050 ein täglicher Bedarf von 30 Billionen Kalorien zu erwarten. Die zu erwartenden landwirtschaftlichen Erträge aber würden mit 24 Billionen Kalorien deutlich niedriger ausfallen. Das erklären Adrian Müller und Christian Schader vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick in einem Interview mit 3sat.

Um den Bedarf an Kalorien zu decken, sei in jedem Fall mehr Land vonnöten. Falls weiterhin konventionelle Landwirtschaft betrieben wird, würden im Jahr 2050 20 Prozent Ackerfläche fehlen. Falls biologisch produziert würde, fehlten sogar 60 Prozent.

Dabei seien wir mit zwei grundsätzlichen Problemen konfrontiert:

  1. Ohne eine massive Abholzung weiterer Wälder oder den weiteren Verlust von Grasland wird es kein zusätzliches fruchtbares Land geben.
  2. Die landwirtschaftliche Produktion in den meisten westlichen Ländern ist bereits sehr stark auf maximale Erträge optimiert.

Aus diesen Gründen müsse man die Probleme anders angehen, erklären die Autoren, welche im November 2017 dazu im Wissenschaftsmagazin Nature eine Studie veröffentlicht hatten. Entscheidend seien erstens Massnahmen, um weniger Nahrungsmittel zu verschwenden. Würde ein Drittel weniger Lebensmittel weggeworfen, stünden 30 Prozent mehr Kalorien zu Verfügung. Zweitens Massnahmen, um die Produktion von Kraftfutter und Silomais in der Schweiz drastisch zu reduzieren.

Feed no Food!

Werden Pflanzen an Tiere verfüttert, um deren Fleisch zu essen, gehen viele wertvolle Kalorien verloren. Über die direkte Aufnahme von Soja, Reis und Weizen hingegen könnten die Menschen etwa 20 Prozent Kalorien mehr aufnehmen. Tiere sollten daher ausschliesslich Gras und Abfallprodukte fressen. Potentielle Nahrungspflanzen für Menschen dürften nicht an Nutztiere verfüttert werden. Bei einem weiteren konventionellen Ackerbau müsste man diese Strategie zu 50 Prozent umsetzen. Wollte man die Welt ökologisch ernähren, dürften keine Nahrungsplanzen mehr an Tiere verfüttert werden. Aber dann könnten sich sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner unseres Planeten nur mit gleich vielen Kalorien ernähren wie wir in den Industriestaaten heute, falls gleichzeitig auch nur noch halb so viele Lebensmittel weggeworfen würden.

Fazit: Ob Bio oder konventionell: Alle berechneten Szenarien bedeuten einen drastischen Einschnitt in unseren Konsum, erklären die Wissenschaftler.

Es brauche keinen kompletten Verzicht auf Fleisch, erläutern die Experten. Denn zwei Drittel des globalen Agrarlandes sind Weideflächen. Weil der Boden zu karg oder zu uneben ist, taugt er nicht für den Ackerbau. Viel mehr als Gras wächst auf solchen Flächen nicht. Deshalb wird heute mehr als die Hälfte des globalen Agrarlandes als Weideland genutzt. Auf Basis dieser Grünlandböden ist es sinnvoll, wenn Wiederkäuer wie Schafe, Ziegen und Rinder Gras in Eiweiss umwandeln, das den Menschen in Form von Fleisch, Milch oder Käse zugute kommt.

Regenerative Milch- und Rindfleischproduktion im Alpenraum

In der Schweiz bietet sich eine verringerte Viehdichte bei grasbasierter Fütterung an, kombiniert mit einer reduzierten Abgabe von Kraftfutter. Würden die Flächen, auf denen aktuell Kraftfutter und Silomais kultiviert werden, dem Anbau von Nahrungspflanzen zur Verfügung stehen, könnten diese zu 85 Prozent mit pflanzlichen Lebensmittel und zu 15 Prozent durch Kleegras ersetzt werden, schreiben der Agrarwissenschaftler Mathias Stolze und Mitautoren in ihrem 2019 erschienen Buch «Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern».

Im Folgenden ihr Befund: Ohne die Produktion von Kraftfutter und Silomais würden sich Lebensmittelproduktion und Selbstversorgungsgrad erhöhen. Auch das Klima profitiert davon: Auf die Schweiz bezogen würden neun Prozent niedrigere Ammoniakemissionen, 24 Prozent verringerte Stickstoffüberschüsse und zehn Prozent weniger Treibhausgase aus der Landwirtschaft emittiert. Damit knüpfen die Autoren an die Thesen der oben genannten FiBL-Studie an. Auch ihnen ist klar, dass der Biologische Anbau zwar mehr Land benötigt, dafür werden Stickstoffüberschüsse abgebaut und Pestizideinsätze reduziert. Grund- und Oberflächengewässer werden deutlich weniger belastet und weniger Treibhausgase freigesetzt.

Würden weltweit 80 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaftet und gleichzeitig Kraftfutter und Lebensmittelabfälle halbiert, würde der Überschuss an Stickstoff weltweit um 100 Prozent sinken. Der Anbau von Erbsen, Ackerbohnen und Lupinen würde Stickstoffdezifite ausgleichen, ebenso die Wiederverwertung von Nährstoffen aus Bioabfällen oder etwa Klärschlamm.

Xavier Poux und Pierre-Marie Aubert vom französischen Institut für nachhaltige Entwicklung in Paris kommen in einer Studie von 2018 zu einem ähnlichen Resultat: Die Bevölkerung in Europa könnte sich bis 2050 komplett ökologisch ernähren, allerdings unter einer Bedingung: Die Menschen müssten ihre Essgewohnheiten fundamental ändern – weg vom Fleisch und hin zu mehr pflanzlicher Kost. Ihnen zufolge würden sich landwirtschaftlich bedingte Treibhausgase im Biolandbau sogar um 40 Prozent verringern. Die Klimakrise müsse auch in der Landwirtschaft angegangen werden.

Eva-Marie Meemken und Matin Qaim von der Universität Göttingen sehen ebenfalls das Problem darin, dass bei hundertprozentigem Bioanbau zusätzlich Land verbraucht wird. In ihrer Studie schlagen die Wissenschaftler vor, Elemente aus beiden Systemen miteinander zu verbinden: Einerseits effiziente Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie die Aussaat leistungsfähiger und resistenter Sorten, andererseits weite Fruchtfolgen und die ökologische Bodenpflege zwecks Verbesserung der Bodenqualität. Ziel ist eine standortangepasste Entwicklung produktiver und umweltfreundlicher Systeme. Gleichzeitig befürworten sie neue Züchtungsverfahren, um die Pflanzengenetik zu verbessern.

Zukunftsfähige Landwirtschaft mit flächengebundener Tierhaltung

Die verschärfte Ernährungssituation wegen Produktions- und Exportbeschränkungen in der Ukraine und in Russland sollte nicht dadurch gelöst werden, dass man anderswo Umweltvorschriften aufweicht, um die Produktion kurzfristig zu erhöhen, erklärt die auf Ernährung spezialisierte Berliner Professorin Sabine Gabrysch. Es gebe nämlich mehr als genug Nahrungsmittel, um die Welt zu ernähren. Das Problem sei, dass Getreide an Tiere verfüttert, als Agrarkraftstoff verwendet oder einfach verschwendet werde, anstatt hungrige Menschen zu ernähren.

Gabrysch gehört zu einem Team von Wissenschaftlern, die drei Massnahmen zur Bewältigung der aktuellen Krise vorschlagen:

  • Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen in Industrieländern.
    verstärkter Anbau von Hülsenfrüchten sowie Ökologisierung der EU-Agrarpolitik.
  • Verringerung der Lebensmittelverschwendung (demnach entspricht die Menge an vergeudetem Weizen derzeit allein in der EU etwa der Hälfte der Weizenexporte der Ukraine.)

Die Forderungen wurden von mehr als 660 Experten und Expertinnen aus mehreren Ländern unterzeichnet.

Ähnlich argumentiert Slow Food Deutschland: Um Abhängigkeiten zu vermeiden, müssten regionale Lebensmittelkreisläufe gestärkt und die ökologische Landwirtschaft gefördert werden. Um dies konsequent umzusetzen, brauche es

  • mehr Diversität auf den Feldern mit Fokus auf einer pflanzenbasierten Ernährung
  • eine konsequente Umsetzung der EU-Farm-to-Fork-Strategie und des Europäischen Green Deal sowie
  • die Förderung von agrarökologischer Produktion für lokale Märkte in Ländern des globalen Südens.

Der deutsche Bioland-Verband, nach dessen Richtlinien mehr als 10‘000 Betriebe wirtschaften, macht vor, wie es gehen kann: Die Tierzahl ist eng auf die zur Verfügung stehende Anbaufläche für Futter abgestimmt. Wenigstens die Hälfte des gesamten Futters muss vom eigenen Betrieb stammen. Futterpflanzen wie Kleegras sind somit Teil bestehender Fruchtfolgen. Biolandbetriebe seien gegenüber der aktuellen Futtermittelknappheit viel besser gewappnet als Tierhalter, die «nur» nach den Standards des EU-Biosiegels oder konventionell arbeiten, erklärt der Bioland-Verband.

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